Gib, daß ich thu mit Fleiß, Was mir zu thun gebühret, Wozu mich dein Befehl Jn meinem Stande führet: Gib, daß ichs thue bald Zu der Zeit, da ich soll, Und wenn ichs thu, so gib, Daß es gerathe wohl.
Die größten Entschlüsse, ja oft die größte Thaten, sind das Werk weniger Minuten. Der klügste Held entschliesset sich kürzer zur Lieferung eines Treffens, als ein träger Thor zu einer Spazierfarth. Wendete jeder Mensch nur den vierten Theil sei- ner Stunden zum Guten und Nützlichen an, so läge nichts brach, und die Summe von allen diesen Handlungen würde das Glück der Menschen seyn. Man kan behaupten, daß der vierte Theil des menschlichen Geschlechts nur würksam sey, die übrigen sind unvermögend oder faul, und zehren von den Gedanken oder Hand- arbeiten andrer Menschen.
Dis, angewendet auf die Tugend, rücket uns unsre Unter- lassungssünden vor. Denn niemals sind wir träger, als wenn es auf Erkentniß und Verehrung Gottes ankomt. Die meisten Menschen arbeiten sich lieber müde, oder hören lieber ein stunden- langes unsinniges Geschwätz an, als daß sie ein Kapitel in der Bibel mit Andacht läsen. Lasset ihnen die Wahl, ob sie lieber einem Armen Geld, oder Unterricht und Ermahnungen geben wollen: gewiß sie wählen das erstere. Bedenken wir nun vollend, daß Tugenden leichter zu bewerkstelligen sind, als Handarbeiten; und daß auch die unvermögendsten Kranken und Krüppel, Gott und ihren Nächsten lieben, und diese ihre Liebe durch Blicke, Worte
und
M 4
Der 29te Maͤrz.
Gib, daß ich thu mit Fleiß, Was mir zu thun gebuͤhret, Wozu mich dein Befehl Jn meinem Stande fuͤhret: Gib, daß ichs thue bald Zu der Zeit, da ich ſoll, Und wenn ichs thu, ſo gib, Daß es gerathe wohl.
Die groͤßten Entſchluͤſſe, ja oft die groͤßte Thaten, ſind das Werk weniger Minuten. Der kluͤgſte Held entſchlieſſet ſich kuͤrzer zur Lieferung eines Treffens, als ein traͤger Thor zu einer Spazierfarth. Wendete jeder Menſch nur den vierten Theil ſei- ner Stunden zum Guten und Nuͤtzlichen an, ſo laͤge nichts brach, und die Summe von allen dieſen Handlungen wuͤrde das Gluͤck der Menſchen ſeyn. Man kan behaupten, daß der vierte Theil des menſchlichen Geſchlechts nur wuͤrkſam ſey, die uͤbrigen ſind unvermoͤgend oder faul, und zehren von den Gedanken oder Hand- arbeiten andrer Menſchen.
Dis, angewendet auf die Tugend, ruͤcket uns unſre Unter- laſſungsſuͤnden vor. Denn niemals ſind wir traͤger, als wenn es auf Erkentniß und Verehrung Gottes ankomt. Die meiſten Menſchen arbeiten ſich lieber muͤde, oder hoͤren lieber ein ſtunden- langes unſinniges Geſchwaͤtz an, als daß ſie ein Kapitel in der Bibel mit Andacht laͤſen. Laſſet ihnen die Wahl, ob ſie lieber einem Armen Geld, oder Unterricht und Ermahnungen geben wollen: gewiß ſie waͤhlen das erſtere. Bedenken wir nun vollend, daß Tugenden leichter zu bewerkſtelligen ſind, als Handarbeiten; und daß auch die unvermoͤgendſten Kranken und Kruͤppel, Gott und ihren Naͤchſten lieben, und dieſe ihre Liebe durch Blicke, Worte
und
M 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0220"n="183[213]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Der 29<hirendition="#sup">te</hi> Maͤrz.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">G</hi>ib, daß ich thu mit Fleiß,</l><lb/><l>Was mir zu thun gebuͤhret,</l><lb/><l>Wozu mich dein Befehl</l><lb/><l>Jn meinem Stande fuͤhret:</l><lb/><l>Gib, daß ichs thue bald</l><lb/><l>Zu der Zeit, da ich ſoll,</l><lb/><l>Und wenn ichs thu, ſo gib,</l><lb/><l>Daß es gerathe wohl.</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie groͤßten Entſchluͤſſe, ja oft die groͤßte Thaten, ſind das<lb/>
Werk weniger Minuten. Der kluͤgſte Held entſchlieſſet ſich<lb/>
kuͤrzer zur Lieferung eines Treffens, als ein traͤger Thor zu einer<lb/>
Spazierfarth. Wendete jeder Menſch nur den vierten Theil ſei-<lb/>
ner Stunden zum Guten und Nuͤtzlichen an, ſo laͤge nichts brach,<lb/>
und die Summe von allen dieſen Handlungen wuͤrde das Gluͤck<lb/>
der Menſchen ſeyn. Man kan behaupten, daß der vierte Theil<lb/>
des menſchlichen Geſchlechts nur wuͤrkſam ſey, die uͤbrigen ſind<lb/>
unvermoͤgend oder faul, und zehren von den Gedanken oder Hand-<lb/>
arbeiten andrer Menſchen.</p><lb/><p>Dis, angewendet auf die Tugend, ruͤcket uns unſre <hirendition="#fr">Unter-<lb/>
laſſungsſuͤnden</hi> vor. Denn niemals ſind wir traͤger, als wenn<lb/>
es auf Erkentniß und Verehrung Gottes ankomt. Die meiſten<lb/>
Menſchen arbeiten ſich lieber muͤde, oder hoͤren lieber ein ſtunden-<lb/>
langes unſinniges Geſchwaͤtz an, als daß ſie ein Kapitel in der<lb/>
Bibel mit Andacht laͤſen. Laſſet ihnen die Wahl, ob ſie lieber einem<lb/>
Armen Geld, oder Unterricht und Ermahnungen geben wollen:<lb/>
gewiß ſie waͤhlen das erſtere. Bedenken wir nun vollend, daß<lb/>
Tugenden leichter zu bewerkſtelligen ſind, als Handarbeiten; und<lb/>
daß auch die unvermoͤgendſten Kranken und Kruͤppel, Gott und<lb/>
ihren Naͤchſten lieben, und dieſe ihre Liebe durch Blicke, Worte<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[183[213]/0220]
Der 29te Maͤrz.
Gib, daß ich thu mit Fleiß,
Was mir zu thun gebuͤhret,
Wozu mich dein Befehl
Jn meinem Stande fuͤhret:
Gib, daß ichs thue bald
Zu der Zeit, da ich ſoll,
Und wenn ichs thu, ſo gib,
Daß es gerathe wohl.
Die groͤßten Entſchluͤſſe, ja oft die groͤßte Thaten, ſind das
Werk weniger Minuten. Der kluͤgſte Held entſchlieſſet ſich
kuͤrzer zur Lieferung eines Treffens, als ein traͤger Thor zu einer
Spazierfarth. Wendete jeder Menſch nur den vierten Theil ſei-
ner Stunden zum Guten und Nuͤtzlichen an, ſo laͤge nichts brach,
und die Summe von allen dieſen Handlungen wuͤrde das Gluͤck
der Menſchen ſeyn. Man kan behaupten, daß der vierte Theil
des menſchlichen Geſchlechts nur wuͤrkſam ſey, die uͤbrigen ſind
unvermoͤgend oder faul, und zehren von den Gedanken oder Hand-
arbeiten andrer Menſchen.
Dis, angewendet auf die Tugend, ruͤcket uns unſre Unter-
laſſungsſuͤnden vor. Denn niemals ſind wir traͤger, als wenn
es auf Erkentniß und Verehrung Gottes ankomt. Die meiſten
Menſchen arbeiten ſich lieber muͤde, oder hoͤren lieber ein ſtunden-
langes unſinniges Geſchwaͤtz an, als daß ſie ein Kapitel in der
Bibel mit Andacht laͤſen. Laſſet ihnen die Wahl, ob ſie lieber einem
Armen Geld, oder Unterricht und Ermahnungen geben wollen:
gewiß ſie waͤhlen das erſtere. Bedenken wir nun vollend, daß
Tugenden leichter zu bewerkſtelligen ſind, als Handarbeiten; und
daß auch die unvermoͤgendſten Kranken und Kruͤppel, Gott und
ihren Naͤchſten lieben, und dieſe ihre Liebe durch Blicke, Worte
und
M 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 183[213]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/220>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.