Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.Der 4te Januar. uns, den Blumenduft und der Gesang des Waldes hat: sie pre-digen uns ihres Schöpfers Ehre. Ja, auch jetzt bist du mir unendlich groß, Regierer der Welt! Wenn im Frühlinge alles von Kreaturen wimmelt, deren jede ihre Speise zu rechter Zeit aus deiner milden Hand empfängt, so bete ich dich als den allge- nugsamen grossen Hausvater an. Bedenke ich aber, wie du jetzt viele deiner Geschöpfe als Kostgänger im freien Felde ernäh- rest, und ihr Blut flüßig erhältst, da doch Ströme frieren und Steine zerspringen: so erröte ich über meine oftmalige Kleinmut, und freue mich zugleich, daß deine Macht über alle unsere Be- griffe, und deine Vorsorge über alles unser Klügeln, über alle unsre Entwürfe gehet. Daß ein von hundert Händen bedienter Mensch lebet und gedeihet, ist mir nicht so erbaulich, als daß ich Scharen Vögel sehe, welche zwischen Himmel und Schnee ihre Nahrung finden und ihrem Erhalter freudigen Dank zwit- schern. Erwege ich ferner, wie viele Thierarten jetzt den gan- zen Frost verschlafen und im Frühlinge munter wieder hervor ge- hen: so erblicke ich darin ein Bild im kleinen von meinem Grabe, welches mein Körper auch nach einigem Schlaf verklärt wieder verlassen wird. Und überhaupt werde ich mit Vergnügen ge- wahr, daß unser Gott stets so wunderbar als gütig ist, die Na- tur mag unter seiner Hand schlummern, oder arbeiten und Früchte treiben. Er nimt und giebet immer als Gott. Nun du gütiger und wunderbarer Gott! ich danke dir herz- Der
Der 4te Januar. uns, den Blumenduft und der Geſang des Waldes hat: ſie pre-digen uns ihres Schoͤpfers Ehre. Ja, auch jetzt biſt du mir unendlich groß, Regierer der Welt! Wenn im Fruͤhlinge alles von Kreaturen wimmelt, deren jede ihre Speiſe zu rechter Zeit aus deiner milden Hand empfaͤngt, ſo bete ich dich als den allge- nugſamen groſſen Hausvater an. Bedenke ich aber, wie du jetzt viele deiner Geſchoͤpfe als Koſtgaͤnger im freien Felde ernaͤh- reſt, und ihr Blut fluͤßig erhaͤltſt, da doch Stroͤme frieren und Steine zerſpringen: ſo erroͤte ich uͤber meine oftmalige Kleinmut, und freue mich zugleich, daß deine Macht uͤber alle unſere Be- griffe, und deine Vorſorge uͤber alles unſer Kluͤgeln, uͤber alle unſre Entwuͤrfe gehet. Daß ein von hundert Haͤnden bedienter Menſch lebet und gedeihet, iſt mir nicht ſo erbaulich, als daß ich Scharen Voͤgel ſehe, welche zwiſchen Himmel und Schnee ihre Nahrung finden und ihrem Erhalter freudigen Dank zwit- ſchern. Erwege ich ferner, wie viele Thierarten jetzt den gan- zen Froſt verſchlafen und im Fruͤhlinge munter wieder hervor ge- hen: ſo erblicke ich darin ein Bild im kleinen von meinem Grabe, welches mein Koͤrper auch nach einigem Schlaf verklaͤrt wieder verlaſſen wird. Und uͤberhaupt werde ich mit Vergnuͤgen ge- wahr, daß unſer Gott ſtets ſo wunderbar als guͤtig iſt, die Na- tur mag unter ſeiner Hand ſchlummern, oder arbeiten und Fruͤchte treiben. Er nimt und giebet immer als Gott. Nun du guͤtiger und wunderbarer Gott! ich danke dir herz- Der
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Der 4te Januar.
uns, den Blumenduft und der Geſang des Waldes hat: ſie pre-
digen uns ihres Schoͤpfers Ehre. Ja, auch jetzt biſt du mir
unendlich groß, Regierer der Welt! Wenn im Fruͤhlinge alles
von Kreaturen wimmelt, deren jede ihre Speiſe zu rechter Zeit
aus deiner milden Hand empfaͤngt, ſo bete ich dich als den allge-
nugſamen groſſen Hausvater an. Bedenke ich aber, wie du
jetzt viele deiner Geſchoͤpfe als Koſtgaͤnger im freien Felde ernaͤh-
reſt, und ihr Blut fluͤßig erhaͤltſt, da doch Stroͤme frieren und
Steine zerſpringen: ſo erroͤte ich uͤber meine oftmalige Kleinmut,
und freue mich zugleich, daß deine Macht uͤber alle unſere Be-
griffe, und deine Vorſorge uͤber alles unſer Kluͤgeln, uͤber alle
unſre Entwuͤrfe gehet. Daß ein von hundert Haͤnden bedienter
Menſch lebet und gedeihet, iſt mir nicht ſo erbaulich, als daß
ich Scharen Voͤgel ſehe, welche zwiſchen Himmel und Schnee
ihre Nahrung finden und ihrem Erhalter freudigen Dank zwit-
ſchern. Erwege ich ferner, wie viele Thierarten jetzt den gan-
zen Froſt verſchlafen und im Fruͤhlinge munter wieder hervor ge-
hen: ſo erblicke ich darin ein Bild im kleinen von meinem Grabe,
welches mein Koͤrper auch nach einigem Schlaf verklaͤrt wieder
verlaſſen wird. Und uͤberhaupt werde ich mit Vergnuͤgen ge-
wahr, daß unſer Gott ſtets ſo wunderbar als guͤtig iſt, die Na-
tur mag unter ſeiner Hand ſchlummern, oder arbeiten und
Fruͤchte treiben. Er nimt und giebet immer als Gott.
Nun du guͤtiger und wunderbarer Gott! ich danke dir herz-
lich fuͤr Obdach, Erwaͤrmung und Betten. Ich will dieſe dei-
Gaben nicht geringe ſchaͤtzen, ſondern mich freuen, daß du ſie
mir gabſt. Nim dich aller meiner Bruͤder, welche dieſe Nacht
reiſen, oder ſonſt unter Schnee und Eis in Gefahr ſind, gnaͤ-
digſt an. Von dir bedeckt will ich ruhig ſchlafen, und morgen
durch Dank und frommen Wandel bekennen: daß du die Guͤte
ſelber biſt.
Der
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(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
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