eben Sache der öffentlichen Meinung, welche vielmehr alle Erscheinungen auf das Niveau ihres Begreifens zu bringen sich bemühet. Sie hat es aber keineswegs allein mit correc- ten und guten Handlungen, sondern ganz vorzüglich auch mit correcten und guten Meinungen selber zu thun, indem sie die Uebereinstimmung der einzelnen und privaten Mei- nungen mit ihr, der allgemeinen und öffentlichen, fordern muss, um so mehr, da die (vorausgesetzten) vernünftigen und willkürlichen Subjecte nach ihren Meinungen ihre Hand- lungen richten. Unter den Meinungen aber sind viele gleichgültig, keine weniger gleichgültig, als die politischen Meinungen; denn davon scheint zuletzt abhängig zu sein, welche Gesetze der Staat geben oder aufrecht erhalten, welche Politik nach innen und nach aussen er führen werde. Ist nun hierüber die Gesellschaft zwar theilweise in sich einig, in vielen Stücken aber auf die heftigste Weise wider- streitend, so muss jede Partei darnach streben, ihre Mei- nung zur öffentlichen Meinung oder wenigstens zum Scheine derselben zu erheben, ihren Willen als den allgemeinen und vernünftigen Willen, der das gemeinsame Wohl bezwecke, darzustellen, um hierdurch "ans Ruder" des Staates zu ge- langen oder die "Klinke der Gesetzgebung" unter ihre Hand zu bekommen. Auf der anderen Seite hat der Staat selber oder das Gouvernement, d. i. diejenige Partei, welche gerade die souveräne Person darstellt oder auf dieselbe den stärksten Einfluss ausübt, eben so starkes Interesse, die öffentliche Meinung zu "machen", zu "bearbeiten", zu stim- men und umzustimmen. Was nun auch immer als öffent- liche Meinung dasein und gelten mag, es tritt an die ein- zelnen Meinenden als eine fremde und äussere Macht heran. Dies geschieht aber vorzüglich durch diejenige Art der Mit- theilung, in welcher alle menschliche Beziehung, Glaube und Vertrauen zwischen einem Redenden, Lehrenden und einem Zuhörenden, Verstehenden ausgelöscht ist oder doch werden kann: die litterarische. Als worin Urtheile und Meinungen gleich Sachen des Kramhändlers eingewickelt und in ihrer objectiven Realität zum Genusse dargeboten werden. Wie denn solches durch das Zeitungswesen: die geschwin- deste Fabrication, Vervielfältigung und Verbreitung von Ge-
eben Sache der öffentlichen Meinung, welche vielmehr alle Erscheinungen auf das Niveau ihres Begreifens zu bringen sich bemühet. Sie hat es aber keineswegs allein mit correc- ten und guten Handlungen, sondern ganz vorzüglich auch mit correcten und guten Meinungen selber zu thun, indem sie die Uebereinstimmung der einzelnen und privaten Mei- nungen mit ihr, der allgemeinen und öffentlichen, fordern muss, um so mehr, da die (vorausgesetzten) vernünftigen und willkürlichen Subjecte nach ihren Meinungen ihre Hand- lungen richten. Unter den Meinungen aber sind viele gleichgültig, keine weniger gleichgültig, als die politischen Meinungen; denn davon scheint zuletzt abhängig zu sein, welche Gesetze der Staat geben oder aufrecht erhalten, welche Politik nach innen und nach aussen er führen werde. Ist nun hierüber die Gesellschaft zwar theilweise in sich einig, in vielen Stücken aber auf die heftigste Weise wider- streitend, so muss jede Partei darnach streben, ihre Mei- nung zur öffentlichen Meinung oder wenigstens zum Scheine derselben zu erheben, ihren Willen als den allgemeinen und vernünftigen Willen, der das gemeinsame Wohl bezwecke, darzustellen, um hierdurch »ans Ruder« des Staates zu ge- langen oder die »Klinke der Gesetzgebung« unter ihre Hand zu bekommen. Auf der anderen Seite hat der Staat selber oder das Gouvernement, d. i. diejenige Partei, welche gerade die souveräne Person darstellt oder auf dieselbe den stärksten Einfluss ausübt, eben so starkes Interesse, die öffentliche Meinung zu »machen«, zu »bearbeiten«, zu stim- men und umzustimmen. Was nun auch immer als öffent- liche Meinung dasein und gelten mag, es tritt an die ein- zelnen Meinenden als eine fremde und äussere Macht heran. Dies geschieht aber vorzüglich durch diejenige Art der Mit- theilung, in welcher alle menschliche Beziehung, Glaube und Vertrauen zwischen einem Redenden, Lehrenden und einem Zuhörenden, Verstehenden ausgelöscht ist oder doch werden kann: die litterarische. Als worin Urtheile und Meinungen gleich Sachen des Kramhändlers eingewickelt und in ihrer objectiven Realität zum Genusse dargeboten werden. Wie denn solches durch das Zeitungswesen: die geschwin- deste Fabrication, Vervielfältigung und Verbreitung von Ge-
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eben Sache der öffentlichen Meinung, welche vielmehr alle
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sich bemühet. Sie hat es aber keineswegs allein mit correc-
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mit correcten und guten Meinungen selber zu thun, indem
sie die Uebereinstimmung der einzelnen und privaten Mei-
nungen mit ihr, der allgemeinen und öffentlichen, fordern
muss, um so mehr, da die (vorausgesetzten) vernünftigen und
willkürlichen Subjecte nach ihren Meinungen ihre Hand-
lungen richten. Unter den Meinungen aber sind viele
gleichgültig, keine weniger gleichgültig, als die politischen
Meinungen; denn davon scheint zuletzt abhängig zu sein,
welche Gesetze der Staat geben oder aufrecht erhalten,
welche Politik nach innen und nach aussen er führen werde.
Ist nun hierüber die Gesellschaft zwar theilweise in sich
einig, in vielen Stücken aber auf die heftigste Weise wider-
streitend, so muss jede Partei darnach streben, ihre Mei-
nung zur öffentlichen Meinung oder wenigstens zum Scheine
derselben zu erheben, ihren Willen als den allgemeinen und
vernünftigen Willen, der das gemeinsame Wohl bezwecke,
darzustellen, um hierdurch »ans Ruder« des Staates zu ge-
langen oder die »Klinke der Gesetzgebung« unter ihre Hand
zu bekommen. Auf der anderen Seite hat der Staat selber
oder das Gouvernement, d. i. diejenige Partei, welche
gerade die souveräne Person darstellt oder auf dieselbe den
stärksten Einfluss ausübt, eben so starkes Interesse, die
öffentliche Meinung zu »machen«, zu »bearbeiten«, zu stim-
men und umzustimmen. Was nun auch immer als öffent-
liche Meinung dasein und gelten mag, es tritt an die ein-
zelnen Meinenden als eine fremde und äussere Macht heran.
Dies geschieht aber vorzüglich durch diejenige Art der Mit-
theilung, in welcher alle menschliche Beziehung, Glaube und
Vertrauen zwischen einem Redenden, Lehrenden und einem
Zuhörenden, Verstehenden ausgelöscht ist oder doch werden
kann: die litterarische. Als worin Urtheile und Meinungen
gleich Sachen des Kramhändlers eingewickelt und in ihrer
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denn solches durch das Zeitungswesen: die geschwin-
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/307>, abgerufen am 24.11.2024.
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