Der Geiz erniedrigt unser Herz, Erstickt die edlern Triebe; Die Liebe für ein schimmernd Erz Verdrängt der Tugend Liebe, Und machet, der Vernunft zum Spott, Ein elend Gold zu deinem Gott.
Unter allen Götzen, denen der sklavische Sünder Frohndienste leistet, ist der Geiz der elendeste und grausamste. Die übrigen Laster haben mehrentheils ein eingeschränkteres Reich, und verlieren, bei zunehmendem Alter, vieles von ihrer Wut: aber der Durst nach Golde nimt mit den Jahren zu. Der Geizige wird gleich dem Wassersüchtigen, immer durstiger und kranker, je mehr er trinkt. Der scheußliche Götze, dem er dienet, ver- heißt ihm immer Ueberfluß und gute Tage, und hält sein Ver- sprechen niemals. Zwar schleppet er ihm genug herbei: aber nicht zum Genuß, sondern um Wache dabey zu halten. Hamster und Biber tragen doch noch für sich selbst zusammen: der ihnen ähnliche Mensch aber schleichet furchtsam und abgehungert unter seinen Kasten herum, und verwünscht seine künftige Erben. Er ist ein Thor der ersten Grösse, der sich selber äffet, und von sei- nen Freunden geäffet wird; sein Tod ist ein Freudenfest für seine Erben. Er ist ein Pasquill auf sich selbst.
Der Geiz sey freiwilliges Laster, oder eine Art der Verrü- ckung, so ist er doch eine Wurzel alles Uebels. Vertrauen auf Gott und Menschenliebe können durchaus nicht mit ihm bestehen: was aber ist die Religion ohne sie? Die Moral und Satyre wett- eifern daher, dis Laster in seiner schändlichsten Blösse darzustellen.
Jedoch,
Der 5te Februar.
Der Geiz erniedrigt unſer Herz, Erſtickt die edlern Triebe; Die Liebe fuͤr ein ſchimmernd Erz Verdraͤngt der Tugend Liebe, Und machet, der Vernunft zum Spott, Ein elend Gold zu deinem Gott.
Unter allen Goͤtzen, denen der ſklaviſche Suͤnder Frohndienſte leiſtet, iſt der Geiz der elendeſte und grauſamſte. Die uͤbrigen Laſter haben mehrentheils ein eingeſchraͤnkteres Reich, und verlieren, bei zunehmendem Alter, vieles von ihrer Wut: aber der Durſt nach Golde nimt mit den Jahren zu. Der Geizige wird gleich dem Waſſerſuͤchtigen, immer durſtiger und kranker, je mehr er trinkt. Der ſcheußliche Goͤtze, dem er dienet, ver- heißt ihm immer Ueberfluß und gute Tage, und haͤlt ſein Ver- ſprechen niemals. Zwar ſchleppet er ihm genug herbei: aber nicht zum Genuß, ſondern um Wache dabey zu halten. Hamſter und Biber tragen doch noch fuͤr ſich ſelbſt zuſammen: der ihnen aͤhnliche Menſch aber ſchleichet furchtſam und abgehungert unter ſeinen Kaſten herum, und verwuͤnſcht ſeine kuͤnftige Erben. Er iſt ein Thor der erſten Groͤſſe, der ſich ſelber aͤffet, und von ſei- nen Freunden geaͤffet wird; ſein Tod iſt ein Freudenfeſt fuͤr ſeine Erben. Er iſt ein Pasquill auf ſich ſelbſt.
Der Geiz ſey freiwilliges Laſter, oder eine Art der Verruͤ- ckung, ſo iſt er doch eine Wurzel alles Uebels. Vertrauen auf Gott und Menſchenliebe koͤnnen durchaus nicht mit ihm beſtehen: was aber iſt die Religion ohne ſie? Die Moral und Satyre wett- eifern daher, dis Laſter in ſeiner ſchaͤndlichſten Bloͤſſe darzuſtellen.
Jedoch,
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[75[105]/0112]
Der 5te Februar.
Der Geiz erniedrigt unſer Herz,
Erſtickt die edlern Triebe;
Die Liebe fuͤr ein ſchimmernd Erz
Verdraͤngt der Tugend Liebe,
Und machet, der Vernunft zum Spott,
Ein elend Gold zu deinem Gott.
Unter allen Goͤtzen, denen der ſklaviſche Suͤnder Frohndienſte
leiſtet, iſt der Geiz der elendeſte und grauſamſte. Die
uͤbrigen Laſter haben mehrentheils ein eingeſchraͤnkteres Reich, und
verlieren, bei zunehmendem Alter, vieles von ihrer Wut: aber
der Durſt nach Golde nimt mit den Jahren zu. Der Geizige
wird gleich dem Waſſerſuͤchtigen, immer durſtiger und kranker,
je mehr er trinkt. Der ſcheußliche Goͤtze, dem er dienet, ver-
heißt ihm immer Ueberfluß und gute Tage, und haͤlt ſein Ver-
ſprechen niemals. Zwar ſchleppet er ihm genug herbei: aber
nicht zum Genuß, ſondern um Wache dabey zu halten. Hamſter
und Biber tragen doch noch fuͤr ſich ſelbſt zuſammen: der ihnen
aͤhnliche Menſch aber ſchleichet furchtſam und abgehungert unter
ſeinen Kaſten herum, und verwuͤnſcht ſeine kuͤnftige Erben. Er
iſt ein Thor der erſten Groͤſſe, der ſich ſelber aͤffet, und von ſei-
nen Freunden geaͤffet wird; ſein Tod iſt ein Freudenfeſt fuͤr ſeine
Erben. Er iſt ein Pasquill auf ſich ſelbſt.
Der Geiz ſey freiwilliges Laſter, oder eine Art der Verruͤ-
ckung, ſo iſt er doch eine Wurzel alles Uebels. Vertrauen auf
Gott und Menſchenliebe koͤnnen durchaus nicht mit ihm beſtehen:
was aber iſt die Religion ohne ſie? Die Moral und Satyre wett-
eifern daher, dis Laſter in ſeiner ſchaͤndlichſten Bloͤſſe darzuſtellen.
Jedoch,
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 75[105]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/112>, abgerufen am 21.11.2024.
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