Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.Der 11te Junius. &q;Pöbel vorgezogen werden; Pöbel aber heisse ich alles, was schlecht&q;gekleidet geht. Um endlich recht billig zu seyn, biete ich jedem &q;für baare Bezahlung, es sey an Geld, Schmeicheleien, Ver- &q;mächtniß oder Handarbeit, einen hohen Rang an. Nur die &q;beiden ersten Plätze ausgenommen, welche durch mich und die &q;Meinigen zu gut besetzt sind, als daß irgend ein Mensch --" Schweig alberner Mensch! und höre Gottes Rangordnung. Mein hiesiger Rang heisset nichts. Jch bestimme ihn mir Der
Der 11te Junius. &q;Poͤbel vorgezogen werden; Poͤbel aber heiſſe ich alles, was ſchlecht&q;gekleidet geht. Um endlich recht billig zu ſeyn, biete ich jedem &q;fuͤr baare Bezahlung, es ſey an Geld, Schmeicheleien, Ver- &q;maͤchtniß oder Handarbeit, einen hohen Rang an. Nur die &q;beiden erſten Plaͤtze ausgenommen, welche durch mich und die &q;Meinigen zu gut beſetzt ſind, als daß irgend ein Menſch —„ Schweig alberner Menſch! und hoͤre Gottes Rangordnung. Mein hieſiger Rang heiſſet nichts. Jch beſtimme ihn mir Der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0375" n="338[368]"/><fw place="top" type="header">Der 11<hi rendition="#sup">te</hi> Junius.</fw><lb/> &q;Poͤbel vorgezogen werden; Poͤbel aber heiſſe ich alles, was ſchlecht<lb/> &q;gekleidet geht. Um endlich recht billig zu ſeyn, biete ich jedem<lb/> &q;fuͤr baare Bezahlung, es ſey an Geld, Schmeicheleien, Ver-<lb/> &q;maͤchtniß oder Handarbeit, einen hohen Rang an. Nur die<lb/> &q;beiden erſten Plaͤtze ausgenommen, welche durch mich und die<lb/> &q;Meinigen zu gut beſetzt ſind, als daß irgend ein Menſch —„</p><lb/> <p>Schweig alberner Menſch! und hoͤre Gottes Rangordnung.<lb/> Vor ihm gilt kein Anſehen der Perſon. Nur wer ihn fuͤrchtet<lb/> und recht thut, iſt ihm angenehm. Der Maaßſtab, nach wel-<lb/> chem du ordneſt, iſt kindiſch, und verraͤth deine eigennuͤtzige<lb/> Sinnlichkeit. Der Unterſchied der Staͤnde iſt eine weiſe Ein-<lb/> richtung Gottes, nicht fuͤr den Himmel, ſondern fuͤr die Erde.<lb/> Und auch hier gilt ſie nur bis ans Schlafgemach, Krankenbette,<lb/> oder bis in den Sarg. Es iſt eine Verzierung, die nur Einen<lb/> Aufzug im Vorſpiel durchdauert. Dort aber in der Ewigkeit<lb/> beſtimmt nur die Seele den Rang. Tugenden, nicht aber aus-<lb/> ſtehende Kapitale; Gottesfurcht, und nicht pergamentne Vorzuͤge;<lb/> Menſchenliebe, nicht jene, welche in der Geſchwindigkeit nach-<lb/> rechnet, wie hoch ſie ſich bezahlt machen kan; Lob Gottes, recht-<lb/> ſchafnes Leben und ſeliges Ende: o! das ſind Guͤter (es mag ſie<lb/> der Fuͤrſt oder die aͤrmſte Wittwe bringen) gegen welche aller<lb/> hieſiger Vorzug und Rang, auf der Wage des Richters, in die<lb/> Luft fliegt. Lieber Einmal Gott angebetet, als tauſendmal von<lb/> eigennuͤtzigen Menſchen angebetet ſeyn!</p><lb/> <p>Mein hieſiger Rang heiſſet nichts. Jch beſtimme ihn mir<lb/> zu hoch, und andre ſetzen mich zu tief hinab. Mein wahrer<lb/> Rang iſt nur bei dir, heiliger und unpartheiiſcher Gott! Wenn<lb/> du mich ruͤhmeſt, ſo mag die Welt meine Kleider, Runzeln, und<lb/> andre vermeinte Gebrechen durchziehen. Bald lege ich meinen<lb/> Stab zu dem Zepter der Weltbezwingers hin, lege die verſchoßne<lb/> und zuſammengeſchrumpfte Haut ab, und lebe meines Glaubens.<lb/> O! waͤre ich doch immer recht klein in meinen Augen, wie groß<lb/> wuͤrde ich im Himmel ſeyn!</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [338[368]/0375]
Der 11te Junius.
&q;Poͤbel vorgezogen werden; Poͤbel aber heiſſe ich alles, was ſchlecht
&q;gekleidet geht. Um endlich recht billig zu ſeyn, biete ich jedem
&q;fuͤr baare Bezahlung, es ſey an Geld, Schmeicheleien, Ver-
&q;maͤchtniß oder Handarbeit, einen hohen Rang an. Nur die
&q;beiden erſten Plaͤtze ausgenommen, welche durch mich und die
&q;Meinigen zu gut beſetzt ſind, als daß irgend ein Menſch —„
Schweig alberner Menſch! und hoͤre Gottes Rangordnung.
Vor ihm gilt kein Anſehen der Perſon. Nur wer ihn fuͤrchtet
und recht thut, iſt ihm angenehm. Der Maaßſtab, nach wel-
chem du ordneſt, iſt kindiſch, und verraͤth deine eigennuͤtzige
Sinnlichkeit. Der Unterſchied der Staͤnde iſt eine weiſe Ein-
richtung Gottes, nicht fuͤr den Himmel, ſondern fuͤr die Erde.
Und auch hier gilt ſie nur bis ans Schlafgemach, Krankenbette,
oder bis in den Sarg. Es iſt eine Verzierung, die nur Einen
Aufzug im Vorſpiel durchdauert. Dort aber in der Ewigkeit
beſtimmt nur die Seele den Rang. Tugenden, nicht aber aus-
ſtehende Kapitale; Gottesfurcht, und nicht pergamentne Vorzuͤge;
Menſchenliebe, nicht jene, welche in der Geſchwindigkeit nach-
rechnet, wie hoch ſie ſich bezahlt machen kan; Lob Gottes, recht-
ſchafnes Leben und ſeliges Ende: o! das ſind Guͤter (es mag ſie
der Fuͤrſt oder die aͤrmſte Wittwe bringen) gegen welche aller
hieſiger Vorzug und Rang, auf der Wage des Richters, in die
Luft fliegt. Lieber Einmal Gott angebetet, als tauſendmal von
eigennuͤtzigen Menſchen angebetet ſeyn!
Mein hieſiger Rang heiſſet nichts. Jch beſtimme ihn mir
zu hoch, und andre ſetzen mich zu tief hinab. Mein wahrer
Rang iſt nur bei dir, heiliger und unpartheiiſcher Gott! Wenn
du mich ruͤhmeſt, ſo mag die Welt meine Kleider, Runzeln, und
andre vermeinte Gebrechen durchziehen. Bald lege ich meinen
Stab zu dem Zepter der Weltbezwingers hin, lege die verſchoßne
und zuſammengeſchrumpfte Haut ab, und lebe meines Glaubens.
O! waͤre ich doch immer recht klein in meinen Augen, wie groß
wuͤrde ich im Himmel ſeyn!
Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |