Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


Der 7te Mai.
Gott sieht mit gleichem Aug', als Schöpfer überall;
Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall.


Wenn ich den Verheissungen deiner Offenbarung nicht trauen
will, dann stellest du mir, o Gott! so viele Beweise in
der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube beschämet wird.
Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart beweiset dei-
ne allgemeine Vorsehung.

Keine Thierart stirbt gänzlich aus, und wenn sie auch Men-
schen, Elemente und viele andre Thiere zu erklärten Feinden hätte.
Alle Gattungen, die vor Adam vorübergingen, und ihren Na-
men erhielten, sind noch vorhanden. Jst das ein blindes Ohn-
gefehr? Es gehöret die genaueste Abmessung und höchste Weis-
heit dazu, wenn kein Thiergeschlecht die Oberhand über seine Ne-
benbuhler oder natürliche Gegner erhalten soll. Man bedenke
nur, wie wenig wir Menschen hiebei thun können, die wir zwar
einzelne Thiere, aber nicht ganze Geschlechter tödten oder erhal-
ten mögen. Wenn die Fluren mit Feldmäusen erst bedeckt sind,
dann können wir nur seufzen oder beten. Wer kan diese frucht-
bare Völkerschaften wieder ausrotten? und fünf Jahre dürften
sie nur unausgerottet bleiben: dann stürben die Menschen hungers.
So sind auch Heuschrecken, Raupen, und andre schädliche Thiere,
den Menschen unvertilgbar; ja, unsre Vorkehrungen sind mei-
stens Aeckern und Bäumen sehr schädlich. Nur Gott kan aus-
rotten, ohne schädliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie?

Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge-
schöpfe leben blieben, welche in diesem Monat ausschliefen oder
das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut
darauf gehe: so sind wir nach solchen drei Jahren höchst unglücklich.

Es
R 5


Der 7te Mai.
Gott ſieht mit gleichem Aug’, als Schoͤpfer uͤberall;
Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall.


Wenn ich den Verheiſſungen deiner Offenbarung nicht trauen
will, dann ſtelleſt du mir, o Gott! ſo viele Beweiſe in
der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube beſchaͤmet wird.
Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart beweiſet dei-
ne allgemeine Vorſehung.

Keine Thierart ſtirbt gaͤnzlich aus, und wenn ſie auch Men-
ſchen, Elemente und viele andre Thiere zu erklaͤrten Feinden haͤtte.
Alle Gattungen, die vor Adam voruͤbergingen, und ihren Na-
men erhielten, ſind noch vorhanden. Jſt das ein blindes Ohn-
gefehr? Es gehoͤret die genaueſte Abmeſſung und hoͤchſte Weis-
heit dazu, wenn kein Thiergeſchlecht die Oberhand uͤber ſeine Ne-
benbuhler oder natuͤrliche Gegner erhalten ſoll. Man bedenke
nur, wie wenig wir Menſchen hiebei thun koͤnnen, die wir zwar
einzelne Thiere, aber nicht ganze Geſchlechter toͤdten oder erhal-
ten moͤgen. Wenn die Fluren mit Feldmaͤuſen erſt bedeckt ſind,
dann koͤnnen wir nur ſeufzen oder beten. Wer kan dieſe frucht-
bare Voͤlkerſchaften wieder ausrotten? und fuͤnf Jahre duͤrften
ſie nur unausgerottet bleiben: dann ſtuͤrben die Menſchen hungers.
So ſind auch Heuſchrecken, Raupen, und andre ſchaͤdliche Thiere,
den Menſchen unvertilgbar; ja, unſre Vorkehrungen ſind mei-
ſtens Aeckern und Baͤumen ſehr ſchaͤdlich. Nur Gott kan aus-
rotten, ohne ſchaͤdliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie?

Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge-
ſchoͤpfe leben blieben, welche in dieſem Monat ausſchliefen oder
das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut
darauf gehe: ſo ſind wir nach ſolchen drei Jahren hoͤchſt ungluͤcklich.

Es
R 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0302" n="265[295]"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der 7<hi rendition="#sup">te</hi> Mai.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">G</hi>ott &#x017F;ieht mit gleichem Aug&#x2019;, als Scho&#x0364;pfer u&#x0364;berall;</l><lb/>
              <l>Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall.</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>enn ich den Verhei&#x017F;&#x017F;ungen deiner Offenbarung nicht trauen<lb/>
will, dann &#x017F;telle&#x017F;t du mir, o Gott! &#x017F;o viele Bewei&#x017F;e in<lb/>
der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube be&#x017F;cha&#x0364;met wird.<lb/><hi rendition="#fr">Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart</hi> bewei&#x017F;et dei-<lb/>
ne allgemeine Vor&#x017F;ehung.</p><lb/>
            <p>Keine Thierart &#x017F;tirbt ga&#x0364;nzlich aus, und wenn &#x017F;ie auch Men-<lb/>
&#x017F;chen, Elemente und viele andre Thiere zu erkla&#x0364;rten Feinden ha&#x0364;tte.<lb/>
Alle Gattungen, die vor Adam voru&#x0364;bergingen, und ihren Na-<lb/>
men erhielten, &#x017F;ind noch vorhanden. J&#x017F;t das ein blindes Ohn-<lb/>
gefehr? Es geho&#x0364;ret die genaue&#x017F;te Abme&#x017F;&#x017F;ung und ho&#x0364;ch&#x017F;te Weis-<lb/>
heit dazu, wenn kein Thierge&#x017F;chlecht die Oberhand u&#x0364;ber &#x017F;eine Ne-<lb/>
benbuhler oder natu&#x0364;rliche Gegner erhalten &#x017F;oll. Man bedenke<lb/>
nur, wie wenig wir Men&#x017F;chen hiebei thun ko&#x0364;nnen, die wir zwar<lb/>
einzelne Thiere, aber nicht ganze Ge&#x017F;chlechter to&#x0364;dten oder erhal-<lb/>
ten mo&#x0364;gen. Wenn die Fluren mit Feldma&#x0364;u&#x017F;en er&#x017F;t bedeckt &#x017F;ind,<lb/>
dann ko&#x0364;nnen wir nur &#x017F;eufzen oder beten. Wer kan die&#x017F;e frucht-<lb/>
bare Vo&#x0364;lker&#x017F;chaften wieder ausrotten? und fu&#x0364;nf Jahre du&#x0364;rften<lb/>
&#x017F;ie nur unausgerottet bleiben: dann &#x017F;tu&#x0364;rben die Men&#x017F;chen hungers.<lb/>
So &#x017F;ind auch Heu&#x017F;chrecken, Raupen, und andre &#x017F;cha&#x0364;dliche Thiere,<lb/>
den Men&#x017F;chen unvertilgbar; ja, un&#x017F;re Vorkehrungen &#x017F;ind mei-<lb/>
&#x017F;tens Aeckern und Ba&#x0364;umen &#x017F;ehr &#x017F;cha&#x0364;dlich. Nur Gott kan aus-<lb/>
rotten, ohne &#x017F;cha&#x0364;dliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie?</p><lb/>
            <p>Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfe leben blieben, welche in die&#x017F;em Monat aus&#x017F;chliefen oder<lb/>
das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut<lb/>
darauf gehe: &#x017F;o &#x017F;ind wir nach &#x017F;olchen drei Jahren ho&#x0364;ch&#x017F;t unglu&#x0364;cklich.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265[295]/0302] Der 7te Mai. Gott ſieht mit gleichem Aug’, als Schoͤpfer uͤberall; Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall. Wenn ich den Verheiſſungen deiner Offenbarung nicht trauen will, dann ſtelleſt du mir, o Gott! ſo viele Beweiſe in der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube beſchaͤmet wird. Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart beweiſet dei- ne allgemeine Vorſehung. Keine Thierart ſtirbt gaͤnzlich aus, und wenn ſie auch Men- ſchen, Elemente und viele andre Thiere zu erklaͤrten Feinden haͤtte. Alle Gattungen, die vor Adam voruͤbergingen, und ihren Na- men erhielten, ſind noch vorhanden. Jſt das ein blindes Ohn- gefehr? Es gehoͤret die genaueſte Abmeſſung und hoͤchſte Weis- heit dazu, wenn kein Thiergeſchlecht die Oberhand uͤber ſeine Ne- benbuhler oder natuͤrliche Gegner erhalten ſoll. Man bedenke nur, wie wenig wir Menſchen hiebei thun koͤnnen, die wir zwar einzelne Thiere, aber nicht ganze Geſchlechter toͤdten oder erhal- ten moͤgen. Wenn die Fluren mit Feldmaͤuſen erſt bedeckt ſind, dann koͤnnen wir nur ſeufzen oder beten. Wer kan dieſe frucht- bare Voͤlkerſchaften wieder ausrotten? und fuͤnf Jahre duͤrften ſie nur unausgerottet bleiben: dann ſtuͤrben die Menſchen hungers. So ſind auch Heuſchrecken, Raupen, und andre ſchaͤdliche Thiere, den Menſchen unvertilgbar; ja, unſre Vorkehrungen ſind mei- ſtens Aeckern und Baͤumen ſehr ſchaͤdlich. Nur Gott kan aus- rotten, ohne ſchaͤdliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie? Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge- ſchoͤpfe leben blieben, welche in dieſem Monat ausſchliefen oder das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut darauf gehe: ſo ſind wir nach ſolchen drei Jahren hoͤchſt ungluͤcklich. Es R 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/302
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 265[295]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/302>, abgerufen am 21.11.2024.