Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.Vorrede zur zweiten Auflage. Vortheil kan ich doch nicht verschweigen, den wir noch aussolchen Beobachtungen ziehen. Nemlich: der kindische Ekel vor manchen Geschöpfen leget sich, und wir werden eine polirtere Nation, die nicht jedes Insekt gleich zertrit, blos weil es Insekt ist. Wir bekommen mehr Achtung für Gott und seine Werke, ob wir gleich freilich, weil wir nicht viel mißen können, die überhand nehmende Raupen, Käfer und Maden barmherzig tödten. Wir sehen in un- sern Gärten mit jedem Schritte etwas schönes; wir ge- wöhnen uns mit unserm kleinen Stiefgeschwister ein, und haben Gesellschafter an ihnen, die uns wenig kosten und nichts böses hinter unserm Rücken von uns reden. In so muntrer Gesellschaft vergißt man das Geleierte der grossen Welt, vergißt man Verläumder und -- Nachdrucker. Der grosse Hausvater aber, der uns dereinst strafen Der Verfasser. Vor-
Vorrede zur zweiten Auflage. Vortheil kan ich doch nicht verſchweigen, den wir noch ausſolchen Beobachtungen ziehen. Nemlich: der kindiſche Ekel vor manchen Geſchoͤpfen leget ſich, und wir werden eine polirtere Nation, die nicht jedes Inſekt gleich zertrit, blos weil es Inſekt iſt. Wir bekommen mehr Achtung fuͤr Gott und ſeine Werke, ob wir gleich freilich, weil wir nicht viel mißen koͤnnen, die uͤberhand nehmende Raupen, Kaͤfer und Maden barmherzig toͤdten. Wir ſehen in un- ſern Gaͤrten mit jedem Schritte etwas ſchoͤnes; wir ge- woͤhnen uns mit unſerm kleinen Stiefgeſchwiſter ein, und haben Geſellſchafter an ihnen, die uns wenig koſten und nichts boͤſes hinter unſerm Ruͤcken von uns reden. In ſo muntrer Geſellſchaft vergißt man das Geleierte der groſſen Welt, vergißt man Verlaͤumder und — Nachdrucker. Der groſſe Hausvater aber, der uns dereinſt ſtrafen Der Verfaſſer. Vor-
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Vorrede zur zweiten Auflage.
Vortheil kan ich doch nicht verſchweigen, den wir noch aus
ſolchen Beobachtungen ziehen. Nemlich: der kindiſche
Ekel vor manchen Geſchoͤpfen leget ſich, und wir werden
eine polirtere Nation, die nicht jedes Inſekt gleich zertrit,
blos weil es Inſekt iſt. Wir bekommen mehr Achtung
fuͤr Gott und ſeine Werke, ob wir gleich freilich, weil wir
nicht viel mißen koͤnnen, die uͤberhand nehmende Raupen,
Kaͤfer und Maden barmherzig toͤdten. Wir ſehen in un-
ſern Gaͤrten mit jedem Schritte etwas ſchoͤnes; wir ge-
woͤhnen uns mit unſerm kleinen Stiefgeſchwiſter ein, und
haben Geſellſchafter an ihnen, die uns wenig koſten und
nichts boͤſes hinter unſerm Ruͤcken von uns reden. In ſo
muntrer Geſellſchaft vergißt man das Geleierte der groſſen
Welt, vergißt man Verlaͤumder und — Nachdrucker.
Der groſſe Hausvater aber, der uns dereinſt ſtrafen
oder belohnen wird, je nachdem wir unſern Verſtand und
unſre Muſſe zu ſeiner Verherrlichung anwendeten; je nach-
dem wir uns gegen die uͤbrigen Hausgenoſſen ſeiner uns zur
Miethe uͤberlaſſenen Wohnung verhielten: der ſegne uns
in unſern Naturbetrachtungen! Welch ein gutes Werk
haͤtte ich geſtiftet, wenn dieſe Vorrede auch nur einige
Chriſten auf die vier vorletztern Kapitel Hiobs aufmerk-
ſamer machte! Halle den 27ſten Sept. 1772.
Der Verfaſſer.
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
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