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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 17te April.

Gott! wie wundervoll und erhaben sind die Werke deiner
Schöpfung! Dein Nordschein erleuchtet den Pol, wenn ein hal-
bes Jahr hindurch kein belebender Sonnenstral ihn bescheinet.
Deine Morgenröthe ist eine Vorbereitung des Auges zur Ertra-
gung eines hellern Lichts, und deine Abenddämmerung komt der
schleunigen, und unsern empfindlichen Augen höchstschädlichen,
Abwechselung von Licht und Finsterniß zu statten. Sie setzet ei-
ner besorglichen Verblendung Gränzen. O! daß doch auch eine jede
derselben meiner geistlichen Verblendung Gränzen setzte! Daß
doch jede untergehende Sonne in mir den Gedanken erregte: vie-
leicht sah ich sie zum letztenmal! Daß doch jeder Stern mir die
Möglichkeit predigte: ehe denn ich vor dem Lichte der Sonne ver-
löschen werde, können deine Augen im Tode verloschen seyn!

Und endlich ist doch eine Nacht die letzte. Num so soll denn
hinfort eine jede mir ein Vorbote der Grabesnacht seyn. Nie
will ich die nächtliche Ruhe suchen ohne mir den Tod lebhaft vor
Augen zu stellen. Und o! daß ich, ohne zu erröth[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]n, auch
jetzt Rechenschaft von meinem heutigen Lebenswandel ablegen
könte! Aber, wie viele Zeugen treten abermals wider mich auf,
mich der Gnade Gottes unwürdig zu erklären! Beleidigte Näch-
sten, vernachläßige Armen, meine leere Seele --

Jedoch, nur dir, Herr der Sonnen und Welten! Dir nur
und keinem Geringern habe ich gesündiget. Aber auch kein Ge-
ringerer kan mich lossprechen, als du, Herr Jesu!

Du Held, des Todes Köcher
Ward auf dich ausgeleert!
Vertritt mich, wann der Rächer
Mein strafbar Blut begehrt!
Ja! einst, wann Laster Rache schrei'n!
Dann kanst, dann wirst du Schntzgott seyn!
Der
Der 17te April.

Gott! wie wundervoll und erhaben ſind die Werke deiner
Schoͤpfung! Dein Nordſchein erleuchtet den Pol, wenn ein hal-
bes Jahr hindurch kein belebender Sonnenſtral ihn beſcheinet.
Deine Morgenroͤthe iſt eine Vorbereitung des Auges zur Ertra-
gung eines hellern Lichts, und deine Abenddaͤmmerung komt der
ſchleunigen, und unſern empfindlichen Augen hoͤchſtſchaͤdlichen,
Abwechſelung von Licht und Finſterniß zu ſtatten. Sie ſetzet ei-
ner beſorglichen Verblendung Graͤnzen. O! daß doch auch eine jede
derſelben meiner geiſtlichen Verblendung Graͤnzen ſetzte! Daß
doch jede untergehende Sonne in mir den Gedanken erregte: vie-
leicht ſah ich ſie zum letztenmal! Daß doch jeder Stern mir die
Moͤglichkeit predigte: ehe denn ich vor dem Lichte der Sonne ver-
loͤſchen werde, koͤnnen deine Augen im Tode verloſchen ſeyn!

Und endlich iſt doch eine Nacht die letzte. Num ſo ſoll denn
hinfort eine jede mir ein Vorbote der Grabesnacht ſeyn. Nie
will ich die naͤchtliche Ruhe ſuchen ohne mir den Tod lebhaft vor
Augen zu ſtellen. Und o! daß ich, ohne zu erroͤth[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]n, auch
jetzt Rechenſchaft von meinem heutigen Lebenswandel ablegen
koͤnte! Aber, wie viele Zeugen treten abermals wider mich auf,
mich der Gnade Gottes unwuͤrdig zu erklaͤren! Beleidigte Naͤch-
ſten, vernachlaͤßige Armen, meine leere Seele —

Jedoch, nur dir, Herr der Sonnen und Welten! Dir nur
und keinem Geringern habe ich geſuͤndiget. Aber auch kein Ge-
ringerer kan mich losſprechen, als du, Herr Jeſu!

Du Held, des Todes Koͤcher
Ward auf dich ausgeleert!
Vertritt mich, wann der Raͤcher
Mein ſtrafbar Blut begehrt!
Ja! einſt, wann Laſter Rache ſchrei’n!
Dann kanſt, dann wirſt du Schntzgott ſeyn!
Der
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[224[254]/0261] Der 17te April. Gott! wie wundervoll und erhaben ſind die Werke deiner Schoͤpfung! Dein Nordſchein erleuchtet den Pol, wenn ein hal- bes Jahr hindurch kein belebender Sonnenſtral ihn beſcheinet. Deine Morgenroͤthe iſt eine Vorbereitung des Auges zur Ertra- gung eines hellern Lichts, und deine Abenddaͤmmerung komt der ſchleunigen, und unſern empfindlichen Augen hoͤchſtſchaͤdlichen, Abwechſelung von Licht und Finſterniß zu ſtatten. Sie ſetzet ei- ner beſorglichen Verblendung Graͤnzen. O! daß doch auch eine jede derſelben meiner geiſtlichen Verblendung Graͤnzen ſetzte! Daß doch jede untergehende Sonne in mir den Gedanken erregte: vie- leicht ſah ich ſie zum letztenmal! Daß doch jeder Stern mir die Moͤglichkeit predigte: ehe denn ich vor dem Lichte der Sonne ver- loͤſchen werde, koͤnnen deine Augen im Tode verloſchen ſeyn! Und endlich iſt doch eine Nacht die letzte. Num ſo ſoll denn hinfort eine jede mir ein Vorbote der Grabesnacht ſeyn. Nie will ich die naͤchtliche Ruhe ſuchen ohne mir den Tod lebhaft vor Augen zu ſtellen. Und o! daß ich, ohne zu erroͤth_n, auch jetzt Rechenſchaft von meinem heutigen Lebenswandel ablegen koͤnte! Aber, wie viele Zeugen treten abermals wider mich auf, mich der Gnade Gottes unwuͤrdig zu erklaͤren! Beleidigte Naͤch- ſten, vernachlaͤßige Armen, meine leere Seele — Jedoch, nur dir, Herr der Sonnen und Welten! Dir nur und keinem Geringern habe ich geſuͤndiget. Aber auch kein Ge- ringerer kan mich losſprechen, als du, Herr Jeſu! Du Held, des Todes Koͤcher Ward auf dich ausgeleert! Vertritt mich, wann der Raͤcher Mein ſtrafbar Blut begehrt! Ja! einſt, wann Laſter Rache ſchrei’n! Dann kanſt, dann wirſt du Schntzgott ſeyn! Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 224[254]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/261>, abgerufen am 24.11.2024.