Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
des Jahrhunderts den wissenschaftlichen Abschluß durch die großen Sätze:
in jedem Menschen sei die Würde des ganzen Geschlechts zu ehren, kein
Mensch dürfe blos als ein Mittel benutzt werden. Was er also in ein-
samen Nachdenken gefunden, sah er jetzt verwirklicht durch die Thaten
der Franzosen, und da er in seinem heiteren Stillleben von den dämo-
nischen Kräften des keltischen Volksthums gar nichts ahnte, so ließ er sich
in der Bewunderung der Revolution auch durch die Gräuel der Schreckens-
herrschaft nicht stören, denn selbst die Blutmenschen der Guillotine be-
riefen sich auf das Recht der Idee. In Kants Schule ist der echte und
wahre Gehalt der Gedanken des Revolutionszeitalters am treuesten be-
wahrt worden.

Doch diese Begeisterung der deutschen gebildeten Welt für das re-
volutionäre Frankreich war und blieb rein theoretisch. Wie die Staats-
rechtslehrer von Göttingen und Halle in dem allgemeinen Theile ihrer
Vorlesungen aus der Idee heraus ein System des Vernunftrechts auf-
bauten um dann im besonderen Theile gleichmüthig das genaue Gegen-
theil des Vernunftstaats, das Labyrinth der deutschen Reichsverfassung
darzustellen, so legten sich auch die deutschen Bewunderer der Revolution
niemals die Frage vor, wie ihre Gedanken Fleisch und Blut gewinnen
sollten. Der Weise von Königsberg verwarf hart und unbedingt jedes
Recht des Widerstandes. Selbst Fichte, der radicalste seiner Schüler, der
noch in den Tagen Robespierres die französische Freiheit zu vertheidigen
wagte, warnte eindringlich vor der Ausführung seiner eigenen Gedanken;
er sah keine Brücke zwischen "der ebenen Heerstraße des Naturrechts"
und "den finstern Hohlwegen einer halbbarbarischen Politik" und schloß
entsagend: "Würdigkeit zur Freiheit kann nur von unten herauf kommen,
die Befreiung kann ohne Unordnung nur von oben herunter kommen."
So lange die Schläge der Revolution nur den Adel und die alte Kirche
trafen, hielt die theoretische Begeisterung der Deutschen Stand; man
glaubte arglos, daß die Jacobiner lediglich in gerechter Nothwehr eine Rotte
gefährlicher Verschwörer bekämpften, und "wer fiel hatte unrecht". Aber
als der Parteikampf immer wüster und roher dahinraste, als die fanatische
Gleichheitswuth sich vermaß selbst die letzte Aristokratie, die des Lebens,
zu vernichten, da vermochte der treue und schwere deutsche Sinn den
launischen Zuckungen der gallischen Leidenschaft nicht mehr zu folgen.
Der deutsche Schwärmer kehrte sich weinend ab von den Barbaren, die
ihm sein Heiligthum geschändet. Klopstock klagte: "Ach des goldenen Traums
Wonn' ist dahin." Man war erschreckt und entrüstet. Das Gefühl kalter
Verachtung, das die Gräuel der Schreckenszeit in einer politisch reifen
Nation erregen mußten, kam bei der deutschen Gutherzigkeit nicht auf;
sie bemerkte nicht, daß die Massenmorde des Wohlfahrtsausschusses von
einer winzigen Minderheit einem sklavisch gehorchenden Volke auferlegt
wurden. Die Enttäuschten sanken zurück in die alte politische Gleich-

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
des Jahrhunderts den wiſſenſchaftlichen Abſchluß durch die großen Sätze:
in jedem Menſchen ſei die Würde des ganzen Geſchlechts zu ehren, kein
Menſch dürfe blos als ein Mittel benutzt werden. Was er alſo in ein-
ſamen Nachdenken gefunden, ſah er jetzt verwirklicht durch die Thaten
der Franzoſen, und da er in ſeinem heiteren Stillleben von den dämo-
niſchen Kräften des keltiſchen Volksthums gar nichts ahnte, ſo ließ er ſich
in der Bewunderung der Revolution auch durch die Gräuel der Schreckens-
herrſchaft nicht ſtören, denn ſelbſt die Blutmenſchen der Guillotine be-
riefen ſich auf das Recht der Idee. In Kants Schule iſt der echte und
wahre Gehalt der Gedanken des Revolutionszeitalters am treueſten be-
wahrt worden.

Doch dieſe Begeiſterung der deutſchen gebildeten Welt für das re-
volutionäre Frankreich war und blieb rein theoretiſch. Wie die Staats-
rechtslehrer von Göttingen und Halle in dem allgemeinen Theile ihrer
Vorleſungen aus der Idee heraus ein Syſtem des Vernunftrechts auf-
bauten um dann im beſonderen Theile gleichmüthig das genaue Gegen-
theil des Vernunftſtaats, das Labyrinth der deutſchen Reichsverfaſſung
darzuſtellen, ſo legten ſich auch die deutſchen Bewunderer der Revolution
niemals die Frage vor, wie ihre Gedanken Fleiſch und Blut gewinnen
ſollten. Der Weiſe von Königsberg verwarf hart und unbedingt jedes
Recht des Widerſtandes. Selbſt Fichte, der radicalſte ſeiner Schüler, der
noch in den Tagen Robespierres die franzöſiſche Freiheit zu vertheidigen
wagte, warnte eindringlich vor der Ausführung ſeiner eigenen Gedanken;
er ſah keine Brücke zwiſchen „der ebenen Heerſtraße des Naturrechts“
und „den finſtern Hohlwegen einer halbbarbariſchen Politik“ und ſchloß
entſagend: „Würdigkeit zur Freiheit kann nur von unten herauf kommen,
die Befreiung kann ohne Unordnung nur von oben herunter kommen.“
So lange die Schläge der Revolution nur den Adel und die alte Kirche
trafen, hielt die theoretiſche Begeiſterung der Deutſchen Stand; man
glaubte arglos, daß die Jacobiner lediglich in gerechter Nothwehr eine Rotte
gefährlicher Verſchwörer bekämpften, und „wer fiel hatte unrecht“. Aber
als der Parteikampf immer wüſter und roher dahinraſte, als die fanatiſche
Gleichheitswuth ſich vermaß ſelbſt die letzte Ariſtokratie, die des Lebens,
zu vernichten, da vermochte der treue und ſchwere deutſche Sinn den
launiſchen Zuckungen der galliſchen Leidenſchaft nicht mehr zu folgen.
Der deutſche Schwärmer kehrte ſich weinend ab von den Barbaren, die
ihm ſein Heiligthum geſchändet. Klopſtock klagte: „Ach des goldenen Traums
Wonn’ iſt dahin.“ Man war erſchreckt und entrüſtet. Das Gefühl kalter
Verachtung, das die Gräuel der Schreckenszeit in einer politiſch reifen
Nation erregen mußten, kam bei der deutſchen Gutherzigkeit nicht auf;
ſie bemerkte nicht, daß die Maſſenmorde des Wohlfahrtsausſchuſſes von
einer winzigen Minderheit einem ſklaviſch gehorchenden Volke auferlegt
wurden. Die Enttäuſchten ſanken zurück in die alte politiſche Gleich-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0132" n="116"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherr&#x017F;chaft.</fw><lb/>
des Jahrhunderts den wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Ab&#x017F;chluß durch die großen Sätze:<lb/>
in jedem Men&#x017F;chen &#x017F;ei die Würde des ganzen Ge&#x017F;chlechts zu ehren, kein<lb/>
Men&#x017F;ch dürfe blos als ein Mittel benutzt werden. Was er al&#x017F;o in ein-<lb/>
&#x017F;amen Nachdenken gefunden, &#x017F;ah er jetzt verwirklicht durch die Thaten<lb/>
der Franzo&#x017F;en, und da er in &#x017F;einem heiteren Stillleben von den dämo-<lb/>
ni&#x017F;chen Kräften des kelti&#x017F;chen Volksthums gar nichts ahnte, &#x017F;o ließ er &#x017F;ich<lb/>
in der Bewunderung der Revolution auch durch die Gräuel der Schreckens-<lb/>
herr&#x017F;chaft nicht &#x017F;tören, denn &#x017F;elb&#x017F;t die Blutmen&#x017F;chen der Guillotine be-<lb/>
riefen &#x017F;ich auf das Recht der Idee. In Kants Schule i&#x017F;t der echte und<lb/>
wahre Gehalt der Gedanken des Revolutionszeitalters am treue&#x017F;ten be-<lb/>
wahrt worden.</p><lb/>
            <p>Doch die&#x017F;e Begei&#x017F;terung der deut&#x017F;chen gebildeten Welt für das re-<lb/>
volutionäre Frankreich war und blieb rein theoreti&#x017F;ch. Wie die Staats-<lb/>
rechtslehrer von Göttingen und Halle in dem allgemeinen Theile ihrer<lb/>
Vorle&#x017F;ungen aus der Idee heraus ein Sy&#x017F;tem des Vernunftrechts auf-<lb/>
bauten um dann im be&#x017F;onderen Theile gleichmüthig das genaue Gegen-<lb/>
theil des Vernunft&#x017F;taats, das Labyrinth der deut&#x017F;chen Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
darzu&#x017F;tellen, &#x017F;o legten &#x017F;ich auch die deut&#x017F;chen Bewunderer der Revolution<lb/>
niemals die Frage vor, wie ihre Gedanken Flei&#x017F;ch und Blut gewinnen<lb/>
&#x017F;ollten. Der Wei&#x017F;e von Königsberg verwarf hart und unbedingt jedes<lb/>
Recht des Wider&#x017F;tandes. Selb&#x017F;t Fichte, der radical&#x017F;te &#x017F;einer Schüler, der<lb/>
noch in den Tagen Robespierres die franzö&#x017F;i&#x017F;che Freiheit zu vertheidigen<lb/>
wagte, warnte eindringlich vor der Ausführung &#x017F;einer eigenen Gedanken;<lb/>
er &#x017F;ah keine Brücke zwi&#x017F;chen &#x201E;der ebenen Heer&#x017F;traße des Naturrechts&#x201C;<lb/>
und &#x201E;den fin&#x017F;tern Hohlwegen einer halbbarbari&#x017F;chen Politik&#x201C; und &#x017F;chloß<lb/>
ent&#x017F;agend: &#x201E;Würdigkeit zur Freiheit kann nur von unten herauf kommen,<lb/>
die Befreiung kann ohne Unordnung nur von oben herunter kommen.&#x201C;<lb/>
So lange die Schläge der Revolution nur den Adel und die alte Kirche<lb/>
trafen, hielt die theoreti&#x017F;che Begei&#x017F;terung der Deut&#x017F;chen Stand; man<lb/>
glaubte arglos, daß die Jacobiner lediglich in gerechter Nothwehr eine Rotte<lb/>
gefährlicher Ver&#x017F;chwörer bekämpften, und &#x201E;wer fiel hatte unrecht&#x201C;. Aber<lb/>
als der Parteikampf immer wü&#x017F;ter und roher dahinra&#x017F;te, als die fanati&#x017F;che<lb/>
Gleichheitswuth &#x017F;ich vermaß &#x017F;elb&#x017F;t die letzte Ari&#x017F;tokratie, die des Lebens,<lb/>
zu vernichten, da vermochte der treue und &#x017F;chwere deut&#x017F;che Sinn den<lb/>
launi&#x017F;chen Zuckungen der galli&#x017F;chen Leiden&#x017F;chaft nicht mehr zu folgen.<lb/>
Der deut&#x017F;che Schwärmer kehrte &#x017F;ich weinend ab von den Barbaren, die<lb/>
ihm &#x017F;ein Heiligthum ge&#x017F;chändet. Klop&#x017F;tock klagte: &#x201E;Ach des goldenen Traums<lb/>
Wonn&#x2019; i&#x017F;t dahin.&#x201C; Man war er&#x017F;chreckt und entrü&#x017F;tet. Das Gefühl kalter<lb/>
Verachtung, das die Gräuel der Schreckenszeit in einer politi&#x017F;ch reifen<lb/>
Nation erregen mußten, kam bei der deut&#x017F;chen Gutherzigkeit nicht auf;<lb/>
&#x017F;ie bemerkte nicht, daß die Ma&#x017F;&#x017F;enmorde des Wohlfahrtsaus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es von<lb/>
einer winzigen Minderheit einem &#x017F;klavi&#x017F;ch gehorchenden Volke auferlegt<lb/>
wurden. Die Enttäu&#x017F;chten &#x017F;anken zurück in die alte politi&#x017F;che Gleich-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0132] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. des Jahrhunderts den wiſſenſchaftlichen Abſchluß durch die großen Sätze: in jedem Menſchen ſei die Würde des ganzen Geſchlechts zu ehren, kein Menſch dürfe blos als ein Mittel benutzt werden. Was er alſo in ein- ſamen Nachdenken gefunden, ſah er jetzt verwirklicht durch die Thaten der Franzoſen, und da er in ſeinem heiteren Stillleben von den dämo- niſchen Kräften des keltiſchen Volksthums gar nichts ahnte, ſo ließ er ſich in der Bewunderung der Revolution auch durch die Gräuel der Schreckens- herrſchaft nicht ſtören, denn ſelbſt die Blutmenſchen der Guillotine be- riefen ſich auf das Recht der Idee. In Kants Schule iſt der echte und wahre Gehalt der Gedanken des Revolutionszeitalters am treueſten be- wahrt worden. Doch dieſe Begeiſterung der deutſchen gebildeten Welt für das re- volutionäre Frankreich war und blieb rein theoretiſch. Wie die Staats- rechtslehrer von Göttingen und Halle in dem allgemeinen Theile ihrer Vorleſungen aus der Idee heraus ein Syſtem des Vernunftrechts auf- bauten um dann im beſonderen Theile gleichmüthig das genaue Gegen- theil des Vernunftſtaats, das Labyrinth der deutſchen Reichsverfaſſung darzuſtellen, ſo legten ſich auch die deutſchen Bewunderer der Revolution niemals die Frage vor, wie ihre Gedanken Fleiſch und Blut gewinnen ſollten. Der Weiſe von Königsberg verwarf hart und unbedingt jedes Recht des Widerſtandes. Selbſt Fichte, der radicalſte ſeiner Schüler, der noch in den Tagen Robespierres die franzöſiſche Freiheit zu vertheidigen wagte, warnte eindringlich vor der Ausführung ſeiner eigenen Gedanken; er ſah keine Brücke zwiſchen „der ebenen Heerſtraße des Naturrechts“ und „den finſtern Hohlwegen einer halbbarbariſchen Politik“ und ſchloß entſagend: „Würdigkeit zur Freiheit kann nur von unten herauf kommen, die Befreiung kann ohne Unordnung nur von oben herunter kommen.“ So lange die Schläge der Revolution nur den Adel und die alte Kirche trafen, hielt die theoretiſche Begeiſterung der Deutſchen Stand; man glaubte arglos, daß die Jacobiner lediglich in gerechter Nothwehr eine Rotte gefährlicher Verſchwörer bekämpften, und „wer fiel hatte unrecht“. Aber als der Parteikampf immer wüſter und roher dahinraſte, als die fanatiſche Gleichheitswuth ſich vermaß ſelbſt die letzte Ariſtokratie, die des Lebens, zu vernichten, da vermochte der treue und ſchwere deutſche Sinn den launiſchen Zuckungen der galliſchen Leidenſchaft nicht mehr zu folgen. Der deutſche Schwärmer kehrte ſich weinend ab von den Barbaren, die ihm ſein Heiligthum geſchändet. Klopſtock klagte: „Ach des goldenen Traums Wonn’ iſt dahin.“ Man war erſchreckt und entrüſtet. Das Gefühl kalter Verachtung, das die Gräuel der Schreckenszeit in einer politiſch reifen Nation erregen mußten, kam bei der deutſchen Gutherzigkeit nicht auf; ſie bemerkte nicht, daß die Maſſenmorde des Wohlfahrtsausſchuſſes von einer winzigen Minderheit einem ſklaviſch gehorchenden Volke auferlegt wurden. Die Enttäuſchten ſanken zurück in die alte politiſche Gleich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/132
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/132>, abgerufen am 09.11.2024.