wir jetzt haben. Man setze hinzu: daß sie sich nach der Faßlichkeit und dem Geschmack ihrer Zuhörer, zugleich aber auch nach den Einwürfen ihrer Gegner richten mußten. Indessen merzten sie doch die schöne Wissenschaften noch nicht aus ihrem Vortrage aus. Basilius der Grosse war mehr als Kirchenvater; er redet von den sechs Schö- pfungstagen als Philosoph und Naturforscher. Freilich würde er heut zu tage noch besser davon reden: aber er, Origenes, Eusebius, Gregorius von Nazianz, Hieronymus und Clemens von Alexandrien gehören auch vornemlich zu der kleinen Zahl der Kirchenväter, wel- che eine ausgebreitete Gelehrsamkeit besassen.
Die Ketzereien vermehrten und verbitterten sich: die Polemik ward das Hauptstudium. Sie rief eine spitz- fündige Dialektik, dürre Metaphysik und bannstralende Concilien zu Hülfe. Man wolte über die Heterodoxen (Falschgläubige) triumphiren, und vergaß darüber die Er- bauung seiner Glaubensgenossen. Man gieng auf die Wolfsjagd, und verabsäumte die Schafe zu weiden. Nichts aber verengerte mehr den Gesichtskreis der Theo- logie, als die Klöster. In welchem Zustande mußte sich die Religion befinden, als die Araber die größte Aerzte und Gelehrten waren! Die Erbauung nahm also immer mehr ab; scholastische Grillenfängereien und Legenden waren die Ingredienzen der Predigten. Wer nicht glauben wolte, ward in den Bann gethan: damit war es aus. Man lernte Gebetsformeln und vorgeschriebne Leibesstellungen auswendig, fastete, hörte fleißig Messe und gab Geld: auf die Predigt achtete man nicht einmal; und es war auch eben so gut. Kurz: die Theologen studirten mehr die Natur der Wörter, als der Menschen. So wie Cartesius und
seine
Vorrede
wir jetzt haben. Man ſetze hinzu: daß ſie ſich nach der Faßlichkeit und dem Geſchmack ihrer Zuhoͤrer, zugleich aber auch nach den Einwuͤrfen ihrer Gegner richten mußten. Indeſſen merzten ſie doch die ſchoͤne Wiſſenſchaften noch nicht aus ihrem Vortrage aus. Baſilius der Groſſe war mehr als Kirchenvater; er redet von den ſechs Schoͤ- pfungstagen als Philoſoph und Naturforſcher. Freilich wuͤrde er heut zu tage noch beſſer davon reden: aber er, Origenes, Euſebius, Gregorius von Nazianz, Hieronymus und Clemens von Alexandrien gehoͤren auch vornemlich zu der kleinen Zahl der Kirchenvaͤter, wel- che eine ausgebreitete Gelehrſamkeit beſaſſen.
Die Ketzereien vermehrten und verbitterten ſich: die Polemik ward das Hauptſtudium. Sie rief eine ſpitz- fuͤndige Dialektik, duͤrre Metaphyſik und bannſtralende Concilien zu Huͤlfe. Man wolte uͤber die Heterodoxen (Falſchglaͤubige) triumphiren, und vergaß daruͤber die Er- bauung ſeiner Glaubensgenoſſen. Man gieng auf die Wolfsjagd, und verabſaͤumte die Schafe zu weiden. Nichts aber verengerte mehr den Geſichtskreis der Theo- logie, als die Kloͤſter. In welchem Zuſtande mußte ſich die Religion befinden, als die Araber die groͤßte Aerzte und Gelehrten waren! Die Erbauung nahm alſo immer mehr ab; ſcholaſtiſche Grillenfaͤngereien und Legenden waren die Ingredienzen der Predigten. Wer nicht glauben wolte, ward in den Bann gethan: damit war es aus. Man lernte Gebetsformeln und vorgeſchriebne Leibesſtellungen auswendig, faſtete, hoͤrte fleißig Meſſe und gab Geld: auf die Predigt achtete man nicht einmal; und es war auch eben ſo gut. Kurz: die Theologen ſtudirten mehr die Natur der Woͤrter, als der Menſchen. So wie Carteſius und
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Vorrede
wir jetzt haben. Man ſetze hinzu: daß ſie ſich nach der
Faßlichkeit und dem Geſchmack ihrer Zuhoͤrer, zugleich aber
auch nach den Einwuͤrfen ihrer Gegner richten mußten.
Indeſſen merzten ſie doch die ſchoͤne Wiſſenſchaften noch
nicht aus ihrem Vortrage aus. Baſilius der Groſſe
war mehr als Kirchenvater; er redet von den ſechs Schoͤ-
pfungstagen als Philoſoph und Naturforſcher. Freilich
wuͤrde er heut zu tage noch beſſer davon reden: aber er,
Origenes, Euſebius, Gregorius von Nazianz,
Hieronymus und Clemens von Alexandrien gehoͤren
auch vornemlich zu der kleinen Zahl der Kirchenvaͤter, wel-
che eine ausgebreitete Gelehrſamkeit beſaſſen.
Die Ketzereien vermehrten und verbitterten ſich: die
Polemik ward das Hauptſtudium. Sie rief eine ſpitz-
fuͤndige Dialektik, duͤrre Metaphyſik und bannſtralende
Concilien zu Huͤlfe. Man wolte uͤber die Heterodoxen
(Falſchglaͤubige) triumphiren, und vergaß daruͤber die Er-
bauung ſeiner Glaubensgenoſſen. Man gieng auf die
Wolfsjagd, und verabſaͤumte die Schafe zu weiden.
Nichts aber verengerte mehr den Geſichtskreis der Theo-
logie, als die Kloͤſter. In welchem Zuſtande mußte ſich
die Religion befinden, als die Araber die groͤßte Aerzte und
Gelehrten waren! Die Erbauung nahm alſo immer mehr
ab; ſcholaſtiſche Grillenfaͤngereien und Legenden waren die
Ingredienzen der Predigten. Wer nicht glauben wolte,
ward in den Bann gethan: damit war es aus. Man
lernte Gebetsformeln und vorgeſchriebne Leibesſtellungen
auswendig, faſtete, hoͤrte fleißig Meſſe und gab Geld: auf
die Predigt achtete man nicht einmal; und es war auch eben
ſo gut. Kurz: die Theologen ſtudirten mehr die Natur
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/29>, abgerufen am 16.07.2024.
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