Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.des Kellermeisters mitgebrachtem Vorrathe alter unterösterreichischer Gebirgswein aufgesetzt wurde, betheuerte Malachias, daß er in seinem Pfarrhause noch nie an einer köstlicheren Tafel gesessen sei. Wohl bekomm's, Herr Bruder, sprach Blasius, heute über ein Jahr essen wir mitsammen im Refectorio. Zeit ist's, versetzte Malachias, daß ich endlich in den Hafen der Ruhe einlaufe, hier muß ich im Schweiße meines Angesichts mein Brod essen. Im Sommer ist's erträglich, die Pflege meines Gärtchens verkürzt mir viele Stunden, auch sind die Spaziergänge schattig und erfreulich, und das Gebirge ist bei vorfallenden Speisgängen*) leicht besteiglich. Aber der Winter, der Winter! Man hat wenig zu schreiben, studiren kann man nicht immer, Gesellschaft ist nie zu haben, alle Wege sind verweht, man trocknet ein, wird mißmuthig, sitzt in seinem Zimmer, draußen stürmt und schneit es -- man fühlt sich krank -- da tritt der Meßner ein. Herr Pfarrer -- Was giebt's? -- Ein Bote ist da.-- Was will er? -- Der Herr Pfarrer soll das heilige Sacrament der letzten Oelung -- Wohin tragen? unterbreche ich ihn, gewiß wieder zwei, drei, vier Stunden weit in diesem Sturm? Und die Antwort fällt bejahend aus. Nun ergreife ich den Bergstock und klettere mit Frost und Kälte ringend einen Tag lang im Gebirge herum, während der ärmste Bauer am warmen Ofen sitzt. *) Ländlicher Ausdruck für den Gang, den der Priester mit den Sterbesacramenten zu einem Kranken macht.
des Kellermeisters mitgebrachtem Vorrathe alter unterösterreichischer Gebirgswein aufgesetzt wurde, betheuerte Malachias, daß er in seinem Pfarrhause noch nie an einer köstlicheren Tafel gesessen sei. Wohl bekomm’s, Herr Bruder, sprach Blasius, heute über ein Jahr essen wir mitsammen im Refectorio. Zeit ist's, versetzte Malachias, daß ich endlich in den Hafen der Ruhe einlaufe, hier muß ich im Schweiße meines Angesichts mein Brod essen. Im Sommer ist’s erträglich, die Pflege meines Gärtchens verkürzt mir viele Stunden, auch sind die Spaziergänge schattig und erfreulich, und das Gebirge ist bei vorfallenden Speisgängen*) leicht besteiglich. Aber der Winter, der Winter! Man hat wenig zu schreiben, studiren kann man nicht immer, Gesellschaft ist nie zu haben, alle Wege sind verweht, man trocknet ein, wird mißmuthig, sitzt in seinem Zimmer, draußen stürmt und schneit es — man fühlt sich krank — da tritt der Meßner ein. Herr Pfarrer — Was giebt's? — Ein Bote ist da.— Was will er? — Der Herr Pfarrer soll das heilige Sacrament der letzten Oelung — Wohin tragen? unterbreche ich ihn, gewiß wieder zwei, drei, vier Stunden weit in diesem Sturm? Und die Antwort fällt bejahend aus. Nun ergreife ich den Bergstock und klettere mit Frost und Kälte ringend einen Tag lang im Gebirge herum, während der ärmste Bauer am warmen Ofen sitzt. *) Ländlicher Ausdruck für den Gang, den der Priester mit den Sterbesacramenten zu einem Kranken macht.
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des Kellermeisters mitgebrachtem Vorrathe alter unterösterreichischer Gebirgswein aufgesetzt wurde, betheuerte Malachias, daß er in seinem Pfarrhause noch nie an einer köstlicheren Tafel gesessen sei.
Wohl bekomm’s, Herr Bruder, sprach Blasius, heute über ein Jahr essen wir mitsammen im Refectorio. Zeit ist's, versetzte Malachias, daß ich endlich in den Hafen der Ruhe einlaufe, hier muß ich im Schweiße meines Angesichts mein Brod essen. Im Sommer ist’s erträglich, die Pflege meines Gärtchens verkürzt mir viele Stunden, auch sind die Spaziergänge schattig und erfreulich, und das Gebirge ist bei vorfallenden Speisgängen *) leicht besteiglich. Aber der Winter, der Winter! Man hat wenig zu schreiben, studiren kann man nicht immer, Gesellschaft ist nie zu haben, alle Wege sind verweht, man trocknet ein, wird mißmuthig, sitzt in seinem Zimmer, draußen stürmt und schneit es — man fühlt sich krank — da tritt der Meßner ein. Herr Pfarrer — Was giebt's? — Ein Bote ist da.— Was will er? — Der Herr Pfarrer soll das heilige Sacrament der letzten Oelung — Wohin tragen? unterbreche ich ihn, gewiß wieder zwei, drei, vier Stunden weit in diesem Sturm? Und die Antwort fällt bejahend aus. Nun ergreife ich den Bergstock und klettere mit Frost und Kälte ringend einen Tag lang im Gebirge herum, während der ärmste Bauer am warmen Ofen sitzt.
*) Ländlicher Ausdruck für den Gang, den der Priester mit den Sterbesacramenten zu einem Kranken macht.
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