1) Es ist nichts leichter, als diese Thierchen zu be- obachten. Man trage die Raupen mit dem Blatt, wor- auf man sie findet, als ihrem vermuthlichen Futter, in ein Glas, bedecke es mit durchstochnem Papier, damit sie nicht entweichen und doch auch Luft haben. Man gebe ihnen täglich dasselbe Futter frisch, sonderlich an kleinen Zweigen, die sie bei ihren Mahlzeiten gern umklammern: so wird man bald mit ihrer Livrei, mit ihrer Art zu spinnen, sich zu häuten u. s. w. bekant werden. Je mehr Gattungen von Raupen man hat; (deren jede sich ihren Fraß unter den zehn oder zwanzigerlei Blättern heraussucht) und je geraumer ihr Gefängniß ist, wozu man am liebsten Konfi- turgläser nimt: desto mehr wird man zu sehen bekommen. Es ist rathsam, etliche Finger breit Erde oder Sand hin- einzuschütten, weil einige ihre Hauptrolle unter der Erde spielen müssen. Daß man das übrige verwelkte Futter und andre Unreinigkeiten von Zeit zu Zeit wegnehmen und frische Erde oder Sand geben müsse, wird dem leicht ein- fallen, der da weiß, welche Ordnung und Reinlichkeit durch die ganze Schöpfung herrsche. Alle diese kleine Mühwaltungen werden.
2) durch das Vergnügen reichlich bezahlet, welches immer höher steiget, je weiter man zulernt. Ihre List; ihre poßierliche Wendungen; die Strickleiter, welche sie mit dem Maul ans Glas spinnen, und sich gleich darauf mit den Vorderfüssen einzuhaken; sonderlich aber ihre Ver- wandlungen, werden die wenige Minuten, die man bei ihnen zubringet, gewiß ersetzen. Hat man in einem halb mit Sand angefüllten glatten Gefässe einen Ameislöwen, dem man, wenn er eine Grube ausgehöhlet hat, dann und wann eine Ameise oder kleine Fliege hereinwirft: so wird das Vergnügen noch grösser. Ja, man wird bisweilen lachen müssen, wenn man die Kreuzzüge dieses immer rück-
wärts
zur zweiten Auflage.
1) Es iſt nichts leichter, als dieſe Thierchen zu be- obachten. Man trage die Raupen mit dem Blatt, wor- auf man ſie findet, als ihrem vermuthlichen Futter, in ein Glas, bedecke es mit durchſtochnem Papier, damit ſie nicht entweichen und doch auch Luft haben. Man gebe ihnen taͤglich daſſelbe Futter friſch, ſonderlich an kleinen Zweigen, die ſie bei ihren Mahlzeiten gern umklammern: ſo wird man bald mit ihrer Livrei, mit ihrer Art zu ſpinnen, ſich zu haͤuten u. ſ. w. bekant werden. Je mehr Gattungen von Raupen man hat; (deren jede ſich ihren Fraß unter den zehn oder zwanzigerlei Blaͤttern herausſucht) und je geraumer ihr Gefaͤngniß iſt, wozu man am liebſten Konfi- turglaͤſer nimt: deſto mehr wird man zu ſehen bekommen. Es iſt rathſam, etliche Finger breit Erde oder Sand hin- einzuſchuͤtten, weil einige ihre Hauptrolle unter der Erde ſpielen muͤſſen. Daß man das uͤbrige verwelkte Futter und andre Unreinigkeiten von Zeit zu Zeit wegnehmen und friſche Erde oder Sand geben muͤſſe, wird dem leicht ein- fallen, der da weiß, welche Ordnung und Reinlichkeit durch die ganze Schoͤpfung herrſche. Alle dieſe kleine Muͤhwaltungen werden.
2) durch das Vergnuͤgen reichlich bezahlet, welches immer hoͤher ſteiget, je weiter man zulernt. Ihre Liſt; ihre poßierliche Wendungen; die Strickleiter, welche ſie mit dem Maul ans Glas ſpinnen, und ſich gleich darauf mit den Vorderfuͤſſen einzuhaken; ſonderlich aber ihre Ver- wandlungen, werden die wenige Minuten, die man bei ihnen zubringet, gewiß erſetzen. Hat man in einem halb mit Sand angefuͤllten glatten Gefaͤſſe einen Ameisloͤwen, dem man, wenn er eine Grube ausgehoͤhlet hat, dann und wann eine Ameiſe oder kleine Fliege hereinwirft: ſo wird das Vergnuͤgen noch groͤſſer. Ja, man wird bisweilen lachen muͤſſen, wenn man die Kreuzzuͤge dieſes immer ruͤck-
waͤrts
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[11/0018]
zur zweiten Auflage.
1) Es iſt nichts leichter, als dieſe Thierchen zu be-
obachten. Man trage die Raupen mit dem Blatt, wor-
auf man ſie findet, als ihrem vermuthlichen Futter, in ein
Glas, bedecke es mit durchſtochnem Papier, damit ſie nicht
entweichen und doch auch Luft haben. Man gebe ihnen
taͤglich daſſelbe Futter friſch, ſonderlich an kleinen Zweigen,
die ſie bei ihren Mahlzeiten gern umklammern: ſo wird
man bald mit ihrer Livrei, mit ihrer Art zu ſpinnen, ſich
zu haͤuten u. ſ. w. bekant werden. Je mehr Gattungen
von Raupen man hat; (deren jede ſich ihren Fraß unter
den zehn oder zwanzigerlei Blaͤttern herausſucht) und je
geraumer ihr Gefaͤngniß iſt, wozu man am liebſten Konfi-
turglaͤſer nimt: deſto mehr wird man zu ſehen bekommen.
Es iſt rathſam, etliche Finger breit Erde oder Sand hin-
einzuſchuͤtten, weil einige ihre Hauptrolle unter der Erde
ſpielen muͤſſen. Daß man das uͤbrige verwelkte Futter
und andre Unreinigkeiten von Zeit zu Zeit wegnehmen und
friſche Erde oder Sand geben muͤſſe, wird dem leicht ein-
fallen, der da weiß, welche Ordnung und Reinlichkeit
durch die ganze Schoͤpfung herrſche. Alle dieſe kleine
Muͤhwaltungen werden.
2) durch das Vergnuͤgen reichlich bezahlet, welches
immer hoͤher ſteiget, je weiter man zulernt. Ihre Liſt;
ihre poßierliche Wendungen; die Strickleiter, welche ſie
mit dem Maul ans Glas ſpinnen, und ſich gleich darauf
mit den Vorderfuͤſſen einzuhaken; ſonderlich aber ihre Ver-
wandlungen, werden die wenige Minuten, die man bei
ihnen zubringet, gewiß erſetzen. Hat man in einem halb
mit Sand angefuͤllten glatten Gefaͤſſe einen Ameisloͤwen,
dem man, wenn er eine Grube ausgehoͤhlet hat, dann und
wann eine Ameiſe oder kleine Fliege hereinwirft: ſo wird
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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