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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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sondert und als eigenthümlichen Factor ausser und neben
ihr sich behauptet, durch die entschiedenere Mitwirkung
der Umstände oder Bedingungen des individuellen Daseins,
welchen durch eine mannigfachere Arbeit der Coordination
ihrer Eindrücke begegnet wird. Entwicklung und Wachs-
thum ist (im normalen Verlaufe) leicht, sicher, allgemein
(des ganzen Organismus); Uebung, zuerst schwer, wird
leicht durch vielfache Wiederholung, macht unsichere und
unbestimmte Bewegungen sicher und bestimmt, bildet be-
sondere Organe und Kraftvorräthe aus. Unzählige mini-
male Wirkungen häufen sich zu solchem Ergebniss. Wie
das Widrige, Feindliche Schmerzen, so erregt das Fremde,
Ungewohnte, in dem Maasse seiner scheinbaren Kraft, zu-
erst Furcht (instinctive Furcht), welche durch oft wieder-
holte Wirkung sich abschwächt, wenn die Gefahr vorüber-
geht, ohne Schmerzen zu bringen. So wird auch das
Gefürchtete und Abscheuliche zuerst erträglich, endlich
sogar angenehm. Wie auch die umgekehrte Verwandlung
durch Erfahrenes bewirkt wird, als eine Art von Rück-
bildung und Entwöhnung. Die Widerstände, welche einer
ruhigen und leichten Empfindung (Apperception) oder der
Aneignung (Assimilirung) des Gegenstandes entgegen sind,
werden durch die eigene, in Uebung sich vermehrende
Kraft überwunden. Aber diese Vermehrung hat bestimmte,
gesetzliche Grenzen. Ueberübung ist Ueberanstrengung und
geschieht entweder auf Kosten (mit Beeinträchtigung) an-
derer Organe, oder hat unmittelbare Ermüdung der ge-
übten Muskeln, mittelbare des gesammten Organismus zur
Folge, d. i. Erschöpfung der vorräthigen Kraft ohne aus-
reichende Kraft des Ersatzes. Hierdurch wird auch er-
klärt, dass ursprünglich leichte und natürliche Thätigkeit
durch lange Dauer schwer, endlich unmöglich wird; dass
lusthafte Empfindungen und Thätigkeiten indifferent, ja
schmerzhaft werden; wie Hunger und Durst durch Ueber-
genuss in Uebersättigung umschlagen, sexuale Begierde in
Ekel -- überhaupt Wille in Widerwillen. Jedoch in
erster Linie: wozu auch ursprüngliche Neigung treibt,
solches wird zur Gewohnheit und das Ursprünglich-Ange-
nehme also um so lieber. So treten besondere Arten der

sondert und als eigenthümlichen Factor ausser und neben
ihr sich behauptet, durch die entschiedenere Mitwirkung
der Umstände oder Bedingungen des individuellen Daseins,
welchen durch eine mannigfachere Arbeit der Coordination
ihrer Eindrücke begegnet wird. Entwicklung und Wachs-
thum ist (im normalen Verlaufe) leicht, sicher, allgemein
(des ganzen Organismus); Uebung, zuerst schwer, wird
leicht durch vielfache Wiederholung, macht unsichere und
unbestimmte Bewegungen sicher und bestimmt, bildet be-
sondere Organe und Kraftvorräthe aus. Unzählige mini-
male Wirkungen häufen sich zu solchem Ergebniss. Wie
das Widrige, Feindliche Schmerzen, so erregt das Fremde,
Ungewohnte, in dem Maasse seiner scheinbaren Kraft, zu-
erst Furcht (instinctive Furcht), welche durch oft wieder-
holte Wirkung sich abschwächt, wenn die Gefahr vorüber-
geht, ohne Schmerzen zu bringen. So wird auch das
Gefürchtete und Abscheuliche zuerst erträglich, endlich
sogar angenehm. Wie auch die umgekehrte Verwandlung
durch Erfahrenes bewirkt wird, als eine Art von Rück-
bildung und Entwöhnung. Die Widerstände, welche einer
ruhigen und leichten Empfindung (Apperception) oder der
Aneignung (Assimilirung) des Gegenstandes entgegen sind,
werden durch die eigene, in Uebung sich vermehrende
Kraft überwunden. Aber diese Vermehrung hat bestimmte,
gesetzliche Grenzen. Ueberübung ist Ueberanstrengung und
geschieht entweder auf Kosten (mit Beeinträchtigung) an-
derer Organe, oder hat unmittelbare Ermüdung der ge-
übten Muskeln, mittelbare des gesammten Organismus zur
Folge, d. i. Erschöpfung der vorräthigen Kraft ohne aus-
reichende Kraft des Ersatzes. Hierdurch wird auch er-
klärt, dass ursprünglich leichte und natürliche Thätigkeit
durch lange Dauer schwer, endlich unmöglich wird; dass
lusthafte Empfindungen und Thätigkeiten indifferent, ja
schmerzhaft werden; wie Hunger und Durst durch Ueber-
genuss in Uebersättigung umschlagen, sexuale Begierde in
Ekel — überhaupt Wille in Widerwillen. Jedoch in
erster Linie: wozu auch ursprüngliche Neigung treibt,
solches wird zur Gewohnheit und das Ursprünglich-Ange-
nehme also um so lieber. So treten besondere Arten der

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[109/0145] sondert und als eigenthümlichen Factor ausser und neben ihr sich behauptet, durch die entschiedenere Mitwirkung der Umstände oder Bedingungen des individuellen Daseins, welchen durch eine mannigfachere Arbeit der Coordination ihrer Eindrücke begegnet wird. Entwicklung und Wachs- thum ist (im normalen Verlaufe) leicht, sicher, allgemein (des ganzen Organismus); Uebung, zuerst schwer, wird leicht durch vielfache Wiederholung, macht unsichere und unbestimmte Bewegungen sicher und bestimmt, bildet be- sondere Organe und Kraftvorräthe aus. Unzählige mini- male Wirkungen häufen sich zu solchem Ergebniss. Wie das Widrige, Feindliche Schmerzen, so erregt das Fremde, Ungewohnte, in dem Maasse seiner scheinbaren Kraft, zu- erst Furcht (instinctive Furcht), welche durch oft wieder- holte Wirkung sich abschwächt, wenn die Gefahr vorüber- geht, ohne Schmerzen zu bringen. So wird auch das Gefürchtete und Abscheuliche zuerst erträglich, endlich sogar angenehm. Wie auch die umgekehrte Verwandlung durch Erfahrenes bewirkt wird, als eine Art von Rück- bildung und Entwöhnung. Die Widerstände, welche einer ruhigen und leichten Empfindung (Apperception) oder der Aneignung (Assimilirung) des Gegenstandes entgegen sind, werden durch die eigene, in Uebung sich vermehrende Kraft überwunden. Aber diese Vermehrung hat bestimmte, gesetzliche Grenzen. Ueberübung ist Ueberanstrengung und geschieht entweder auf Kosten (mit Beeinträchtigung) an- derer Organe, oder hat unmittelbare Ermüdung der ge- übten Muskeln, mittelbare des gesammten Organismus zur Folge, d. i. Erschöpfung der vorräthigen Kraft ohne aus- reichende Kraft des Ersatzes. Hierdurch wird auch er- klärt, dass ursprünglich leichte und natürliche Thätigkeit durch lange Dauer schwer, endlich unmöglich wird; dass lusthafte Empfindungen und Thätigkeiten indifferent, ja schmerzhaft werden; wie Hunger und Durst durch Ueber- genuss in Uebersättigung umschlagen, sexuale Begierde in Ekel — überhaupt Wille in Widerwillen. Jedoch in erster Linie: wozu auch ursprüngliche Neigung treibt, solches wird zur Gewohnheit und das Ursprünglich-Ange- nehme also um so lieber. So treten besondere Arten der

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/145>, abgerufen am 24.11.2024.