Gib mir ein Herz voll Zuversicht, Erfüllt mit Lieb und Ruhe, Ein weises Herz, das seine Pflicht Erkenn und willig thue! Daß ich, als ein getreues Kind Nach deinem Reiche strebe; Gerecht und fromm und keuschgesinnt Durch deine Gnade lebe!
Lieber Vater im Himmel! -- ach! könte ich doch mit War- heit hinzusetzen: ich dein liebes Kind auf Erden, will mich jetzt noch einige Minuten mit dir unterhalten! Wie zärtlich wallet dein Herz gegen mich! Hätte die Erde noch ein Bild von einer feurigern Liebe, als zwischen Eltern und Kinder, oder zwischen Bräutigam und Braut statt findet: du hättest gewiß deine Jn- brunst gegen mich, in der heiligen Schrift damit bezeichnet. Va- ter! und zwar ohne alle Fehler irdischer Eltern, Bruder! Freund! Seelenbräutigam! Alle diese zärtliche Namen fodern meine Ehr- furcht, kindliche Liebe gegen Gott und Zuversicht auf.
Jch kan also sicher meine Sorgen in deinen Schooß legen, sicher mit dem verlornen Sohn zurückkehren, ganz sicher Hülfe und Erbtheil von dir erwarten. Sündige ich, so liege ich in mei- nem Blute vor dir, und dich jammert mein. Thue ich Busse, so ist Freude im Himmel darüber. Strauchle ich, so sind En- gel zu meinem Dienste ausgesandt. Sterbe ich als dein Kind: so führen mich selige Geister, Jesus führet mich in mein Erbreich ein, das mir bereitet ward von Anbeginn der Welt. Vater! -- o! ich denke mir noch immer viel zu wenig bei diesem Begriffe!
Der
T 3
Der 21te Mai.
Gib mir ein Herz voll Zuverſicht, Erfuͤllt mit Lieb und Ruhe, Ein weiſes Herz, das ſeine Pflicht Erkenn und willig thue! Daß ich, als ein getreues Kind Nach deinem Reiche ſtrebe; Gerecht und fromm und keuſchgeſinnt Durch deine Gnade lebe!
Lieber Vater im Himmel! — ach! koͤnte ich doch mit War- heit hinzuſetzen: ich dein liebes Kind auf Erden, will mich jetzt noch einige Minuten mit dir unterhalten! Wie zaͤrtlich wallet dein Herz gegen mich! Haͤtte die Erde noch ein Bild von einer feurigern Liebe, als zwiſchen Eltern und Kinder, oder zwiſchen Braͤutigam und Braut ſtatt findet: du haͤtteſt gewiß deine Jn- brunſt gegen mich, in der heiligen Schrift damit bezeichnet. Va- ter! und zwar ohne alle Fehler irdiſcher Eltern, Bruder! Freund! Seelenbraͤutigam! Alle dieſe zaͤrtliche Namen fodern meine Ehr- furcht, kindliche Liebe gegen Gott und Zuverſicht auf.
Jch kan alſo ſicher meine Sorgen in deinen Schooß legen, ſicher mit dem verlornen Sohn zuruͤckkehren, ganz ſicher Huͤlfe und Erbtheil von dir erwarten. Suͤndige ich, ſo liege ich in mei- nem Blute vor dir, und dich jammert mein. Thue ich Buſſe, ſo iſt Freude im Himmel daruͤber. Strauchle ich, ſo ſind En- gel zu meinem Dienſte ausgeſandt. Sterbe ich als dein Kind: ſo fuͤhren mich ſelige Geiſter, Jeſus fuͤhret mich in mein Erbreich ein, das mir bereitet ward von Anbeginn der Welt. Vater! — o! ich denke mir noch immer viel zu wenig bei dieſem Begriffe!
Der
T 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0330"n="293[323]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Der 21<hirendition="#sup">te</hi> Mai.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">G</hi>ib mir ein Herz voll Zuverſicht,</l><lb/><l>Erfuͤllt mit Lieb und Ruhe,</l><lb/><l>Ein weiſes Herz, das ſeine Pflicht</l><lb/><l>Erkenn und willig thue!</l><lb/><l>Daß ich, als ein getreues Kind</l><lb/><l>Nach deinem Reiche ſtrebe;</l><lb/><l>Gerecht und fromm und keuſchgeſinnt</l><lb/><l>Durch deine Gnade lebe!</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">L</hi>ieber Vater im Himmel! — ach! koͤnte ich doch mit War-<lb/>
heit hinzuſetzen: ich dein liebes Kind auf Erden, will mich jetzt<lb/>
noch einige Minuten mit dir unterhalten! Wie zaͤrtlich wallet<lb/>
dein Herz gegen mich! Haͤtte die Erde noch ein Bild von einer<lb/>
feurigern Liebe, als zwiſchen Eltern und Kinder, oder zwiſchen<lb/>
Braͤutigam und Braut ſtatt findet: du haͤtteſt gewiß deine Jn-<lb/>
brunſt gegen mich, in der heiligen Schrift damit bezeichnet. Va-<lb/>
ter! und zwar ohne alle Fehler irdiſcher Eltern, Bruder! Freund!<lb/>
Seelenbraͤutigam! Alle dieſe zaͤrtliche Namen fodern meine Ehr-<lb/>
furcht, <hirendition="#fr">kindliche Liebe gegen Gott</hi> und Zuverſicht auf.</p><lb/><p>Jch kan alſo ſicher meine Sorgen in deinen Schooß legen,<lb/>ſicher mit dem verlornen Sohn zuruͤckkehren, ganz ſicher Huͤlfe<lb/>
und Erbtheil von dir erwarten. Suͤndige ich, ſo liege ich in mei-<lb/>
nem Blute vor dir, und dich jammert mein. Thue ich Buſſe,<lb/>ſo iſt Freude im Himmel daruͤber. Strauchle ich, ſo ſind En-<lb/>
gel zu meinem Dienſte ausgeſandt. Sterbe ich als dein Kind:<lb/>ſo fuͤhren mich ſelige Geiſter, Jeſus fuͤhret mich in mein Erbreich<lb/>
ein, das mir bereitet ward von Anbeginn der Welt. Vater! —<lb/>
o! ich denke mir noch immer viel zu wenig bei dieſem Begriffe!<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Der</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[293[323]/0330]
Der 21te Mai.
Gib mir ein Herz voll Zuverſicht,
Erfuͤllt mit Lieb und Ruhe,
Ein weiſes Herz, das ſeine Pflicht
Erkenn und willig thue!
Daß ich, als ein getreues Kind
Nach deinem Reiche ſtrebe;
Gerecht und fromm und keuſchgeſinnt
Durch deine Gnade lebe!
Lieber Vater im Himmel! — ach! koͤnte ich doch mit War-
heit hinzuſetzen: ich dein liebes Kind auf Erden, will mich jetzt
noch einige Minuten mit dir unterhalten! Wie zaͤrtlich wallet
dein Herz gegen mich! Haͤtte die Erde noch ein Bild von einer
feurigern Liebe, als zwiſchen Eltern und Kinder, oder zwiſchen
Braͤutigam und Braut ſtatt findet: du haͤtteſt gewiß deine Jn-
brunſt gegen mich, in der heiligen Schrift damit bezeichnet. Va-
ter! und zwar ohne alle Fehler irdiſcher Eltern, Bruder! Freund!
Seelenbraͤutigam! Alle dieſe zaͤrtliche Namen fodern meine Ehr-
furcht, kindliche Liebe gegen Gott und Zuverſicht auf.
Jch kan alſo ſicher meine Sorgen in deinen Schooß legen,
ſicher mit dem verlornen Sohn zuruͤckkehren, ganz ſicher Huͤlfe
und Erbtheil von dir erwarten. Suͤndige ich, ſo liege ich in mei-
nem Blute vor dir, und dich jammert mein. Thue ich Buſſe,
ſo iſt Freude im Himmel daruͤber. Strauchle ich, ſo ſind En-
gel zu meinem Dienſte ausgeſandt. Sterbe ich als dein Kind:
ſo fuͤhren mich ſelige Geiſter, Jeſus fuͤhret mich in mein Erbreich
ein, das mir bereitet ward von Anbeginn der Welt. Vater! —
o! ich denke mir noch immer viel zu wenig bei dieſem Begriffe!
Der
T 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 293[323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/330>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.