Die Sünden der Revolution erschienen den harmlosen deutschen Zu- schauern kaum minder verführerisch als ihre Größe. Der an Plutarchs Heldengeschichten geschulte Geschmack begeisterte sich treuherzig für das gespreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapostel, die unhistorischen Ab- stractionen ihrer Staatslehre entsprachen der philosophischen Selbstgefällig- keit des Zeitalters. Die schwärmerische Jugend, der noch die Kraftworte des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte sich hingerissen von dem rhetorischen Pathos der Franzosen, bewunderte arglos die republikanische Tugend der Girondisten -- zur selben Zeit, da diese Partei in frevel- haftem Leichtsinn den Krieg gegen Deutschland anstiftete. Die romantische Verherrlichung des alten Kaiserthums, die während der letzten Jahre unter den schwäbischen Poeten in Schwung gekommen war, verstummte jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopstock selber wendete seine Blicke von den cheruskischen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptstadt der Welt, besang den hundertarmigen, hundertäugigen Riesen und rief: "Hätt' ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er- reichendem Ton, sänge die göttliche schwach." Weltbürgerliche Freiheits- begeisterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers und Prosa gegen Tyrannen und Sklaven: "Ketten rasseln ihnen Silber- ton!" In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres- tage des Bastillesturmes das Fest der Brüderlichkeit gefeiert und der Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der sich um Klopstock schaarte -- Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus und die Stolberge -- schwelgten im Rausche des seligen Völkerglücks. Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren sahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren schien zu der Unschuld ursprünglicher Menschheit. Für Oberdeutschland wurde Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die jungen Brauseköpfe aus Schwaben um das neufränkische Evangelium kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu- denten ließen sich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politische Rufe vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi- granten, der Hochmuth und die Unzucht dieser Landesverräther schienen jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbst in Berlin sah man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geschmückt, und der Rector des Joachimsthaler Gymnasiums pries am Geburtstage des Königs in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem Beifall des Ministers Hertzberg.
Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be- wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war in seiner stillen Weise auch der politischen Gedankenarbeit des Zeitalters wachsam nachgegangen, namentlich mit Rousseau und Adam Smith tief vertraut geworden und brachte nun den metaphysischen Freiheitskämpfen
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Eindruck der Revolution in Deutſchland.
Die Sünden der Revolution erſchienen den harmloſen deutſchen Zu- ſchauern kaum minder verführeriſch als ihre Größe. Der an Plutarchs Heldengeſchichten geſchulte Geſchmack begeiſterte ſich treuherzig für das geſpreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapoſtel, die unhiſtoriſchen Ab- ſtractionen ihrer Staatslehre entſprachen der philoſophiſchen Selbſtgefällig- keit des Zeitalters. Die ſchwärmeriſche Jugend, der noch die Kraftworte des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte ſich hingeriſſen von dem rhetoriſchen Pathos der Franzoſen, bewunderte arglos die republikaniſche Tugend der Girondiſten — zur ſelben Zeit, da dieſe Partei in frevel- haftem Leichtſinn den Krieg gegen Deutſchland anſtiftete. Die romantiſche Verherrlichung des alten Kaiſerthums, die während der letzten Jahre unter den ſchwäbiſchen Poeten in Schwung gekommen war, verſtummte jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopſtock ſelber wendete ſeine Blicke von den cheruskiſchen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptſtadt der Welt, beſang den hundertarmigen, hundertäugigen Rieſen und rief: „Hätt’ ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er- reichendem Ton, ſänge die göttliche ſchwach.“ Weltbürgerliche Freiheits- begeiſterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers und Proſa gegen Tyrannen und Sklaven: „Ketten raſſeln ihnen Silber- ton!“ In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres- tage des Baſtilleſturmes das Feſt der Brüderlichkeit gefeiert und der Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der ſich um Klopſtock ſchaarte — Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus und die Stolberge — ſchwelgten im Rauſche des ſeligen Völkerglücks. Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren ſahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren ſchien zu der Unſchuld urſprünglicher Menſchheit. Für Oberdeutſchland wurde Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die jungen Brauſeköpfe aus Schwaben um das neufränkiſche Evangelium kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu- denten ließen ſich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politiſche Rufe vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi- granten, der Hochmuth und die Unzucht dieſer Landesverräther ſchienen jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbſt in Berlin ſah man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geſchmückt, und der Rector des Joachimsthaler Gymnaſiums pries am Geburtstage des Königs in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem Beifall des Miniſters Hertzberg.
Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be- wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war in ſeiner ſtillen Weiſe auch der politiſchen Gedankenarbeit des Zeitalters wachſam nachgegangen, namentlich mit Rouſſeau und Adam Smith tief vertraut geworden und brachte nun den metaphyſiſchen Freiheitskämpfen
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Eindruck der Revolution in Deutſchland.
Die Sünden der Revolution erſchienen den harmloſen deutſchen Zu-
ſchauern kaum minder verführeriſch als ihre Größe. Der an Plutarchs
Heldengeſchichten geſchulte Geſchmack begeiſterte ſich treuherzig für das
geſpreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapoſtel, die unhiſtoriſchen Ab-
ſtractionen ihrer Staatslehre entſprachen der philoſophiſchen Selbſtgefällig-
keit des Zeitalters. Die ſchwärmeriſche Jugend, der noch die Kraftworte
des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte ſich hingeriſſen von dem
rhetoriſchen Pathos der Franzoſen, bewunderte arglos die republikaniſche
Tugend der Girondiſten — zur ſelben Zeit, da dieſe Partei in frevel-
haftem Leichtſinn den Krieg gegen Deutſchland anſtiftete. Die romantiſche
Verherrlichung des alten Kaiſerthums, die während der letzten Jahre
unter den ſchwäbiſchen Poeten in Schwung gekommen war, verſtummte
jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopſtock ſelber wendete ſeine Blicke von
den cheruskiſchen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptſtadt der
Welt, beſang den hundertarmigen, hundertäugigen Rieſen und rief:
„Hätt’ ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er-
reichendem Ton, ſänge die göttliche ſchwach.“ Weltbürgerliche Freiheits-
begeiſterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers
und Proſa gegen Tyrannen und Sklaven: „Ketten raſſeln ihnen Silber-
ton!“ In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres-
tage des Baſtilleſturmes das Feſt der Brüderlichkeit gefeiert und der
Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der ſich um Klopſtock ſchaarte
— Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus
und die Stolberge — ſchwelgten im Rauſche des ſeligen Völkerglücks.
Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren
ſahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren ſchien
zu der Unſchuld urſprünglicher Menſchheit. Für Oberdeutſchland wurde
Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die
jungen Brauſeköpfe aus Schwaben um das neufränkiſche Evangelium
kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu-
denten ließen ſich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politiſche Rufe
vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi-
granten, der Hochmuth und die Unzucht dieſer Landesverräther ſchienen
jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbſt in Berlin ſah
man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geſchmückt, und der
Rector des Joachimsthaler Gymnaſiums pries am Geburtstage des Königs
in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem
Beifall des Miniſters Hertzberg.
Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be-
wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war
in ſeiner ſtillen Weiſe auch der politiſchen Gedankenarbeit des Zeitalters
wachſam nachgegangen, namentlich mit Rouſſeau und Adam Smith tief
vertraut geworden und brachte nun den metaphyſiſchen Freiheitskämpfen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/131>, abgerufen am 27.11.2024.
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