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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 15te Junius.
Dinge. Alle stürmische oder doch trübe Sonntage fallen aus.
Das Wetterglas darf über oder unter einem gewissen Grade nicht
stehen, wenn man den äussern Gottesdienst abwarten soll. Man
kan nicht gastfrei seyn, denn man kommt zu keinem wieder und
man hat seine festgesetzte Stunden zum Schlafengehen. Eben so
wenig kan man Gott über die Pracht der aufgehenden Sonne lo-
ben, denn man muß frühe den Schweiß abwarten. Noch ein
anderer hinkender Christ schränkt seine Religion und Tugend nur
auf begreifliche Gegenstände ein. Nichts ist ihm daher lästiger,
als der Gebrauch der heiligen Sakramente.

Mein Gott! bei diesen und ähnlichen Gedanken finde ich
mich allemal getroffen. Ein Beweis, daß ich deines Beistands,
und folglich des Gebets noch höchst benöthiget bin! Von meiner
jetzigen Tugend bis zu der mir möglichen, gibt es noch sehr viele
Grade. Wie weit aber werde ich kommen, wenn ich mir nicht
die Beihülfe deines guten Geistes erflehe!

Laß dir denn, grundgütiger Gott! das Gebet meines Her-
zens gefallen! Unterstütz mich, so oft ich bei sauern Tugenden
strauchle! Erinnre mich, daß die Belohnung desto grösser seyn
werde, je mißlicher der Sieg für mich war! Straf mich, so oft
es mir einfält, eine Auswahl unter deinen Geboten anzustellen;
und lehr mich bedenken, daß der dein Freund nicht ist, der es nur
halb seyn will. Hilf mir mein Gott!

Jch bin ein Mensch, du kennest mich:
Wie schwach sind meine Kräfte!
Doch, meine Seele hoft auf dich!
Du wirst zu dem Geschäfte
Der Heiligung mir Kraft verleihn,
Und mich mit deiner Hülf erfreun,
Vor dir gerecht zu leben!
Jch, dein erkauftes Heiligthum,
Will dafür deines Namens Ruhm
Jn Ewigkeit erheben!
Der

Der 15te Junius.
Dinge. Alle ſtuͤrmiſche oder doch truͤbe Sonntage fallen aus.
Das Wetterglas darf uͤber oder unter einem gewiſſen Grade nicht
ſtehen, wenn man den aͤuſſern Gottesdienſt abwarten ſoll. Man
kan nicht gaſtfrei ſeyn, denn man kommt zu keinem wieder und
man hat ſeine feſtgeſetzte Stunden zum Schlafengehen. Eben ſo
wenig kan man Gott uͤber die Pracht der aufgehenden Sonne lo-
ben, denn man muß fruͤhe den Schweiß abwarten. Noch ein
anderer hinkender Chriſt ſchraͤnkt ſeine Religion und Tugend nur
auf begreifliche Gegenſtaͤnde ein. Nichts iſt ihm daher laͤſtiger,
als der Gebrauch der heiligen Sakramente.

Mein Gott! bei dieſen und aͤhnlichen Gedanken finde ich
mich allemal getroffen. Ein Beweis, daß ich deines Beiſtands,
und folglich des Gebets noch hoͤchſt benoͤthiget bin! Von meiner
jetzigen Tugend bis zu der mir moͤglichen, gibt es noch ſehr viele
Grade. Wie weit aber werde ich kommen, wenn ich mir nicht
die Beihuͤlfe deines guten Geiſtes erflehe!

Laß dir denn, grundguͤtiger Gott! das Gebet meines Her-
zens gefallen! Unterſtuͤtz mich, ſo oft ich bei ſauern Tugenden
ſtrauchle! Erinnre mich, daß die Belohnung deſto groͤſſer ſeyn
werde, je mißlicher der Sieg fuͤr mich war! Straf mich, ſo oft
es mir einfaͤlt, eine Auswahl unter deinen Geboten anzuſtellen;
und lehr mich bedenken, daß der dein Freund nicht iſt, der es nur
halb ſeyn will. Hilf mir mein Gott!

Jch bin ein Menſch, du kenneſt mich:
Wie ſchwach ſind meine Kraͤfte!
Doch, meine Seele hoft auf dich!
Du wirſt zu dem Geſchaͤfte
Der Heiligung mir Kraft verleihn,
Und mich mit deiner Huͤlf erfreun,
Vor dir gerecht zu leben!
Jch, dein erkauftes Heiligthum,
Will dafuͤr deines Namens Ruhm
Jn Ewigkeit erheben!
Der
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[346[376]/0383] Der 15te Junius. Dinge. Alle ſtuͤrmiſche oder doch truͤbe Sonntage fallen aus. Das Wetterglas darf uͤber oder unter einem gewiſſen Grade nicht ſtehen, wenn man den aͤuſſern Gottesdienſt abwarten ſoll. Man kan nicht gaſtfrei ſeyn, denn man kommt zu keinem wieder und man hat ſeine feſtgeſetzte Stunden zum Schlafengehen. Eben ſo wenig kan man Gott uͤber die Pracht der aufgehenden Sonne lo- ben, denn man muß fruͤhe den Schweiß abwarten. Noch ein anderer hinkender Chriſt ſchraͤnkt ſeine Religion und Tugend nur auf begreifliche Gegenſtaͤnde ein. Nichts iſt ihm daher laͤſtiger, als der Gebrauch der heiligen Sakramente. Mein Gott! bei dieſen und aͤhnlichen Gedanken finde ich mich allemal getroffen. Ein Beweis, daß ich deines Beiſtands, und folglich des Gebets noch hoͤchſt benoͤthiget bin! Von meiner jetzigen Tugend bis zu der mir moͤglichen, gibt es noch ſehr viele Grade. Wie weit aber werde ich kommen, wenn ich mir nicht die Beihuͤlfe deines guten Geiſtes erflehe! Laß dir denn, grundguͤtiger Gott! das Gebet meines Her- zens gefallen! Unterſtuͤtz mich, ſo oft ich bei ſauern Tugenden ſtrauchle! Erinnre mich, daß die Belohnung deſto groͤſſer ſeyn werde, je mißlicher der Sieg fuͤr mich war! Straf mich, ſo oft es mir einfaͤlt, eine Auswahl unter deinen Geboten anzuſtellen; und lehr mich bedenken, daß der dein Freund nicht iſt, der es nur halb ſeyn will. Hilf mir mein Gott! Jch bin ein Menſch, du kenneſt mich: Wie ſchwach ſind meine Kraͤfte! Doch, meine Seele hoft auf dich! Du wirſt zu dem Geſchaͤfte Der Heiligung mir Kraft verleihn, Und mich mit deiner Huͤlf erfreun, Vor dir gerecht zu leben! Jch, dein erkauftes Heiligthum, Will dafuͤr deines Namens Ruhm Jn Ewigkeit erheben! Der

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 346[376]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/383>, abgerufen am 21.11.2024.