Traun, Julius von der [d. i. Alexander Julius Schindler]: Der Gebirgspfarrer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–156. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.rechten Weg, um ihn im nächsten Augenblicke wieder zu verlassen -- er vergeudete so wider seinen Willen kostbare Stunden und kam erst am lichten Morgen, als die Stunde zur Messe schon geschlagen hatte, im Dorfe an. Es hatte endlich zu schneien aufgehört. Der Vormittag des heiligen Stephanstages war eben so schön, so schneeprächtig, als der des verflossenen Christfestes. Vor der Kirche standen die Bauern, bestürzt -- mitten unter ihnen Rosi weinend, erzählend -- und dunkle Vermuthungen ausstreuend. Der Meßner erschütterte mit seiner Schauderkunde die Bewegten aufs Höchste. Später kam auch Franzl herab und erzählte seine Unterredung, die er gestern Abends mit dem Pfarrer am Thore gehabt hatte. Rosi bekam nun schnell einen hellen Blick in die Sache, ihres Herrn Benehmen fing sie an zu begreifen, im Stillen gelobte sie ihm zwanzig Messen, den Bauern theilte sie aber nur ihren lauten Schmerz mit. Die Bauersleute stiegen nun mit Leitern, Seilen und Spaten ins Gebirg, kamen aber am Abend heim -- wie sie ausgegangen waren. Auch im Frühlinge, als der Schnee zu Wasser geworden, von der Erde aufgesaugt und von der Steyer aus dem Thale geführt war, fand man in den Schluchten keinen Leichnam, sondern nur würziges Alpenkraut und schöne Blumen, die vor den Suchenden ihre duftenden Häupter schüttelten, als wollten sie sagen: Was wissen wir von der traurigen Geschichte! Ohne Spur ist aber der Pfarrer nicht aus dem rechten Weg, um ihn im nächsten Augenblicke wieder zu verlassen — er vergeudete so wider seinen Willen kostbare Stunden und kam erst am lichten Morgen, als die Stunde zur Messe schon geschlagen hatte, im Dorfe an. Es hatte endlich zu schneien aufgehört. Der Vormittag des heiligen Stephanstages war eben so schön, so schneeprächtig, als der des verflossenen Christfestes. Vor der Kirche standen die Bauern, bestürzt — mitten unter ihnen Rosi weinend, erzählend — und dunkle Vermuthungen ausstreuend. Der Meßner erschütterte mit seiner Schauderkunde die Bewegten aufs Höchste. Später kam auch Franzl herab und erzählte seine Unterredung, die er gestern Abends mit dem Pfarrer am Thore gehabt hatte. Rosi bekam nun schnell einen hellen Blick in die Sache, ihres Herrn Benehmen fing sie an zu begreifen, im Stillen gelobte sie ihm zwanzig Messen, den Bauern theilte sie aber nur ihren lauten Schmerz mit. Die Bauersleute stiegen nun mit Leitern, Seilen und Spaten ins Gebirg, kamen aber am Abend heim — wie sie ausgegangen waren. Auch im Frühlinge, als der Schnee zu Wasser geworden, von der Erde aufgesaugt und von der Steyer aus dem Thale geführt war, fand man in den Schluchten keinen Leichnam, sondern nur würziges Alpenkraut und schöne Blumen, die vor den Suchenden ihre duftenden Häupter schüttelten, als wollten sie sagen: Was wissen wir von der traurigen Geschichte! Ohne Spur ist aber der Pfarrer nicht aus dem <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0037"/> rechten Weg, um ihn im nächsten Augenblicke wieder zu verlassen — er vergeudete so wider seinen Willen kostbare Stunden und kam erst am lichten Morgen, als die Stunde zur Messe schon geschlagen hatte, im Dorfe an. Es hatte endlich zu schneien aufgehört. Der Vormittag des heiligen Stephanstages war eben so schön, so schneeprächtig, als der des verflossenen Christfestes.</p><lb/> <p>Vor der Kirche standen die Bauern, bestürzt — mitten unter ihnen Rosi weinend, erzählend — und dunkle Vermuthungen ausstreuend. Der Meßner erschütterte mit seiner Schauderkunde die Bewegten aufs Höchste. Später kam auch Franzl herab und erzählte seine Unterredung, die er gestern Abends mit dem Pfarrer am Thore gehabt hatte. Rosi bekam nun schnell einen hellen Blick in die Sache, ihres Herrn Benehmen fing sie an zu begreifen, im Stillen gelobte sie ihm zwanzig Messen, den Bauern theilte sie aber nur ihren lauten Schmerz mit. Die Bauersleute stiegen nun mit Leitern, Seilen und Spaten ins Gebirg, kamen aber am Abend heim — wie sie ausgegangen waren.</p><lb/> <p>Auch im Frühlinge, als der Schnee zu Wasser geworden, von der Erde aufgesaugt und von der Steyer aus dem Thale geführt war, fand man in den Schluchten keinen Leichnam, sondern nur würziges Alpenkraut und schöne Blumen, die vor den Suchenden ihre duftenden Häupter schüttelten, als wollten sie sagen: Was wissen wir von der traurigen Geschichte!</p><lb/> <p>Ohne Spur ist aber der Pfarrer nicht aus dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
rechten Weg, um ihn im nächsten Augenblicke wieder zu verlassen — er vergeudete so wider seinen Willen kostbare Stunden und kam erst am lichten Morgen, als die Stunde zur Messe schon geschlagen hatte, im Dorfe an. Es hatte endlich zu schneien aufgehört. Der Vormittag des heiligen Stephanstages war eben so schön, so schneeprächtig, als der des verflossenen Christfestes.
Vor der Kirche standen die Bauern, bestürzt — mitten unter ihnen Rosi weinend, erzählend — und dunkle Vermuthungen ausstreuend. Der Meßner erschütterte mit seiner Schauderkunde die Bewegten aufs Höchste. Später kam auch Franzl herab und erzählte seine Unterredung, die er gestern Abends mit dem Pfarrer am Thore gehabt hatte. Rosi bekam nun schnell einen hellen Blick in die Sache, ihres Herrn Benehmen fing sie an zu begreifen, im Stillen gelobte sie ihm zwanzig Messen, den Bauern theilte sie aber nur ihren lauten Schmerz mit. Die Bauersleute stiegen nun mit Leitern, Seilen und Spaten ins Gebirg, kamen aber am Abend heim — wie sie ausgegangen waren.
Auch im Frühlinge, als der Schnee zu Wasser geworden, von der Erde aufgesaugt und von der Steyer aus dem Thale geführt war, fand man in den Schluchten keinen Leichnam, sondern nur würziges Alpenkraut und schöne Blumen, die vor den Suchenden ihre duftenden Häupter schüttelten, als wollten sie sagen: Was wissen wir von der traurigen Geschichte!
Ohne Spur ist aber der Pfarrer nicht aus dem
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