Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Und daß ich dies liebe Exemplar so weggegeben und unter dem Preise verkauft' habe, sollte mich fast auf den Gedanken bringen, daß ich wirklich verarmt sei oder Noth litte; denn ohne Zweifel war doch dieses Buch das theuerste Eigenthum, was ich jemals besessen habe, und welches Angedenken von ihm, von meinem einzigen Freunde! O Andreas Vandelmeer! Lebst du noch? Wo weilest du? Gedenkst du noch mein? Ich sah deinen Schmerz, sagte Clara, als du das Buch verkauftest, aber diesen deinen Jugendfreund hast du mir noch niemals näher bezeichnet. Ein Jüngling, sagte Heinrich, mir ähnlich, aber etwas älter und viel gesetzter. Wir kannten uns schon auf der Schule, und ich mag wohl sagen, daß er mich mit seiner Liebe verfolgte und sie mir leidenschaftlich aufdrang. Er war reich und bei seinem großen Reichthum und seiner verweichlichten Erziehung doch sehr wohlwollend und allem Egoismus fern. Er klagte, daß ich seine Leidenschaft nicht erwidere, daß meine Freundschaft zu kühl und ihm ungenügend sei. Wir studirten mit einander und bewohnten dieselben Zimmer. Er verlangte, ich solle Opfer von ihm begehren; denn er hatte an Allem Ueberfluß, und mein Vater konnte mich nur mäßig unterhalten. Als wir in die Residenz zurückkehrten, faßte er den Plan, nach Ostindien zu gehen; denn er war ganz unabhängig. Nach jenen Ländern der Wunder zog ihn sein Herz; dort wollte er lernen, schauen und seinen heißen Durst nach Kenntnissen und Und daß ich dies liebe Exemplar so weggegeben und unter dem Preise verkauft' habe, sollte mich fast auf den Gedanken bringen, daß ich wirklich verarmt sei oder Noth litte; denn ohne Zweifel war doch dieses Buch das theuerste Eigenthum, was ich jemals besessen habe, und welches Angedenken von ihm, von meinem einzigen Freunde! O Andreas Vandelmeer! Lebst du noch? Wo weilest du? Gedenkst du noch mein? Ich sah deinen Schmerz, sagte Clara, als du das Buch verkauftest, aber diesen deinen Jugendfreund hast du mir noch niemals näher bezeichnet. Ein Jüngling, sagte Heinrich, mir ähnlich, aber etwas älter und viel gesetzter. Wir kannten uns schon auf der Schule, und ich mag wohl sagen, daß er mich mit seiner Liebe verfolgte und sie mir leidenschaftlich aufdrang. Er war reich und bei seinem großen Reichthum und seiner verweichlichten Erziehung doch sehr wohlwollend und allem Egoismus fern. Er klagte, daß ich seine Leidenschaft nicht erwidere, daß meine Freundschaft zu kühl und ihm ungenügend sei. Wir studirten mit einander und bewohnten dieselben Zimmer. Er verlangte, ich solle Opfer von ihm begehren; denn er hatte an Allem Ueberfluß, und mein Vater konnte mich nur mäßig unterhalten. Als wir in die Residenz zurückkehrten, faßte er den Plan, nach Ostindien zu gehen; denn er war ganz unabhängig. Nach jenen Ländern der Wunder zog ihn sein Herz; dort wollte er lernen, schauen und seinen heißen Durst nach Kenntnissen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0019"/> Und daß ich dies liebe Exemplar so weggegeben und unter dem Preise verkauft' habe, sollte mich fast auf den Gedanken bringen, daß ich wirklich verarmt sei oder Noth litte; denn ohne Zweifel war doch dieses Buch das theuerste Eigenthum, was ich jemals besessen habe, und welches Angedenken von ihm, von meinem einzigen Freunde! O Andreas Vandelmeer! Lebst du noch? Wo weilest du? Gedenkst du noch mein?</p><lb/> <p>Ich sah deinen Schmerz, sagte Clara, als du das Buch verkauftest, aber diesen deinen Jugendfreund hast du mir noch niemals näher bezeichnet.</p><lb/> <p>Ein Jüngling, sagte Heinrich, mir ähnlich, aber etwas älter und viel gesetzter. Wir kannten uns schon auf der Schule, und ich mag wohl sagen, daß er mich mit seiner Liebe verfolgte und sie mir leidenschaftlich aufdrang. Er war reich und bei seinem großen Reichthum und seiner verweichlichten Erziehung doch sehr wohlwollend und allem Egoismus fern. Er klagte, daß ich seine Leidenschaft nicht erwidere, daß meine Freundschaft zu kühl und ihm ungenügend sei. Wir studirten mit einander und bewohnten dieselben Zimmer. Er verlangte, ich solle Opfer von ihm begehren; denn er hatte an Allem Ueberfluß, und mein Vater konnte mich nur mäßig unterhalten. Als wir in die Residenz zurückkehrten, faßte er den Plan, nach Ostindien zu gehen; denn er war ganz unabhängig. Nach jenen Ländern der Wunder zog ihn sein Herz; dort wollte er lernen, schauen und seinen heißen Durst nach Kenntnissen und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
Und daß ich dies liebe Exemplar so weggegeben und unter dem Preise verkauft' habe, sollte mich fast auf den Gedanken bringen, daß ich wirklich verarmt sei oder Noth litte; denn ohne Zweifel war doch dieses Buch das theuerste Eigenthum, was ich jemals besessen habe, und welches Angedenken von ihm, von meinem einzigen Freunde! O Andreas Vandelmeer! Lebst du noch? Wo weilest du? Gedenkst du noch mein?
Ich sah deinen Schmerz, sagte Clara, als du das Buch verkauftest, aber diesen deinen Jugendfreund hast du mir noch niemals näher bezeichnet.
Ein Jüngling, sagte Heinrich, mir ähnlich, aber etwas älter und viel gesetzter. Wir kannten uns schon auf der Schule, und ich mag wohl sagen, daß er mich mit seiner Liebe verfolgte und sie mir leidenschaftlich aufdrang. Er war reich und bei seinem großen Reichthum und seiner verweichlichten Erziehung doch sehr wohlwollend und allem Egoismus fern. Er klagte, daß ich seine Leidenschaft nicht erwidere, daß meine Freundschaft zu kühl und ihm ungenügend sei. Wir studirten mit einander und bewohnten dieselben Zimmer. Er verlangte, ich solle Opfer von ihm begehren; denn er hatte an Allem Ueberfluß, und mein Vater konnte mich nur mäßig unterhalten. Als wir in die Residenz zurückkehrten, faßte er den Plan, nach Ostindien zu gehen; denn er war ganz unabhängig. Nach jenen Ländern der Wunder zog ihn sein Herz; dort wollte er lernen, schauen und seinen heißen Durst nach Kenntnissen und
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