wärts hutschenden Thierchens im Sande, oder seine Hand- griffe bei Erhaschung seiner Beute, bemerkt. Und nichts ist leichter zu besolden, als dieser kleine Wurm, der auch zur Sommerzeit etliche Monate lang hungern kan, und den ganzen Winter verschläft.
3) Aber nicht blos Vergnügen; Erstaunen wird uns bisweilen bei diesen Beobachtungen anwandeln. Der Ameislowe spinnet sich, wann er etliche Sommer alt ist, in eine Kugel von zusammen gesponnenen oder geleimten Sandkornern, wirft darin seinen alten Rock ab, und wird eine Puppe, die so drolligt aussieht, daß man sich kaum des Lachens erwehren kan. Nach höchstens zwei Mona- ten kriechet aus dieser komischen Maske eine grosse schöne Fliege oder Jungfer, welche bald ihr Ei in den Sand zu legen suchet, woraus künftig ein junger Ameislöwe schlie- fen wird. Gewiß, man muß über diese Veränderungen erstaunen. Das sind vier Gestalten eines und desselben Thieres, welche himmelweit von einander verschieden sind. Will man die Veränderung dieser Scenen (die in Opern sind nichts dagegen!) mit ansehen: so muß man die runde Hulle von Sand behutsam, auch wol etliche mal, zerstören. Endlich gehen diese Wunder vor unsern Augen vor. Es gehöret aber Geduld, oder Erfahrung, oder eine ziemliche Anzal solcher zu verwandelnden Thiere (folglich auch der Raupen) dazu: sonst ist es ein Glück, wenn man nicht zu späte komt. Die Verwandlungen dauren nur immer wenig Minuten; jedoch verändert sich eine oder einige Stunden vorher das Thierchen merklich. Jede Raupe (und deren kennet man schon sieben hundert Gattungen) giebt eine andre Puppe, jede Puppe einen andern Schmetterling, jeder Schmetterling ein andres Ei. Kein Unerfahrner, und wäre er der größte Philosoph, kan errathen, was für Farbe und Gestalt die neue Kreatur haben wird.
4) Der
Vorrede
waͤrts hutſchenden Thierchens im Sande, oder ſeine Hand- griffe bei Erhaſchung ſeiner Beute, bemerkt. Und nichts iſt leichter zu beſolden, als dieſer kleine Wurm, der auch zur Sommerzeit etliche Monate lang hungern kan, und den ganzen Winter verſchlaͤft.
3) Aber nicht blos Vergnuͤgen; Erſtaunen wird uns bisweilen bei dieſen Beobachtungen anwandeln. Der Ameislowe ſpinnet ſich, wann er etliche Sommer alt iſt, in eine Kugel von zuſammen geſponnenen oder geleimten Sandkornern, wirft darin ſeinen alten Rock ab, und wird eine Puppe, die ſo drolligt ausſieht, daß man ſich kaum des Lachens erwehren kan. Nach hoͤchſtens zwei Mona- ten kriechet aus dieſer komiſchen Maske eine groſſe ſchoͤne Fliege oder Jungfer, welche bald ihr Ei in den Sand zu legen ſuchet, woraus kuͤnftig ein junger Ameisloͤwe ſchlie- fen wird. Gewiß, man muß uͤber dieſe Veraͤnderungen erſtaunen. Das ſind vier Geſtalten eines und deſſelben Thieres, welche himmelweit von einander verſchieden ſind. Will man die Veraͤnderung dieſer Scenen (die in Opern ſind nichts dagegen!) mit anſehen: ſo muß man die runde Hulle von Sand behutſam, auch wol etliche mal, zerſtoͤren. Endlich gehen dieſe Wunder vor unſern Augen vor. Es gehoͤret aber Geduld, oder Erfahrung, oder eine ziemliche Anzal ſolcher zu verwandelnden Thiere (folglich auch der Raupen) dazu: ſonſt iſt es ein Gluͤck, wenn man nicht zu ſpaͤte komt. Die Verwandlungen dauren nur immer wenig Minuten; jedoch veraͤndert ſich eine oder einige Stunden vorher das Thierchen merklich. Jede Raupe (und deren kennet man ſchon ſieben hundert Gattungen) giebt eine andre Puppe, jede Puppe einen andern Schmetterling, jeder Schmetterling ein andres Ei. Kein Unerfahrner, und waͤre er der groͤßte Philoſoph, kan errathen, was fuͤr Farbe und Geſtalt die neue Kreatur haben wird.
4) Der
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0019"n="12"/><fwplace="top"type="header">Vorrede</fw><lb/>
waͤrts hutſchenden Thierchens im Sande, oder ſeine Hand-<lb/>
griffe bei Erhaſchung ſeiner Beute, bemerkt. Und nichts<lb/>
iſt leichter zu beſolden, als dieſer kleine Wurm, der auch<lb/>
zur Sommerzeit etliche Monate lang hungern kan, und<lb/>
den ganzen Winter verſchlaͤft.</p><lb/><p>3) Aber nicht blos Vergnuͤgen; Erſtaunen wird uns<lb/>
bisweilen bei dieſen Beobachtungen anwandeln. Der<lb/>
Ameislowe ſpinnet ſich, wann er etliche Sommer alt iſt,<lb/>
in eine Kugel von zuſammen geſponnenen oder geleimten<lb/>
Sandkornern, wirft darin ſeinen alten Rock ab, und wird<lb/>
eine Puppe, die ſo drolligt ausſieht, daß man ſich kaum<lb/>
des Lachens erwehren kan. Nach hoͤchſtens zwei Mona-<lb/>
ten kriechet aus dieſer komiſchen Maske eine groſſe ſchoͤne<lb/>
Fliege oder Jungfer, welche bald ihr Ei in den Sand zu<lb/>
legen ſuchet, woraus kuͤnftig ein junger Ameisloͤwe ſchlie-<lb/>
fen wird. Gewiß, man muß uͤber dieſe Veraͤnderungen<lb/>
erſtaunen. Das ſind vier Geſtalten eines und deſſelben<lb/>
Thieres, welche himmelweit von einander verſchieden ſind.<lb/>
Will man die Veraͤnderung dieſer Scenen (die in Opern<lb/>ſind nichts dagegen!) mit anſehen: ſo muß man die runde<lb/>
Hulle von Sand behutſam, auch wol etliche mal, zerſtoͤren.<lb/>
Endlich gehen dieſe Wunder vor unſern Augen vor. Es<lb/>
gehoͤret aber Geduld, oder Erfahrung, oder eine ziemliche<lb/>
Anzal ſolcher zu verwandelnden Thiere (folglich auch der<lb/>
Raupen) dazu: ſonſt iſt es ein Gluͤck, wenn man nicht zu<lb/>ſpaͤte komt. Die Verwandlungen dauren nur immer wenig<lb/>
Minuten; jedoch veraͤndert ſich eine oder einige Stunden<lb/>
vorher das Thierchen merklich. Jede Raupe (und deren<lb/>
kennet man ſchon ſieben hundert Gattungen) giebt eine<lb/>
andre Puppe, jede Puppe einen andern Schmetterling,<lb/>
jeder Schmetterling ein andres Ei. Kein Unerfahrner,<lb/>
und waͤre er der groͤßte Philoſoph, kan errathen, was fuͤr<lb/>
Farbe und Geſtalt die neue Kreatur haben wird.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">4) Der</fw><lb/></div></front></text></TEI>
[12/0019]
Vorrede
waͤrts hutſchenden Thierchens im Sande, oder ſeine Hand-
griffe bei Erhaſchung ſeiner Beute, bemerkt. Und nichts
iſt leichter zu beſolden, als dieſer kleine Wurm, der auch
zur Sommerzeit etliche Monate lang hungern kan, und
den ganzen Winter verſchlaͤft.
3) Aber nicht blos Vergnuͤgen; Erſtaunen wird uns
bisweilen bei dieſen Beobachtungen anwandeln. Der
Ameislowe ſpinnet ſich, wann er etliche Sommer alt iſt,
in eine Kugel von zuſammen geſponnenen oder geleimten
Sandkornern, wirft darin ſeinen alten Rock ab, und wird
eine Puppe, die ſo drolligt ausſieht, daß man ſich kaum
des Lachens erwehren kan. Nach hoͤchſtens zwei Mona-
ten kriechet aus dieſer komiſchen Maske eine groſſe ſchoͤne
Fliege oder Jungfer, welche bald ihr Ei in den Sand zu
legen ſuchet, woraus kuͤnftig ein junger Ameisloͤwe ſchlie-
fen wird. Gewiß, man muß uͤber dieſe Veraͤnderungen
erſtaunen. Das ſind vier Geſtalten eines und deſſelben
Thieres, welche himmelweit von einander verſchieden ſind.
Will man die Veraͤnderung dieſer Scenen (die in Opern
ſind nichts dagegen!) mit anſehen: ſo muß man die runde
Hulle von Sand behutſam, auch wol etliche mal, zerſtoͤren.
Endlich gehen dieſe Wunder vor unſern Augen vor. Es
gehoͤret aber Geduld, oder Erfahrung, oder eine ziemliche
Anzal ſolcher zu verwandelnden Thiere (folglich auch der
Raupen) dazu: ſonſt iſt es ein Gluͤck, wenn man nicht zu
ſpaͤte komt. Die Verwandlungen dauren nur immer wenig
Minuten; jedoch veraͤndert ſich eine oder einige Stunden
vorher das Thierchen merklich. Jede Raupe (und deren
kennet man ſchon ſieben hundert Gattungen) giebt eine
andre Puppe, jede Puppe einen andern Schmetterling,
jeder Schmetterling ein andres Ei. Kein Unerfahrner,
und waͤre er der groͤßte Philoſoph, kan errathen, was fuͤr
Farbe und Geſtalt die neue Kreatur haben wird.
4) Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/19>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.