Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.Der 2te Januar. Abscheu gegen alle Sünden, und mehr Standhaftigkeit in dei-nen frommen Entschlüssen. Zittre nicht blos, wann der Him- mel zürnt, sondern auch wann er lächelt und Wohlthaten auf dich herab strömt, die du ohne Danksagung empfängst. Ver- theidige keine Sünde, und wären sie das herrschende Modelaster dieses Jahrhunderts. Schildre mir keine Tugend zu rauh, kei- nen Fehltritt als leicht verzeihbar, und keinen meiner Feinde zu gehäßig ab. Fürchte dich, jemals anders zu denken, als es die heilige Schrift verstattet; Jesu Liebe am Kreuze sey dir ein theu- res werthes Wort, und die Ewigkeit der Maasstab, nach wel- chem alle Gedanken und Handlungen zu messen sind. Jeder Ar- mer scheine dir hülfsbedürftig, jeder Gottloser gefährlich und je- der Mensch besser zu seyn, als ihn die Welt richtet. Sieh nicht das Grab als einen fürchterlichen Kerker, sondern als eine künf- tige Ruhestätte an. Sey demüthig bei Freude, und muthig bei Schmerzen und Kreuz. So oft ich, nach vollbrachtem Gebet, auf meinem Lager einschlafe, so wache du zu Gott, und beschäftige dich mit Träumen, welche mich beim Erwachen nicht beschämen, sondern zum Gebet und Lobe Gottes ermuntern. Schlage lang- sam in mir, wenn Wollust, Geiz, Ehrsucht und Rachgier ihre Schätze auskramen, und mich zur Sünde dingen wollen: aber klopfe stark, wenn Gelegenheit zur Tugend da ist, oder wenn Gott dich zu einer Pflicht rufet, sollte es auch zum Sterben seyn. Erbarm dich, o! Jesu, wenn nicht alle diese Wünsche mein Der
Der 2te Januar. Abſcheu gegen alle Suͤnden, und mehr Standhaftigkeit in dei-nen frommen Entſchluͤſſen. Zittre nicht blos, wann der Him- mel zuͤrnt, ſondern auch wann er laͤchelt und Wohlthaten auf dich herab ſtroͤmt, die du ohne Dankſagung empfaͤngſt. Ver- theidige keine Suͤnde, und waͤren ſie das herrſchende Modelaſter dieſes Jahrhunderts. Schildre mir keine Tugend zu rauh, kei- nen Fehltritt als leicht verzeihbar, und keinen meiner Feinde zu gehaͤßig ab. Fuͤrchte dich, jemals anders zu denken, als es die heilige Schrift verſtattet; Jeſu Liebe am Kreuze ſey dir ein theu- res werthes Wort, und die Ewigkeit der Maasſtab, nach wel- chem alle Gedanken und Handlungen zu meſſen ſind. Jeder Ar- mer ſcheine dir huͤlfsbeduͤrftig, jeder Gottloſer gefaͤhrlich und je- der Menſch beſſer zu ſeyn, als ihn die Welt richtet. Sieh nicht das Grab als einen fuͤrchterlichen Kerker, ſondern als eine kuͤnf- tige Ruheſtaͤtte an. Sey demuͤthig bei Freude, und muthig bei Schmerzen und Kreuz. So oft ich, nach vollbrachtem Gebet, auf meinem Lager einſchlafe, ſo wache du zu Gott, und beſchaͤftige dich mit Traͤumen, welche mich beim Erwachen nicht beſchaͤmen, ſondern zum Gebet und Lobe Gottes ermuntern. Schlage lang- ſam in mir, wenn Wolluſt, Geiz, Ehrſucht und Rachgier ihre Schaͤtze auskramen, und mich zur Suͤnde dingen wollen: aber klopfe ſtark, wenn Gelegenheit zur Tugend da iſt, oder wenn Gott dich zu einer Pflicht rufet, ſollte es auch zum Sterben ſeyn. Erbarm dich, o! Jeſu, wenn nicht alle dieſe Wuͤnſche mein Der
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Der 2te Januar.
Abſcheu gegen alle Suͤnden, und mehr Standhaftigkeit in dei-
nen frommen Entſchluͤſſen. Zittre nicht blos, wann der Him-
mel zuͤrnt, ſondern auch wann er laͤchelt und Wohlthaten auf
dich herab ſtroͤmt, die du ohne Dankſagung empfaͤngſt. Ver-
theidige keine Suͤnde, und waͤren ſie das herrſchende Modelaſter
dieſes Jahrhunderts. Schildre mir keine Tugend zu rauh, kei-
nen Fehltritt als leicht verzeihbar, und keinen meiner Feinde zu
gehaͤßig ab. Fuͤrchte dich, jemals anders zu denken, als es die
heilige Schrift verſtattet; Jeſu Liebe am Kreuze ſey dir ein theu-
res werthes Wort, und die Ewigkeit der Maasſtab, nach wel-
chem alle Gedanken und Handlungen zu meſſen ſind. Jeder Ar-
mer ſcheine dir huͤlfsbeduͤrftig, jeder Gottloſer gefaͤhrlich und je-
der Menſch beſſer zu ſeyn, als ihn die Welt richtet. Sieh nicht
das Grab als einen fuͤrchterlichen Kerker, ſondern als eine kuͤnf-
tige Ruheſtaͤtte an. Sey demuͤthig bei Freude, und muthig bei
Schmerzen und Kreuz. So oft ich, nach vollbrachtem Gebet,
auf meinem Lager einſchlafe, ſo wache du zu Gott, und beſchaͤftige
dich mit Traͤumen, welche mich beim Erwachen nicht beſchaͤmen,
ſondern zum Gebet und Lobe Gottes ermuntern. Schlage lang-
ſam in mir, wenn Wolluſt, Geiz, Ehrſucht und Rachgier ihre
Schaͤtze auskramen, und mich zur Suͤnde dingen wollen: aber
klopfe ſtark, wenn Gelegenheit zur Tugend da iſt, oder wenn
Gott dich zu einer Pflicht rufet, ſollte es auch zum Sterben ſeyn.
Erbarm dich, o! Jeſu, wenn nicht alle dieſe Wuͤnſche mein
Ernſt ſind! Du konteſt mit einem durchdringenden Blick das kuͤhne
leichtſinnige Herz Petri zu reuigen Thraͤnen erweichen: ach! dei-
ne Lehren, dein Wandel, dein Tod, dein ſterbender auf mich
gehefteter Blick muͤſſe auch mein flatterhaftes Herz im Guten be-
feſtigen. Vater! Erloͤſer! mein Gott! vergib mir, ich weiß
nicht, was ich Unbeſonnener alles gethan habe: aber das weiß
ich, daß du jetzt mein Herz bearbeiteſt, daß du mich dieſe Nacht
bewahren, und mir aus allen Noͤthen helfen wirſt.
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(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
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