Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Unterdessen saß der blödsinnige Franzl in einem Winkel seiner Hütte im Baumschlagerreit, kauete an einem Stück Käse und erholte sich so von seiner beschwerlichen Thal- und Bergfahrt, von welcher er vor einer Stunde zurückgekommen war, zum größten Schrecken seiner Mutter, aber ohne den Pfarrer.

Wo ist der Pfarrer? fragte sie wohl zwanzigmal den Sohn; der aber erwiderte immer: Wird gleich kommen; ich bin hungerig! -- und als er zu essen erhalten hatte, schwieg er gänzlich.

Die greise Bauersfrau wußte sich vor Angst nicht zu fassen. Bald kniete sie vor dem Krucifixe, bald legte sie dem sterbenden Gatten eine Feder auf den Mund und erfreute sich seines bewegenden Athems -- dann rannte sie wieder mit der Laterne vor die Hütte, damit die Herannahenden ja nicht den Weg verfehlten: sie vernahm aber weder das Glöcklein, noch die Stimme des betenden Meßners.

In die Hütte zurückeilend, fand sie ihren Mann noch regungsloser, bleicher, kälter, seinen Athem schwächer, seine Stirne mit kaltem Schweiß bedeckt.

Wo bleibt der Pfarrer? jammerte die Mutter.

Ich glaub', zu Haus, versetzte Franzl.

Warum hast'n nöt mitgnumma?

Mir scheint, er hat nöt mög'n!

Was sagst?

Weil er Göst had, an geistling'n Herrn, und in Hofrichter und an Jaga von Spidal. Muada, dö hab'n

Unterdessen saß der blödsinnige Franzl in einem Winkel seiner Hütte im Baumschlagerreit, kauete an einem Stück Käse und erholte sich so von seiner beschwerlichen Thal- und Bergfahrt, von welcher er vor einer Stunde zurückgekommen war, zum größten Schrecken seiner Mutter, aber ohne den Pfarrer.

Wo ist der Pfarrer? fragte sie wohl zwanzigmal den Sohn; der aber erwiderte immer: Wird gleich kommen; ich bin hungerig! -- und als er zu essen erhalten hatte, schwieg er gänzlich.

Die greise Bauersfrau wußte sich vor Angst nicht zu fassen. Bald kniete sie vor dem Krucifixe, bald legte sie dem sterbenden Gatten eine Feder auf den Mund und erfreute sich seines bewegenden Athems — dann rannte sie wieder mit der Laterne vor die Hütte, damit die Herannahenden ja nicht den Weg verfehlten: sie vernahm aber weder das Glöcklein, noch die Stimme des betenden Meßners.

In die Hütte zurückeilend, fand sie ihren Mann noch regungsloser, bleicher, kälter, seinen Athem schwächer, seine Stirne mit kaltem Schweiß bedeckt.

Wo bleibt der Pfarrer? jammerte die Mutter.

Ich glaub', zu Haus, versetzte Franzl.

Warum hast'n nöt mitgnumma?

Mir scheint, er hat nöt mög'n!

Was sagst?

Weil er Göst had, an geistling'n Herrn, und in Hofrichter und an Jaga von Spidal. Muada, dö hab'n

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0034"/>
      <div n="2">
        <p>Unterdessen saß der blödsinnige Franzl in einem Winkel seiner Hütte im Baumschlagerreit,     kauete an einem Stück Käse und erholte sich so von seiner beschwerlichen Thal- und Bergfahrt,     von welcher er vor einer Stunde zurückgekommen war, zum größten Schrecken seiner Mutter, aber     ohne den Pfarrer.</p><lb/>
        <p>Wo ist der Pfarrer? fragte sie wohl zwanzigmal den Sohn; der aber erwiderte immer: Wird gleich     kommen; ich bin hungerig! -- und als er zu essen erhalten hatte, schwieg er gänzlich.</p><lb/>
        <p>Die greise Bauersfrau wußte sich vor Angst nicht zu fassen. Bald kniete sie vor dem Krucifixe,     bald legte sie dem sterbenden Gatten eine Feder auf den Mund und erfreute sich seines bewegenden     Athems &#x2014; dann rannte sie wieder mit der Laterne vor die Hütte, damit die Herannahenden ja nicht     den Weg verfehlten: sie vernahm aber weder das Glöcklein, noch die Stimme des betenden     Meßners.</p><lb/>
        <p>In die Hütte zurückeilend, fand sie ihren Mann noch regungsloser, bleicher, kälter, seinen     Athem schwächer, seine Stirne mit kaltem Schweiß bedeckt.</p><lb/>
        <p>Wo bleibt der Pfarrer? jammerte die Mutter.</p><lb/>
        <p>Ich glaub', zu Haus, versetzte Franzl.</p><lb/>
        <p>Warum hast'n nöt mitgnumma?</p><lb/>
        <p>Mir scheint, er hat nöt mög'n!</p><lb/>
        <p>Was sagst?</p><lb/>
        <p>Weil er Göst had, an geistling'n Herrn, und in Hofrichter und an Jaga von Spidal. Muada, dö     hab'n<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] Unterdessen saß der blödsinnige Franzl in einem Winkel seiner Hütte im Baumschlagerreit, kauete an einem Stück Käse und erholte sich so von seiner beschwerlichen Thal- und Bergfahrt, von welcher er vor einer Stunde zurückgekommen war, zum größten Schrecken seiner Mutter, aber ohne den Pfarrer. Wo ist der Pfarrer? fragte sie wohl zwanzigmal den Sohn; der aber erwiderte immer: Wird gleich kommen; ich bin hungerig! -- und als er zu essen erhalten hatte, schwieg er gänzlich. Die greise Bauersfrau wußte sich vor Angst nicht zu fassen. Bald kniete sie vor dem Krucifixe, bald legte sie dem sterbenden Gatten eine Feder auf den Mund und erfreute sich seines bewegenden Athems — dann rannte sie wieder mit der Laterne vor die Hütte, damit die Herannahenden ja nicht den Weg verfehlten: sie vernahm aber weder das Glöcklein, noch die Stimme des betenden Meßners. In die Hütte zurückeilend, fand sie ihren Mann noch regungsloser, bleicher, kälter, seinen Athem schwächer, seine Stirne mit kaltem Schweiß bedeckt. Wo bleibt der Pfarrer? jammerte die Mutter. Ich glaub', zu Haus, versetzte Franzl. Warum hast'n nöt mitgnumma? Mir scheint, er hat nöt mög'n! Was sagst? Weil er Göst had, an geistling'n Herrn, und in Hofrichter und an Jaga von Spidal. Muada, dö hab'n

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:38:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:38:41Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/traun_gebirgspfarrer_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/traun_gebirgspfarrer_1910/34
Zitationshilfe: Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/traun_gebirgspfarrer_1910/34>, abgerufen am 03.12.2024.