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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 25te Februar.
fester. Wie kindisch, mit der Zeit zu spielen, von der die Ewig-
keit abhängt! Ein gefährliches Spiel! Gefährlicher, als wenn
wir Feuer und Pulver unter die Spielsachen unsrer Kinder
mengten!

"Du solst heute noch sterben! Heute noch? -- Um Got-
"tes willen nur noch Einen Tag wenigstens Aufschub, damit ich
"mich zubereiten könne!" -- So lernet selbst der Thor, in Ge-
genwart des Todes den Werth eines Tages schätzen, den er ehe-
dem vergähnte, oder als unnütze Last wegwarf! Und hat die Erde
für Sterbliche wol etwas wichtigers, als einen Tag? Ist nicht
jeder mit allen Eigenschaften Gottes bekleidet? Sehe ich nicht an
jedem Morgen die verjüngte Treue meines Gottes? Hat nicht
jede Stunde einen besondern Auftrag, mir die Macht, Weis-
heit, Heiligkeit, Langmuth, kurz mir Gott zu predigen? Wel-
che Wohlthaten und Anerbietungen von seiten Gottes, und
welche abschlägige Antworten und Verhöhnungen von meiner
seite! Wie viele Reizung gutes, und wie viele Gelegenheit böses
zu thun! In einem Tage kan ich mir und andern die Hölle oder
den Himmel bereiten! Ich denke, rede, lache, weine, gebe und
nehme für die Ewigkeit. Meine heutige Aussaat gehet in die-
sem und jenem Leben auf, der Saame der Tugenden so wol als
der Laster, wofern ich letztern nicht noch bei Zeiten mit Thränen
der Busse, oder vielmehr mit dem Blute Jesu überströme, und
für jene Welt ersticke.

Verzleh noch, bald vollendeter Tag! daß ich erst deiner
würdig geniesse! Bring meine jetzige Andacht, meine Reue, mei-
nen Glauben an Jesum, zur Ewigkeit, und nicht meine Träg-
heit und Thorheit! Sieh! ich schlage meine Augen beschämt zur
Erde und meine Hand an meine Brust, und bete: Gott! sey
mir armen Sünder gnädig! Hiemit vollende deinen Flug. In
der Ewigkeit sehen wir uns wieder. Dann zeige mir freundlich
meine jetzige Busse und Andacht, und du, Herr Jesu! belohne sie!

Der

Der 25te Februar.
feſter. Wie kindiſch, mit der Zeit zu ſpielen, von der die Ewig-
keit abhaͤngt! Ein gefaͤhrliches Spiel! Gefaͤhrlicher, als wenn
wir Feuer und Pulver unter die Spielſachen unſrer Kinder
mengten!

„Du ſolſt heute noch ſterben! Heute noch? — Um Got-
„tes willen nur noch Einen Tag wenigſtens Aufſchub, damit ich
„mich zubereiten koͤnne!„ — So lernet ſelbſt der Thor, in Ge-
genwart des Todes den Werth eines Tages ſchaͤtzen, den er ehe-
dem vergaͤhnte, oder als unnuͤtze Laſt wegwarf! Und hat die Erde
fuͤr Sterbliche wol etwas wichtigers, als einen Tag? Iſt nicht
jeder mit allen Eigenſchaften Gottes bekleidet? Sehe ich nicht an
jedem Morgen die verjuͤngte Treue meines Gottes? Hat nicht
jede Stunde einen beſondern Auftrag, mir die Macht, Weis-
heit, Heiligkeit, Langmuth, kurz mir Gott zu predigen? Wel-
che Wohlthaten und Anerbietungen von ſeiten Gottes, und
welche abſchlaͤgige Antworten und Verhoͤhnungen von meiner
ſeite! Wie viele Reizung gutes, und wie viele Gelegenheit boͤſes
zu thun! In einem Tage kan ich mir und andern die Hoͤlle oder
den Himmel bereiten! Ich denke, rede, lache, weine, gebe und
nehme fuͤr die Ewigkeit. Meine heutige Ausſaat gehet in die-
ſem und jenem Leben auf, der Saame der Tugenden ſo wol als
der Laſter, wofern ich letztern nicht noch bei Zeiten mit Thraͤnen
der Buſſe, oder vielmehr mit dem Blute Jeſu uͤberſtroͤme, und
fuͤr jene Welt erſticke.

Verzleh noch, bald vollendeter Tag! daß ich erſt deiner
wuͤrdig genieſſe! Bring meine jetzige Andacht, meine Reue, mei-
nen Glauben an Jeſum, zur Ewigkeit, und nicht meine Traͤg-
heit und Thorheit! Sieh! ich ſchlage meine Augen beſchaͤmt zur
Erde und meine Hand an meine Bruſt, und bete: Gott! ſey
mir armen Suͤnder gnaͤdig! Hiemit vollende deinen Flug. In
der Ewigkeit ſehen wir uns wieder. Dann zeige mir freundlich
meine jetzige Buſſe und Andacht, und du, Herr Jeſu! belohne ſie!

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[116[146]/0153] Der 25te Februar. feſter. Wie kindiſch, mit der Zeit zu ſpielen, von der die Ewig- keit abhaͤngt! Ein gefaͤhrliches Spiel! Gefaͤhrlicher, als wenn wir Feuer und Pulver unter die Spielſachen unſrer Kinder mengten! „Du ſolſt heute noch ſterben! Heute noch? — Um Got- „tes willen nur noch Einen Tag wenigſtens Aufſchub, damit ich „mich zubereiten koͤnne!„ — So lernet ſelbſt der Thor, in Ge- genwart des Todes den Werth eines Tages ſchaͤtzen, den er ehe- dem vergaͤhnte, oder als unnuͤtze Laſt wegwarf! Und hat die Erde fuͤr Sterbliche wol etwas wichtigers, als einen Tag? Iſt nicht jeder mit allen Eigenſchaften Gottes bekleidet? Sehe ich nicht an jedem Morgen die verjuͤngte Treue meines Gottes? Hat nicht jede Stunde einen beſondern Auftrag, mir die Macht, Weis- heit, Heiligkeit, Langmuth, kurz mir Gott zu predigen? Wel- che Wohlthaten und Anerbietungen von ſeiten Gottes, und welche abſchlaͤgige Antworten und Verhoͤhnungen von meiner ſeite! Wie viele Reizung gutes, und wie viele Gelegenheit boͤſes zu thun! In einem Tage kan ich mir und andern die Hoͤlle oder den Himmel bereiten! Ich denke, rede, lache, weine, gebe und nehme fuͤr die Ewigkeit. Meine heutige Ausſaat gehet in die- ſem und jenem Leben auf, der Saame der Tugenden ſo wol als der Laſter, wofern ich letztern nicht noch bei Zeiten mit Thraͤnen der Buſſe, oder vielmehr mit dem Blute Jeſu uͤberſtroͤme, und fuͤr jene Welt erſticke. Verzleh noch, bald vollendeter Tag! daß ich erſt deiner wuͤrdig genieſſe! Bring meine jetzige Andacht, meine Reue, mei- nen Glauben an Jeſum, zur Ewigkeit, und nicht meine Traͤg- heit und Thorheit! Sieh! ich ſchlage meine Augen beſchaͤmt zur Erde und meine Hand an meine Bruſt, und bete: Gott! ſey mir armen Suͤnder gnaͤdig! Hiemit vollende deinen Flug. In der Ewigkeit ſehen wir uns wieder. Dann zeige mir freundlich meine jetzige Buſſe und Andacht, und du, Herr Jeſu! belohne ſie! Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 116[146]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/153>, abgerufen am 17.09.2024.