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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 7te Mai.
Es müssen, wenn unser Wohlstand bestehen soll, der schädlichen
Thiere weit mehr umkommen, als der nützlichen. Der Allweise
sorgte für das |alles genau. Einige Raubthiere vermehren sich
wenig, und sind nicht so klug als stark: dahin Löwen und Tiger.
Andre reiben sich unter einander selbst auf, welches nützliche Thiere
nicht thun: z. E. Spinnen und Ratzen; oder ihre junge Brut die-
net andern zur Speise: so werden die jungen Krokodillen häufig
von Fischen und selbst von alten Krokodillen weggefangen. Einige
müssen den Winter durch schlafen; andre ihre Beute sehr lang-
sam verdauen, dahin Schlangen und Krokodille, welche die Thiere
ganz verschlucken, oder, wie sonderlich die letzten, sich im Noth-
fall mit Holz und grossen Steinen abfinden. Einige verstehen sich
aufs Hungern, als Schlangen, Bären und Wälfe; andre sind
zu träge, zu steif, oder zu furchtsam, als daß sie allen möglichen
Schaden thäten. Jst das nicht alles Vorsorge Gottes für uns
und unsre nützlichen Thiere? Und dennoch begreifen wir noch das
wenigste. Wölfe und Füchse sind wol zehnmal so fruchtbar als
die Schafe: aber wo bleibt die Fruchtbarkeit von jenen? Nachti-
gallen sind zärtlicher Natur, nicht eben sehr fruchtbar; sie haben
viele Einfalt und Feinde, und dennoch mangelt es in warmen
Gegenden an ihnen nicht. Sperlinge hingegen sind äusserst hart,
fruchtbar, verschmitzt, und sind so unwerth, daß sie niemand
fangen mag: so auch Schwalben, Krähen, Dohlen und derglei-
chen. Man solte glauben, nach zehn Jahren würden die Lüfte
von ihnen wimmeln; aber es sind ihrer nicht mehr und nicht we-
niger, als vor tausend Jahren.

O! so falle ich dir denn, Allweiser! in deine Vaterarme.
Soltest du nicht meine Bedürfnisse kennen, der du jetzt so viele
nackende Vögel in ihren Nestern erhältst? Jch bin dein Ebenbild,
dein Erlöseter: kein Haar auf meinem Haupt, kein Othemzug
während meines Schlafs kan dir unbekant, oder gleichgültig seyn!
Es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr! nicht alles
wissest!

Der

Der 7te Mai.
Es muͤſſen, wenn unſer Wohlſtand beſtehen ſoll, der ſchaͤdlichen
Thiere weit mehr umkommen, als der nuͤtzlichen. Der Allweiſe
ſorgte fuͤr das |alles genau. Einige Raubthiere vermehren ſich
wenig, und ſind nicht ſo klug als ſtark: dahin Loͤwen und Tiger.
Andre reiben ſich unter einander ſelbſt auf, welches nuͤtzliche Thiere
nicht thun: z. E. Spinnen und Ratzen; oder ihre junge Brut die-
net andern zur Speiſe: ſo werden die jungen Krokodillen haͤufig
von Fiſchen und ſelbſt von alten Krokodillen weggefangen. Einige
muͤſſen den Winter durch ſchlafen; andre ihre Beute ſehr lang-
ſam verdauen, dahin Schlangen und Krokodille, welche die Thiere
ganz verſchlucken, oder, wie ſonderlich die letzten, ſich im Noth-
fall mit Holz und groſſen Steinen abfinden. Einige verſtehen ſich
aufs Hungern, als Schlangen, Baͤren und Waͤlfe; andre ſind
zu traͤge, zu ſteif, oder zu furchtſam, als daß ſie allen moͤglichen
Schaden thaͤten. Jſt das nicht alles Vorſorge Gottes fuͤr uns
und unſre nuͤtzlichen Thiere? Und dennoch begreifen wir noch das
wenigſte. Woͤlfe und Fuͤchſe ſind wol zehnmal ſo fruchtbar als
die Schafe: aber wo bleibt die Fruchtbarkeit von jenen? Nachti-
gallen ſind zaͤrtlicher Natur, nicht eben ſehr fruchtbar; ſie haben
viele Einfalt und Feinde, und dennoch mangelt es in warmen
Gegenden an ihnen nicht. Sperlinge hingegen ſind aͤuſſerſt hart,
fruchtbar, verſchmitzt, und ſind ſo unwerth, daß ſie niemand
fangen mag: ſo auch Schwalben, Kraͤhen, Dohlen und derglei-
chen. Man ſolte glauben, nach zehn Jahren wuͤrden die Luͤfte
von ihnen wimmeln; aber es ſind ihrer nicht mehr und nicht we-
niger, als vor tauſend Jahren.

O! ſo falle ich dir denn, Allweiſer! in deine Vaterarme.
Solteſt du nicht meine Beduͤrfniſſe kennen, der du jetzt ſo viele
nackende Voͤgel in ihren Neſtern erhaͤltſt? Jch bin dein Ebenbild,
dein Erloͤſeter: kein Haar auf meinem Haupt, kein Othemzug
waͤhrend meines Schlafs kan dir unbekant, oder gleichguͤltig ſeyn!
Es iſt kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr! nicht alles
wiſſeſt!

Der
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[266[296]/0303] Der 7te Mai. Es muͤſſen, wenn unſer Wohlſtand beſtehen ſoll, der ſchaͤdlichen Thiere weit mehr umkommen, als der nuͤtzlichen. Der Allweiſe ſorgte fuͤr das |alles genau. Einige Raubthiere vermehren ſich wenig, und ſind nicht ſo klug als ſtark: dahin Loͤwen und Tiger. Andre reiben ſich unter einander ſelbſt auf, welches nuͤtzliche Thiere nicht thun: z. E. Spinnen und Ratzen; oder ihre junge Brut die- net andern zur Speiſe: ſo werden die jungen Krokodillen haͤufig von Fiſchen und ſelbſt von alten Krokodillen weggefangen. Einige muͤſſen den Winter durch ſchlafen; andre ihre Beute ſehr lang- ſam verdauen, dahin Schlangen und Krokodille, welche die Thiere ganz verſchlucken, oder, wie ſonderlich die letzten, ſich im Noth- fall mit Holz und groſſen Steinen abfinden. Einige verſtehen ſich aufs Hungern, als Schlangen, Baͤren und Waͤlfe; andre ſind zu traͤge, zu ſteif, oder zu furchtſam, als daß ſie allen moͤglichen Schaden thaͤten. Jſt das nicht alles Vorſorge Gottes fuͤr uns und unſre nuͤtzlichen Thiere? Und dennoch begreifen wir noch das wenigſte. Woͤlfe und Fuͤchſe ſind wol zehnmal ſo fruchtbar als die Schafe: aber wo bleibt die Fruchtbarkeit von jenen? Nachti- gallen ſind zaͤrtlicher Natur, nicht eben ſehr fruchtbar; ſie haben viele Einfalt und Feinde, und dennoch mangelt es in warmen Gegenden an ihnen nicht. Sperlinge hingegen ſind aͤuſſerſt hart, fruchtbar, verſchmitzt, und ſind ſo unwerth, daß ſie niemand fangen mag: ſo auch Schwalben, Kraͤhen, Dohlen und derglei- chen. Man ſolte glauben, nach zehn Jahren wuͤrden die Luͤfte von ihnen wimmeln; aber es ſind ihrer nicht mehr und nicht we- niger, als vor tauſend Jahren. O! ſo falle ich dir denn, Allweiſer! in deine Vaterarme. Solteſt du nicht meine Beduͤrfniſſe kennen, der du jetzt ſo viele nackende Voͤgel in ihren Neſtern erhaͤltſt? Jch bin dein Ebenbild, dein Erloͤſeter: kein Haar auf meinem Haupt, kein Othemzug waͤhrend meines Schlafs kan dir unbekant, oder gleichguͤltig ſeyn! Es iſt kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr! nicht alles wiſſeſt! Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 266[296]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/303>, abgerufen am 21.11.2024.