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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 15te Januar.
den Verlust irdischer Kleinigkeiten vergoß, deren Besitz ich je[ - 2 Zeichen fehlen]
so gar verbitten würde; denke ich mir noch hinzu: wie oft i[ - 2 Zeichen fehlen]
ausgelassen freudig war, wo mir ein ernsthaftes Gesicht gezi[e]
met hätte: so muß ich mit mir selbst hadern, und den Vorsa[tz]
fassen, künftig mit meinen Thränen und Freuden sparsamer haus-
zuhalten, und vorsichtiger zu seyn. Solte der Grundgütige
nicht verdienen daß ich mich seiner stündlich von ganzem Herzen
freuete? Solte ich, bei anwandelnder Noth, nicht ihn anrufen,
mich erretten lassen und ihn dafür preisen? Stoff genung zur in-
nigsten Freude, wenn ich bedenke, aus wie vielen Trübsalen mich
die Hand des Herrn schon errettet hat, und wie viele unverdiente
und unerwartete Güte ich von ihm schon genossen habe! Aber das
alles war nur erst gleichsam ein Angeld auf künftige grössre
Glückseligkeit. Ich soll ewig bei Gott selig seyn! O bei diesem
Gedanken müsse mein Herz hüpfen! Das ist Freude, die sich auf
untriegliche Hofnung gründet! Woferne ich hiebei kaltsinnig
bleiben kan: dann, nur dann habe ich wahre Ursache zur Trau-
rigkeit; und doch wäre auch das eine göttliche Traurigkeit, die
unter dem Beistande des heiligen Geistes sehr bald in Freude ver-
wandelt wird.

So freue dich denn mein Geist! und meine Seele sey frö-
lich in dem Herrn! Der Himmel ist mein und die Erde -- eine
Kleinigkeit. Alles um mich her stehet zum Beweise der Liebe
Gottes wider mein ungenügsames Herz auf. Warum hat mich
der Allgütige diesen Tag erhalten, für tausend mögliche Uebel
bewahret, und mich erfüllet mit Speise und Freude? Warum
treibet mich sein Geist in dieser Abendstunde zum Gebet und Lobe,
da sich doch so viele jetzt von den Gaben des Allerhöchsten hin-
weg, und stumm zur Ruhe schleichen? -- Ach! ich freue mich
Gottes meines Heilandes. Der Gott, welcher mir in meinem
Leben so viel Gutes, welcher mir seinen eingebornen Sohn gab:
solte er mit ihm mir nicht alles, solte er mir nicht diese Nacht
auch eine sanfte Ruhe schenken?

Der

Der 15te Januar.
den Verluſt irdiſcher Kleinigkeiten vergoß, deren Beſitz ich je[ – 2 Zeichen fehlen]
ſo gar verbitten wuͤrde; denke ich mir noch hinzu: wie oft i[ – 2 Zeichen fehlen]
ausgelaſſen freudig war, wo mir ein ernſthaftes Geſicht gezi[e]
met haͤtte: ſo muß ich mit mir ſelbſt hadern, und den Vorſa[tz]
faſſen, kuͤnftig mit meinen Thraͤnen und Freuden ſparſamer haus-
zuhalten, und vorſichtiger zu ſeyn. Solte der Grundguͤtige
nicht verdienen daß ich mich ſeiner ſtuͤndlich von ganzem Herzen
freuete? Solte ich, bei anwandelnder Noth, nicht ihn anrufen,
mich erretten laſſen und ihn dafuͤr preiſen? Stoff genung zur in-
nigſten Freude, wenn ich bedenke, aus wie vielen Truͤbſalen mich
die Hand des Herrn ſchon errettet hat, und wie viele unverdiente
und unerwartete Guͤte ich von ihm ſchon genoſſen habe! Aber das
alles war nur erſt gleichſam ein Angeld auf kuͤnftige groͤſſre
Gluͤckſeligkeit. Ich ſoll ewig bei Gott ſelig ſeyn! O bei dieſem
Gedanken muͤſſe mein Herz huͤpfen! Das iſt Freude, die ſich auf
untriegliche Hofnung gruͤndet! Woferne ich hiebei kaltſinnig
bleiben kan: dann, nur dann habe ich wahre Urſache zur Trau-
rigkeit; und doch waͤre auch das eine goͤttliche Traurigkeit, die
unter dem Beiſtande des heiligen Geiſtes ſehr bald in Freude ver-
wandelt wird.

So freue dich denn mein Geiſt! und meine Seele ſey froͤ-
lich in dem Herrn! Der Himmel iſt mein und die Erde — eine
Kleinigkeit. Alles um mich her ſtehet zum Beweiſe der Liebe
Gottes wider mein ungenuͤgſames Herz auf. Warum hat mich
der Allguͤtige dieſen Tag erhalten, fuͤr tauſend moͤgliche Uebel
bewahret, und mich erfuͤllet mit Speiſe und Freude? Warum
treibet mich ſein Geiſt in dieſer Abendſtunde zum Gebet und Lobe,
da ſich doch ſo viele jetzt von den Gaben des Allerhoͤchſten hin-
weg, und ſtumm zur Ruhe ſchleichen? — Ach! ich freue mich
Gottes meines Heilandes. Der Gott, welcher mir in meinem
Leben ſo viel Gutes, welcher mir ſeinen eingebornen Sohn gab:
ſolte er mit ihm mir nicht alles, ſolte er mir nicht dieſe Nacht
auch eine ſanfte Ruhe ſchenken?

Der
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[32[62]/0069] Der 15te Januar. den Verluſt irdiſcher Kleinigkeiten vergoß, deren Beſitz ich je__ ſo gar verbitten wuͤrde; denke ich mir noch hinzu: wie oft i__ ausgelaſſen freudig war, wo mir ein ernſthaftes Geſicht gezie met haͤtte: ſo muß ich mit mir ſelbſt hadern, und den Vorſatz faſſen, kuͤnftig mit meinen Thraͤnen und Freuden ſparſamer haus- zuhalten, und vorſichtiger zu ſeyn. Solte der Grundguͤtige nicht verdienen daß ich mich ſeiner ſtuͤndlich von ganzem Herzen freuete? Solte ich, bei anwandelnder Noth, nicht ihn anrufen, mich erretten laſſen und ihn dafuͤr preiſen? Stoff genung zur in- nigſten Freude, wenn ich bedenke, aus wie vielen Truͤbſalen mich die Hand des Herrn ſchon errettet hat, und wie viele unverdiente und unerwartete Guͤte ich von ihm ſchon genoſſen habe! Aber das alles war nur erſt gleichſam ein Angeld auf kuͤnftige groͤſſre Gluͤckſeligkeit. Ich ſoll ewig bei Gott ſelig ſeyn! O bei dieſem Gedanken muͤſſe mein Herz huͤpfen! Das iſt Freude, die ſich auf untriegliche Hofnung gruͤndet! Woferne ich hiebei kaltſinnig bleiben kan: dann, nur dann habe ich wahre Urſache zur Trau- rigkeit; und doch waͤre auch das eine goͤttliche Traurigkeit, die unter dem Beiſtande des heiligen Geiſtes ſehr bald in Freude ver- wandelt wird. So freue dich denn mein Geiſt! und meine Seele ſey froͤ- lich in dem Herrn! Der Himmel iſt mein und die Erde — eine Kleinigkeit. Alles um mich her ſtehet zum Beweiſe der Liebe Gottes wider mein ungenuͤgſames Herz auf. Warum hat mich der Allguͤtige dieſen Tag erhalten, fuͤr tauſend moͤgliche Uebel bewahret, und mich erfuͤllet mit Speiſe und Freude? Warum treibet mich ſein Geiſt in dieſer Abendſtunde zum Gebet und Lobe, da ſich doch ſo viele jetzt von den Gaben des Allerhoͤchſten hin- weg, und ſtumm zur Ruhe ſchleichen? — Ach! ich freue mich Gottes meines Heilandes. Der Gott, welcher mir in meinem Leben ſo viel Gutes, welcher mir ſeinen eingebornen Sohn gab: ſolte er mit ihm mir nicht alles, ſolte er mir nicht dieſe Nacht auch eine ſanfte Ruhe ſchenken? Der

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 32[62]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/69>, abgerufen am 23.11.2024.