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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 26te Junius
Wilst du zu denken dich erkühnen,
Daß Gottes Liebe dich vergißt?
Er gibt uns mehr, als wir verdienen,
Und niemals was uns schädlich ist.
Verzehre nicht des Lebens Kräfte
Jn träger Unzufriedenheit!
Besorge deines Stands Geschäfte,
Und nütze deine Lebenszeit.


Der Selbstmord ist die scheußlichste und dummste Sünde.

Sie fodert eine unnatürliche Handlung, und bezalet sie
mit nichts, nicht einmal mit Fleischeslust oder mit Zujauchzen der
Thoren. Aber dis Laster ist auch der schwärzeste Hochverrath
gegen die göttliche Majestät. Der Selbstmörder ist ein offen-
barer Rebell im Reiche Gottes, dessen Regierung er nicht mehr
anerkennen, sondern sich, es koste was es wolle, von derselben
losreissen will. Die beste Vertheidigung eines solchen Verweg-
nen ist, daß man sagt: er sey toll. Sich das Leben nehmen,
heißt: Gottes Einrichtungen tadeln, und den Knoten der Trüb-
sale besser auflösen wollen, als er. Aber zerschneiden ist nicht
entwickeln! Und alles kan der Mensch zerschneiden und zerstören,
nur seine Abhängigkeit von Gott nicht.

Kan ein Selbstmörder mit Verstande beten, und mit
Simeon sagen: Herr! nun lässest du deinen Diener in Friede
fahren? Kan er gelassen seinen Geist in die Hände seines Vaters
befehlen? Er ist ja so mißvergnügt mit den Fügungen des
Himmels, daß er sich lieber in die Hölle betten will. Aber
siehe! der Furchtbare, dem du entfliehen woltest, ist auch da!
Und welch ein Anblick, welch ein Gericht alsdann! Strick,
Wasser, Kugel und Gift sind so schreckliche und tödtliche Kuren,
als für erfrorne Glieder die Hitze des Feuers.

Leben-


Der 26te Junius
Wilſt du zu denken dich erkuͤhnen,
Daß Gottes Liebe dich vergißt?
Er gibt uns mehr, als wir verdienen,
Und niemals was uns ſchaͤdlich iſt.
Verzehre nicht des Lebens Kraͤfte
Jn traͤger Unzufriedenheit!
Beſorge deines Stands Geſchaͤfte,
Und nuͤtze deine Lebenszeit.


Der Selbſtmord iſt die ſcheußlichſte und dummſte Suͤnde.

Sie fodert eine unnatuͤrliche Handlung, und bezalet ſie
mit nichts, nicht einmal mit Fleiſchesluſt oder mit Zujauchzen der
Thoren. Aber dis Laſter iſt auch der ſchwaͤrzeſte Hochverrath
gegen die goͤttliche Majeſtaͤt. Der Selbſtmoͤrder iſt ein offen-
barer Rebell im Reiche Gottes, deſſen Regierung er nicht mehr
anerkennen, ſondern ſich, es koſte was es wolle, von derſelben
losreiſſen will. Die beſte Vertheidigung eines ſolchen Verweg-
nen iſt, daß man ſagt: er ſey toll. Sich das Leben nehmen,
heißt: Gottes Einrichtungen tadeln, und den Knoten der Truͤb-
ſale beſſer aufloͤſen wollen, als er. Aber zerſchneiden iſt nicht
entwickeln! Und alles kan der Menſch zerſchneiden und zerſtoͤren,
nur ſeine Abhaͤngigkeit von Gott nicht.

Kan ein Selbſtmoͤrder mit Verſtande beten, und mit
Simeon ſagen: Herr! nun laͤſſeſt du deinen Diener in Friede
fahren? Kan er gelaſſen ſeinen Geiſt in die Haͤnde ſeines Vaters
befehlen? Er iſt ja ſo mißvergnuͤgt mit den Fuͤgungen des
Himmels, daß er ſich lieber in die Hoͤlle betten will. Aber
ſiehe! der Furchtbare, dem du entfliehen wolteſt, iſt auch da!
Und welch ein Anblick, welch ein Gericht alsdann! Strick,
Waſſer, Kugel und Gift ſind ſo ſchreckliche und toͤdtliche Kuren,
als fuͤr erfrorne Glieder die Hitze des Feuers.

Leben-
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[367[397]/0404] Der 26te Junius Wilſt du zu denken dich erkuͤhnen, Daß Gottes Liebe dich vergißt? Er gibt uns mehr, als wir verdienen, Und niemals was uns ſchaͤdlich iſt. Verzehre nicht des Lebens Kraͤfte Jn traͤger Unzufriedenheit! Beſorge deines Stands Geſchaͤfte, Und nuͤtze deine Lebenszeit. Der Selbſtmord iſt die ſcheußlichſte und dummſte Suͤnde. Sie fodert eine unnatuͤrliche Handlung, und bezalet ſie mit nichts, nicht einmal mit Fleiſchesluſt oder mit Zujauchzen der Thoren. Aber dis Laſter iſt auch der ſchwaͤrzeſte Hochverrath gegen die goͤttliche Majeſtaͤt. Der Selbſtmoͤrder iſt ein offen- barer Rebell im Reiche Gottes, deſſen Regierung er nicht mehr anerkennen, ſondern ſich, es koſte was es wolle, von derſelben losreiſſen will. Die beſte Vertheidigung eines ſolchen Verweg- nen iſt, daß man ſagt: er ſey toll. Sich das Leben nehmen, heißt: Gottes Einrichtungen tadeln, und den Knoten der Truͤb- ſale beſſer aufloͤſen wollen, als er. Aber zerſchneiden iſt nicht entwickeln! Und alles kan der Menſch zerſchneiden und zerſtoͤren, nur ſeine Abhaͤngigkeit von Gott nicht. Kan ein Selbſtmoͤrder mit Verſtande beten, und mit Simeon ſagen: Herr! nun laͤſſeſt du deinen Diener in Friede fahren? Kan er gelaſſen ſeinen Geiſt in die Haͤnde ſeines Vaters befehlen? Er iſt ja ſo mißvergnuͤgt mit den Fuͤgungen des Himmels, daß er ſich lieber in die Hoͤlle betten will. Aber ſiehe! der Furchtbare, dem du entfliehen wolteſt, iſt auch da! Und welch ein Anblick, welch ein Gericht alsdann! Strick, Waſſer, Kugel und Gift ſind ſo ſchreckliche und toͤdtliche Kuren, als fuͤr erfrorne Glieder die Hitze des Feuers. Leben-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 367[397]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/404>, abgerufen am 22.11.2024.