Ein Tag verlebt! -- O welche mächtge Zeit! Ihr Zepter reicht bis in die Ewigkeit.
"Ich habe einen Tag verloren!" So rief ein heidnischer Kaiser aus, wenn er am Abend sich nicht erinnerte, daß er den Tag über Gutes gethan hätte. "Ich habe die Ewigkeit verloren!" so rufe sich der Christ unter ähnlichen Umständen zu! Lieber alle beine Prozesse und Hofnungen, ja lieber deine Ruhe und Freunde verloren, als so einen Tag!
Wie wenig ist dir der hohe Werth eines Tages be- kannt, wenn du ihn nur für eine Zeit von vier und zwanzig Stunden, und für einen kleinen Theil des Jahres hältst! Gut! es sey ein unbeträchtliches Stück des Jahres: gehört dir denn das Ganze? Verfloßne und zukünftige Tage sind nicht in deiner Gewalt: der gegenwärtige ist alles was du hast, ist dein ganzer Zeitschatz! Und der wäre eine Kleinigkeit? Ja, wenn du Tage nach Millionen zählen köntest! So aber darfst du kaum zwanzig tausend überhaupt erwarten: und wie viele sind davon noch rück- ständig? Hast du aber schon Ueberschuß über diese Summe: so sieh vollend jeden Tag als den letzten an; und verschieb nicht auf morgen, was heute geschehen kan und muß. Künftige Tage sind verlorne Schuld; rechne nicht auf sie; es ist ein Glück, wenn sie einkommen.
Der Mensch empfängt, kan aber auch in einem einzigen Tage alles verlieren, was ihn ewig glücklich machen kan. Um groß, berühmt, gelehrt und alt zu werden, dazu gehören Jahre: aber um mehr als alles das, um selig zu werden: dazu ist oft Ein Tag hinreichend. Jeder reicht mir den Schlüssel zum Him- mel: nehme ich ihn nicht an, so verschließt er ihn mir desto
fester.
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Der 25te Februar.
Ein Tag verlebt! — O welche maͤchtge Zeit! Ihr Zepter reicht bis in die Ewigkeit.
„Ich habe einen Tag verloren!„ So rief ein heidniſcher Kaiſer aus, wenn er am Abend ſich nicht erinnerte, daß er den Tag uͤber Gutes gethan haͤtte. „Ich habe die Ewigkeit verloren!„ ſo rufe ſich der Chriſt unter aͤhnlichen Umſtaͤnden zu! Lieber alle beine Prozeſſe und Hofnungen, ja lieber deine Ruhe und Freunde verloren, als ſo einen Tag!
Wie wenig iſt dir der hohe Werth eines Tages be- kannt, wenn du ihn nur fuͤr eine Zeit von vier und zwanzig Stunden, und fuͤr einen kleinen Theil des Jahres haͤltſt! Gut! es ſey ein unbetraͤchtliches Stuͤck des Jahres: gehoͤrt dir denn das Ganze? Verfloßne und zukuͤnftige Tage ſind nicht in deiner Gewalt: der gegenwaͤrtige iſt alles was du haſt, iſt dein ganzer Zeitſchatz! Und der waͤre eine Kleinigkeit? Ja, wenn du Tage nach Millionen zaͤhlen koͤnteſt! So aber darfſt du kaum zwanzig tauſend uͤberhaupt erwarten: und wie viele ſind davon noch ruͤck- ſtaͤndig? Haſt du aber ſchon Ueberſchuß uͤber dieſe Summe: ſo ſieh vollend jeden Tag als den letzten an; und verſchieb nicht auf morgen, was heute geſchehen kan und muß. Kuͤnftige Tage ſind verlorne Schuld; rechne nicht auf ſie; es iſt ein Gluͤck, wenn ſie einkommen.
Der Menſch empfaͤngt, kan aber auch in einem einzigen Tage alles verlieren, was ihn ewig gluͤcklich machen kan. Um groß, beruͤhmt, gelehrt und alt zu werden, dazu gehoͤren Jahre: aber um mehr als alles das, um ſelig zu werden: dazu iſt oft Ein Tag hinreichend. Jeder reicht mir den Schluͤſſel zum Him- mel: nehme ich ihn nicht an, ſo verſchließt er ihn mir deſto
feſter.
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[115[145]/0152]
Der 25te Februar.
Ein Tag verlebt! — O welche maͤchtge Zeit!
Ihr Zepter reicht bis in die Ewigkeit.
„Ich habe einen Tag verloren!„ So rief ein heidniſcher Kaiſer
aus, wenn er am Abend ſich nicht erinnerte, daß er den Tag
uͤber Gutes gethan haͤtte. „Ich habe die Ewigkeit verloren!„
ſo rufe ſich der Chriſt unter aͤhnlichen Umſtaͤnden zu! Lieber alle
beine Prozeſſe und Hofnungen, ja lieber deine Ruhe und Freunde
verloren, als ſo einen Tag!
Wie wenig iſt dir der hohe Werth eines Tages be-
kannt, wenn du ihn nur fuͤr eine Zeit von vier und zwanzig
Stunden, und fuͤr einen kleinen Theil des Jahres haͤltſt! Gut!
es ſey ein unbetraͤchtliches Stuͤck des Jahres: gehoͤrt dir denn
das Ganze? Verfloßne und zukuͤnftige Tage ſind nicht in deiner
Gewalt: der gegenwaͤrtige iſt alles was du haſt, iſt dein ganzer
Zeitſchatz! Und der waͤre eine Kleinigkeit? Ja, wenn du Tage
nach Millionen zaͤhlen koͤnteſt! So aber darfſt du kaum zwanzig
tauſend uͤberhaupt erwarten: und wie viele ſind davon noch ruͤck-
ſtaͤndig? Haſt du aber ſchon Ueberſchuß uͤber dieſe Summe: ſo
ſieh vollend jeden Tag als den letzten an; und verſchieb nicht auf
morgen, was heute geſchehen kan und muß. Kuͤnftige Tage
ſind verlorne Schuld; rechne nicht auf ſie; es iſt ein Gluͤck, wenn
ſie einkommen.
Der Menſch empfaͤngt, kan aber auch in einem einzigen
Tage alles verlieren, was ihn ewig gluͤcklich machen kan. Um
groß, beruͤhmt, gelehrt und alt zu werden, dazu gehoͤren Jahre:
aber um mehr als alles das, um ſelig zu werden: dazu iſt oft
Ein Tag hinreichend. Jeder reicht mir den Schluͤſſel zum Him-
mel: nehme ich ihn nicht an, ſo verſchließt er ihn mir deſto
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 115[145]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/152>, abgerufen am 21.11.2024.
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