Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Der 7te April.

Da er alles aus der Hand seines himlischen Vaters em-
pfängt, und alle Geschöpfe und Elemente nur als Werkzeuge des
Allerhöchsten betrachtet: so kriechet er nicht niederträchtig an den
Schwellen der Grossen umher, so wenig er seine Achtung gegen
den Nächsten nach dessen Kleidern abmißt. Er ist immer derselbe;
immer grösser als ein Eroberer, ohne daß er jemals Grösse
affektirte. Sein Geist ist mehr im Himmel als auf Erden,
und wird oft des Donnerns der Erdgötter nicht einmal gewahr.

Laß Erd und Welt,
So kan der Fromme sprechen,
Laß unter mir den Bau der Erde brechen:
Gott ist es, dessen Hand mich hält.

Die größte Monarchen quälen sich, ein chimärisches Gleich-
gewicht von Europa zu erhalten: Fromme erhalten die Welt. Ein
betendes Spital thut im ganzen mehr als das intriganteste Ka-
binett. O! wenn jenes nicht für dieses detete, und manche
Strafgerichte bei Gott abwendete: was wäre aller Trotz, alle
Politik und königliche minutenlange Gewalt? Lazarus hatte in sei-
nem Leben nicht blos mitleidige Hunde, sondern vielmehr Engel
zu Begleiter, und nach seinem Tode hätte ihn der reiche Mann,
der nur Schmeichler und niedrige Witzlinge um sich gehabt hatte,
beinahe angebetet, um von ihm Hülfe zu bekommen.

Laß mich, mein Jesu! nie so niedrig werden, daß ich deiner
vergässe und Menschen anbetete! Deine Freundschaft zu suchen,
das allein ist wahre Ehrbegierde. Und wann ich nun der Deine,
und auch, bei Zähmung meiner Begierden, mehr der Meine bin:
dann ist mir nichts groß, was es dir nicht ist; nichts wünschens-
werth, was du versagest; dann bin ich über mich selbst erhaben,
und lebe schon hier dem Anfange nach, wie ich in Ewigkeit leben
werde.

Der
Der 7te April.

Da er alles aus der Hand ſeines himliſchen Vaters em-
pfaͤngt, und alle Geſchoͤpfe und Elemente nur als Werkzeuge des
Allerhoͤchſten betrachtet: ſo kriechet er nicht niedertraͤchtig an den
Schwellen der Groſſen umher, ſo wenig er ſeine Achtung gegen
den Naͤchſten nach deſſen Kleidern abmißt. Er iſt immer derſelbe;
immer groͤſſer als ein Eroberer, ohne daß er jemals Groͤſſe
affektirte. Sein Geiſt iſt mehr im Himmel als auf Erden,
und wird oft des Donnerns der Erdgoͤtter nicht einmal gewahr.

Laß Erd und Welt,
So kan der Fromme ſprechen,
Laß unter mir den Bau der Erde brechen:
Gott iſt es, deſſen Hand mich haͤlt.

Die groͤßte Monarchen quaͤlen ſich, ein chimaͤriſches Gleich-
gewicht von Europa zu erhalten: Fromme erhalten die Welt. Ein
betendes Spital thut im ganzen mehr als das intriganteſte Ka-
binett. O! wenn jenes nicht fuͤr dieſes detete, und manche
Strafgerichte bei Gott abwendete: was waͤre aller Trotz, alle
Politik und koͤnigliche minutenlange Gewalt? Lazarus hatte in ſei-
nem Leben nicht blos mitleidige Hunde, ſondern vielmehr Engel
zu Begleiter, und nach ſeinem Tode haͤtte ihn der reiche Mann,
der nur Schmeichler und niedrige Witzlinge um ſich gehabt hatte,
beinahe angebetet, um von ihm Huͤlfe zu bekommen.

Laß mich, mein Jeſu! nie ſo niedrig werden, daß ich deiner
vergaͤſſe und Menſchen anbetete! Deine Freundſchaft zu ſuchen,
das allein iſt wahre Ehrbegierde. Und wann ich nun der Deine,
und auch, bei Zaͤhmung meiner Begierden, mehr der Meine bin:
dann iſt mir nichts groß, was es dir nicht iſt; nichts wuͤnſchens-
werth, was du verſageſt; dann bin ich uͤber mich ſelbſt erhaben,
und lebe ſchon hier dem Anfange nach, wie ich in Ewigkeit leben
werde.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0241" n="204[234]"/>
            <fw place="top" type="header">Der 7<hi rendition="#sup">te</hi> April.</fw><lb/>
            <p>Da er alles aus der Hand &#x017F;eines himli&#x017F;chen Vaters em-<lb/>
pfa&#x0364;ngt, und alle Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe und Elemente nur als Werkzeuge des<lb/>
Allerho&#x0364;ch&#x017F;ten betrachtet: &#x017F;o kriechet er nicht niedertra&#x0364;chtig an den<lb/>
Schwellen der Gro&#x017F;&#x017F;en umher, &#x017F;o wenig er &#x017F;eine Achtung gegen<lb/>
den Na&#x0364;ch&#x017F;ten nach de&#x017F;&#x017F;en Kleidern abmißt. Er i&#x017F;t immer der&#x017F;elbe;<lb/>
immer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er als ein Eroberer, ohne daß er jemals Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
affektirte. Sein Gei&#x017F;t i&#x017F;t mehr im Himmel als auf Erden,<lb/>
und wird oft des Donnerns der Erdgo&#x0364;tter nicht einmal gewahr.</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">L</hi>aß Erd und Welt,</l><lb/>
              <l>So kan der Fromme &#x017F;prechen,</l><lb/>
              <l>Laß unter mir den Bau der Erde brechen:</l><lb/>
              <l>Gott i&#x017F;t es, de&#x017F;&#x017F;en Hand mich ha&#x0364;lt.</l>
            </lg><lb/>
            <p>Die gro&#x0364;ßte Monarchen qua&#x0364;len &#x017F;ich, ein chima&#x0364;ri&#x017F;ches Gleich-<lb/>
gewicht von Europa zu erhalten: Fromme erhalten die Welt. Ein<lb/>
betendes Spital thut im ganzen mehr als das intrigante&#x017F;te Ka-<lb/>
binett. O! wenn jenes nicht fu&#x0364;r die&#x017F;es detete, und manche<lb/>
Strafgerichte bei Gott abwendete: was wa&#x0364;re aller Trotz, alle<lb/>
Politik und ko&#x0364;nigliche minutenlange Gewalt? Lazarus hatte in &#x017F;ei-<lb/>
nem Leben nicht blos mitleidige Hunde, &#x017F;ondern vielmehr Engel<lb/>
zu Begleiter, und nach &#x017F;einem Tode ha&#x0364;tte ihn der reiche Mann,<lb/>
der nur Schmeichler und niedrige Witzlinge um &#x017F;ich gehabt hatte,<lb/>
beinahe angebetet, um von ihm Hu&#x0364;lfe zu bekommen.</p><lb/>
            <p>Laß mich, mein Je&#x017F;u! nie &#x017F;o niedrig werden, daß ich deiner<lb/>
verga&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und Men&#x017F;chen anbetete! Deine Freund&#x017F;chaft zu &#x017F;uchen,<lb/>
das allein i&#x017F;t wahre Ehrbegierde. <hi rendition="#fr">Und wann ich nun</hi> der Deine,<lb/>
und auch, bei Za&#x0364;hmung meiner Begierden, mehr der Meine bin:<lb/>
dann i&#x017F;t mir nichts groß, was es dir nicht i&#x017F;t; nichts wu&#x0364;n&#x017F;chens-<lb/>
werth, was du ver&#x017F;age&#x017F;t; dann bin ich u&#x0364;ber mich &#x017F;elb&#x017F;t erhaben,<lb/>
und lebe &#x017F;chon hier dem Anfange nach, wie ich in Ewigkeit leben<lb/>
werde.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204[234]/0241] Der 7te April. Da er alles aus der Hand ſeines himliſchen Vaters em- pfaͤngt, und alle Geſchoͤpfe und Elemente nur als Werkzeuge des Allerhoͤchſten betrachtet: ſo kriechet er nicht niedertraͤchtig an den Schwellen der Groſſen umher, ſo wenig er ſeine Achtung gegen den Naͤchſten nach deſſen Kleidern abmißt. Er iſt immer derſelbe; immer groͤſſer als ein Eroberer, ohne daß er jemals Groͤſſe affektirte. Sein Geiſt iſt mehr im Himmel als auf Erden, und wird oft des Donnerns der Erdgoͤtter nicht einmal gewahr. Laß Erd und Welt, So kan der Fromme ſprechen, Laß unter mir den Bau der Erde brechen: Gott iſt es, deſſen Hand mich haͤlt. Die groͤßte Monarchen quaͤlen ſich, ein chimaͤriſches Gleich- gewicht von Europa zu erhalten: Fromme erhalten die Welt. Ein betendes Spital thut im ganzen mehr als das intriganteſte Ka- binett. O! wenn jenes nicht fuͤr dieſes detete, und manche Strafgerichte bei Gott abwendete: was waͤre aller Trotz, alle Politik und koͤnigliche minutenlange Gewalt? Lazarus hatte in ſei- nem Leben nicht blos mitleidige Hunde, ſondern vielmehr Engel zu Begleiter, und nach ſeinem Tode haͤtte ihn der reiche Mann, der nur Schmeichler und niedrige Witzlinge um ſich gehabt hatte, beinahe angebetet, um von ihm Huͤlfe zu bekommen. Laß mich, mein Jeſu! nie ſo niedrig werden, daß ich deiner vergaͤſſe und Menſchen anbetete! Deine Freundſchaft zu ſuchen, das allein iſt wahre Ehrbegierde. Und wann ich nun der Deine, und auch, bei Zaͤhmung meiner Begierden, mehr der Meine bin: dann iſt mir nichts groß, was es dir nicht iſt; nichts wuͤnſchens- werth, was du verſageſt; dann bin ich uͤber mich ſelbſt erhaben, und lebe ſchon hier dem Anfange nach, wie ich in Ewigkeit leben werde. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/241
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 204[234]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/241>, abgerufen am 14.08.2024.