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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Vorrede

Lasset uns bei dieser Betrachtung die Güte Gottes ver-
ehren! Giftige und uns schädliche Thiere sind am wenig-
sten schön. Die schönste Schlange hat dennoch eine für uns
ekle Farbenmischung z. E. ein widerliches Gelb, oder eine
schuppigte Haut, die wir nicht wohl leiden können; wozu
noch die uns widerliche wurmförmige Bewegung kommt.
Auch das war Güte des Schöpfers, daß er den Fischen keine
reizende Gestalt gab, weil es uns zu viel Gefahr, und diesen
Kreaturen das Leben kostet, wenn wir Jagd auf sie machen.

Selbst die Ausnahmen von diesen Regeln (denn
Gottes Werke sind nirgend so einförmig, daß wir sie mit
unsern Regeln umspannen könten!) selbst die Ausnahmen
sind ein neuer Beweis von des Schöpfers liebreichen Ab-
sichten. Der Goldfisch in China ist eine der schönsten
Kreaturen. Aber eben deswegen ist er auch so zärtlicher
Natur, daß er die fleißigste Wartung, folglich auch Be-
obachtung erfodert. Und wer mag die Mittel alle erzäh-
len, wodurch uns die schönsten Thiere zu ihrer öftern Be-
trachtung anlocken. Der Pfau schreiet die ganze Nach-
barschaft zusammen, und der Kontrast seiner mauenden
Stimme und seines azurnen Kleides geben auch dem einfäl-
tigsten Zuschauer moralische Betrachtungen an die Hand.
Rauschte der Kolibri nicht im Flug: so entwischte er fast
allen Beobachtung der Menschen.

Jedoch, ich kehre zu meinen Insekten zurück, die auch
um deswillen die lebhaftesten Farben an sich tragen, damit
sie den Menschen zu sich heranlocken mögen. Käfer,
Raupen und Schmetterlinge, sonderlich in Indien, haben
das schönste Kolorit unter allen Geschöpfen. Und da ihre
Betrachtung so wohlfeil und einem jeden möglich ist: so
sind sie gleichsam die Buchstabirschule in der Naturgeschich-
te. Wer die Werke Gottes lesen will, fange hiebei an;
und dazu können folgende sieben Sätze merklich reizen.

1) Es
Vorrede

Laſſet uns bei dieſer Betrachtung die Guͤte Gottes ver-
ehren! Giftige und uns ſchaͤdliche Thiere ſind am wenig-
ſten ſchoͤn. Die ſchoͤnſte Schlange hat dennoch eine fuͤr uns
ekle Farbenmiſchung z. E. ein widerliches Gelb, oder eine
ſchuppigte Haut, die wir nicht wohl leiden koͤnnen; wozu
noch die uns widerliche wurmfoͤrmige Bewegung kommt.
Auch das war Guͤte des Schoͤpfers, daß er den Fiſchen keine
reizende Geſtalt gab, weil es uns zu viel Gefahr, und dieſen
Kreaturen das Leben koſtet, wenn wir Jagd auf ſie machen.

Selbſt die Ausnahmen von dieſen Regeln (denn
Gottes Werke ſind nirgend ſo einfoͤrmig, daß wir ſie mit
unſern Regeln umſpannen koͤnten!) ſelbſt die Ausnahmen
ſind ein neuer Beweis von des Schoͤpfers liebreichen Ab-
ſichten. Der Goldfiſch in China iſt eine der ſchoͤnſten
Kreaturen. Aber eben deswegen iſt er auch ſo zaͤrtlicher
Natur, daß er die fleißigſte Wartung, folglich auch Be-
obachtung erfodert. Und wer mag die Mittel alle erzaͤh-
len, wodurch uns die ſchoͤnſten Thiere zu ihrer oͤftern Be-
trachtung anlocken. Der Pfau ſchreiet die ganze Nach-
barſchaft zuſammen, und der Kontraſt ſeiner mauenden
Stimme und ſeines azurnen Kleides geben auch dem einfaͤl-
tigſten Zuſchauer moraliſche Betrachtungen an die Hand.
Rauſchte der Kolibri nicht im Flug: ſo entwiſchte er faſt
allen Beobachtung der Menſchen.

Jedoch, ich kehre zu meinen Inſekten zuruͤck, die auch
um deswillen die lebhafteſten Farben an ſich tragen, damit
ſie den Menſchen zu ſich heranlocken moͤgen. Kaͤfer,
Raupen und Schmetterlinge, ſonderlich in Indien, haben
das ſchoͤnſte Kolorit unter allen Geſchoͤpfen. Und da ihre
Betrachtung ſo wohlfeil und einem jeden moͤglich iſt: ſo
ſind ſie gleichſam die Buchſtabirſchule in der Naturgeſchich-
te. Wer die Werke Gottes leſen will, fange hiebei an;
und dazu koͤnnen folgende ſieben Saͤtze merklich reizen.

1) Es
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[10/0017] Vorrede Laſſet uns bei dieſer Betrachtung die Guͤte Gottes ver- ehren! Giftige und uns ſchaͤdliche Thiere ſind am wenig- ſten ſchoͤn. Die ſchoͤnſte Schlange hat dennoch eine fuͤr uns ekle Farbenmiſchung z. E. ein widerliches Gelb, oder eine ſchuppigte Haut, die wir nicht wohl leiden koͤnnen; wozu noch die uns widerliche wurmfoͤrmige Bewegung kommt. Auch das war Guͤte des Schoͤpfers, daß er den Fiſchen keine reizende Geſtalt gab, weil es uns zu viel Gefahr, und dieſen Kreaturen das Leben koſtet, wenn wir Jagd auf ſie machen. Selbſt die Ausnahmen von dieſen Regeln (denn Gottes Werke ſind nirgend ſo einfoͤrmig, daß wir ſie mit unſern Regeln umſpannen koͤnten!) ſelbſt die Ausnahmen ſind ein neuer Beweis von des Schoͤpfers liebreichen Ab- ſichten. Der Goldfiſch in China iſt eine der ſchoͤnſten Kreaturen. Aber eben deswegen iſt er auch ſo zaͤrtlicher Natur, daß er die fleißigſte Wartung, folglich auch Be- obachtung erfodert. Und wer mag die Mittel alle erzaͤh- len, wodurch uns die ſchoͤnſten Thiere zu ihrer oͤftern Be- trachtung anlocken. Der Pfau ſchreiet die ganze Nach- barſchaft zuſammen, und der Kontraſt ſeiner mauenden Stimme und ſeines azurnen Kleides geben auch dem einfaͤl- tigſten Zuſchauer moraliſche Betrachtungen an die Hand. Rauſchte der Kolibri nicht im Flug: ſo entwiſchte er faſt allen Beobachtung der Menſchen. Jedoch, ich kehre zu meinen Inſekten zuruͤck, die auch um deswillen die lebhafteſten Farben an ſich tragen, damit ſie den Menſchen zu ſich heranlocken moͤgen. Kaͤfer, Raupen und Schmetterlinge, ſonderlich in Indien, haben das ſchoͤnſte Kolorit unter allen Geſchoͤpfen. Und da ihre Betrachtung ſo wohlfeil und einem jeden moͤglich iſt: ſo ſind ſie gleichſam die Buchſtabirſchule in der Naturgeſchich- te. Wer die Werke Gottes leſen will, fange hiebei an; und dazu koͤnnen folgende ſieben Saͤtze merklich reizen. 1) Es

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/17>, abgerufen am 21.11.2024.