Anrede, Forderung, Frage. Gefallen kann allerdings imm[ - 2 Zeichen fehlen] als unbewusstes Urtheil gedeutet werden; wie es denn a[ - 3 Zeichen fehlen] als Gutdünken in unserer Sprache bestimmt wird. [ - 4 Zeichen fehlen] so herrschet es wählend in allem Leben, so auch in dem Leben der Fantasie, jener Form des Gedächtnisses, welche durch Wortzeichen noch gar nicht bedingt ist, aber wenn sie einmal vorhanden sind, sie fortwährend, in mannig- fachen Gruppen, gleich anderen Ideen reproducirt. Ebenso aber machen sich die gewohnten Ideen-Massen im stärksten Maasse als Functionen der Fantasie oder des Gedächtnisses geltend. Endlich aber gibt es Ideen, mit denen die Verbindung selber eine gedächtnisshafte ist; das will sagen: es bedarf der Erinnerung oder eines besonderen Einfalles und Gedankens, gleichsam eines Maasstabes oder einer Wage, um si zu unterscheiden, ihren Werth zu er- kennen und demnach erst als die seinigen zu setzen. Der Rede gleich kommt aber alle andere, durch Fantasie, Ge- dächtniss oder Vernunft wesentlich mitbedingte menschliche Arbeit, die als eine schaffende und künstlerische, von denen der meisten, und besonders der ihm verwandtesten Thiere deutlich sich abhebt. -- Also verhält sich wie Ver- stand zu Gewohnheit, Sinnlichkeit zu Gefallen, in dem- selben Sinne Vernunft als Vermögen der Sprache, des Denkens und denkenden Thuns, zu Gedächtniss. Und wenn Gedächtniss mentales Gefallen und Gewohnheit zu- gleich ist, so ist Gewohnheit ein niederes (animalisches) Gedächtniss und Gefallen das elementare (allgemein orga- nische) Gedächtniss.
(Anmerkung.) Spinoza hat im menschlichen Willen das Gedächtniss wiedererkannt. Man sehe am Schlusse des Schol. zu Eth. III, prop. 2. die Stelle, welche beginnt: "Ein Anderes ist es, was ich hier vorzüglich erwogen wünsche, nämlich dass wir nichts aus freiem Beschlusse des Geistes thun können, wenn wir uns nicht desselben erinnern. Z. E. wir können nicht ein Wort sprechen, wenn uns dasselbe nicht einfällt. Nun aber ist es doch nicht im freien Vermögen des Geistes, an eine Sache zu denken oder sie zu vergessen"; und nach Erörterung eines Einwandes endet: "so muss nothwendiger Weise eingeräumt werden, dass dieser Be-
Anrede, Forderung, Frage. Gefallen kann allerdings imm[ – 2 Zeichen fehlen] als unbewusstes Urtheil gedeutet werden; wie es denn a[ – 3 Zeichen fehlen] als Gutdünken in unserer Sprache bestimmt wird. [ – 4 Zeichen fehlen] so herrschet es wählend in allem Leben, so auch in dem Leben der Fantasie, jener Form des Gedächtnisses, welche durch Wortzeichen noch gar nicht bedingt ist, aber wenn sie einmal vorhanden sind, sie fortwährend, in mannig- fachen Gruppen, gleich anderen Ideen reproducirt. Ebenso aber machen sich die gewohnten Ideen-Massen im stärksten Maasse als Functionen der Fantasie oder des Gedächtnisses geltend. Endlich aber gibt es Ideen, mit denen die Verbindung selber eine gedächtnisshafte ist; das will sagen: es bedarf der Erinnerung oder eines besonderen Einfalles und Gedankens, gleichsam eines Maasstabes oder einer Wage, um si zu unterscheiden, ihren Werth zu er- kennen und demnach erst als die seinigen zu setzen. Der Rede gleich kommt aber alle andere, durch Fantasie, Ge- dächtniss oder Vernunft wesentlich mitbedingte menschliche Arbeit, die als eine schaffende und künstlerische, von denen der meisten, und besonders der ihm verwandtesten Thiere deutlich sich abhebt. — Also verhält sich wie Ver- stand zu Gewohnheit, Sinnlichkeit zu Gefallen, in dem- selben Sinne Vernunft als Vermögen der Sprache, des Denkens und denkenden Thuns, zu Gedächtniss. Und wenn Gedächtniss mentales Gefallen und Gewohnheit zu- gleich ist, so ist Gewohnheit ein niederes (animalisches) Gedächtniss und Gefallen das elementare (allgemein orga- nische) Gedächtniss.
(Anmerkung.) Spinoza hat im menschlichen Willen das Gedächtniss wiedererkannt. Man sehe am Schlusse des Schol. zu Eth. III, prop. 2. die Stelle, welche beginnt: »Ein Anderes ist es, was ich hier vorzüglich erwogen wünsche, nämlich dass wir nichts aus freiem Beschlusse des Geistes thun können, wenn wir uns nicht desselben erinnern. Z. E. wir können nicht ein Wort sprechen, wenn uns dasselbe nicht einfällt. Nun aber ist es doch nicht im freien Vermögen des Geistes, an eine Sache zu denken oder sie zu vergessen«; und nach Erörterung eines Einwandes endet: »so muss nothwendiger Weise eingeräumt werden, dass dieser Be-
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so herrschet es wählend in allem Leben, so auch in dem
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sie einmal vorhanden sind, sie fortwährend, in mannig-
fachen Gruppen, gleich anderen Ideen reproducirt. Ebenso
aber machen sich die gewohnten Ideen-Massen im
stärksten Maasse als Functionen der Fantasie oder des
Gedächtnisses geltend. Endlich aber gibt es Ideen, mit
denen die Verbindung selber eine gedächtnisshafte ist; das
will sagen: es bedarf der Erinnerung oder eines besonderen
Einfalles und Gedankens, gleichsam eines Maasstabes oder
einer Wage, um si zu unterscheiden, ihren Werth zu er-
kennen und demnach erst als die seinigen zu setzen. Der
Rede gleich kommt aber alle andere, durch Fantasie, Ge-
dächtniss oder Vernunft wesentlich mitbedingte menschliche
Arbeit, die als eine schaffende und künstlerische, von
denen der meisten, und besonders der ihm verwandtesten
Thiere deutlich sich abhebt. — Also verhält sich wie Ver-
stand zu Gewohnheit, Sinnlichkeit zu Gefallen, in dem-
selben Sinne Vernunft als Vermögen der Sprache, des
Denkens und denkenden Thuns, zu Gedächtniss. Und
wenn Gedächtniss mentales Gefallen und Gewohnheit zu-
gleich ist, so ist Gewohnheit ein niederes (animalisches)
Gedächtniss und Gefallen das elementare (allgemein orga-
nische) Gedächtniss.
(Anmerkung.) Spinoza hat im menschlichen Willen das
Gedächtniss wiedererkannt. Man sehe am Schlusse des Schol.
zu Eth. III, prop. 2. die Stelle, welche beginnt: »Ein Anderes
ist es, was ich hier vorzüglich erwogen wünsche, nämlich
dass wir nichts aus freiem Beschlusse des Geistes thun
können, wenn wir uns nicht desselben erinnern. Z. E. wir
können nicht ein Wort sprechen, wenn uns dasselbe nicht
einfällt. Nun aber ist es doch nicht im freien Vermögen
des Geistes, an eine Sache zu denken oder sie zu vergessen«;
und nach Erörterung eines Einwandes endet: »so muss
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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