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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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F. Gentz.
giltigkeit und wandten ihre ganze Thatkraft wieder auf die Arbeit der
Kunst und Wissenschaft. Es war der großen Mehrzahl der Gebildeten
aus der Seele gesprochen, wenn Goethe das Franzthum anklagte, das
heute, wie einst das Lutherthum, die ruhige Bildung störe, wenn Schiller
seine Horen mit den Worten ankündigte: der Dichter und Philosoph ge-
höre dem Leibe nach seiner Zeit an, weil er es müsse, dem Geiste nach
sei er der Zeitgenosse aller Zeiten.

Das bedeutendste literarische Werk, das in Deutschland durch die
Revolution veranlaßt wurde, kam aus dem gegnerischen Lager. Es konnte
nicht fehlen, daß die conservativen Kräfte zur Abwehr der revolutionären
Ideen sich zusammenschaarten. Unter den preußischen Offizieren erregte
vor Allem der Eidbruch der französischen Truppen tiefe Entrüstung; es
bildete sich ein royalistischer Verein, der seinen Genossen die Heiligkeit
des Fahneneides einschärfte. Brandes und Rehberg schrieben im Sinne
der alten Gesellschaft, wohlmeinend und sachkundig, doch ohne Kraft und
Tiefsinn; Spittler beurtheilte Segen und Unsegen der gewaltigen Bewegung
mit der unparteiischen Sicherheit des Historikers. Der Scharfblick des
Hauptmanns Gneisenau fand schon im Jahre 1790 die Franzosen reif
zur Knechtschaft und sah voraus, daß eine Umwälzung ohne gleichen die
Grenzen aller Länder bedrohe. Länger währte es, bis Friedrich Gentz
über die Zeichen der Zeit ins Reine kam. Noch im April 1791 wollte
er Burkes Anklagen wider die Revolution nicht gelten lassen; anderthalb
Jahre später übersetzte er selber das Buch des Briten und fügte jene
köstlichen Abhandlungen hinzu, die einen Wendepunkt in der Geschichte
unserer politischen Bildung bezeichnen. Hier zuerst ward erkennbar, daß
die große Zeit unserer Literatur auch das politische Denken der Nation
zu verjüngen und zu läutern bestimmt war. Ein Jünger der neuen
Bildung, ausgerüstet mit dem Gedankenreichthum der Kantischen Philo-
sophie und dem reinen Formensinne der classischen Dichtung, bewährte
zum ersten male jene Kraft der productiven Kritik, welcher die Kunst
und Wissenschaft ein neues Leben dankten, nicht in abstracten naturrecht-
lichen Speculationen, sondern in der Beurtheilung der lebendigen That-
sachen der Zeitgeschichte; er verstand das Wirkliche zu sehen, in den un-
fertigen Gebilden des Augenblicks schon die Umrisse zukünftiger Gestaltung
zu erkennen. Mit einer Macht und Fülle der Sprache, wie sie Deutsch-
land bisher nur an seinen Dichtern kannte, geißelte er die Thorheit, die
in Horden geht, und weissagte: "Frankreich wird von Fall zu Fall, von
Katastrophe zu Katastrophe schreiten." Wohl ließ sich bereits errathen,
daß die Charakterstärke dieses ersten Publicisten der Epoche seinem Talente
nicht entsprach; sein Haß gegen die Revolution war nicht frei von nervöser
Aengstlichkeit, er zitterte vor dem Uebermaße des Wissens, vor diesem
wilden Jahrhundert, das "anfängt des Zügels zu bedürfen". Dennoch
hoben sich aus seiner Schrift scharf und klar die Grundgedanken einer

F. Gentz.
giltigkeit und wandten ihre ganze Thatkraft wieder auf die Arbeit der
Kunſt und Wiſſenſchaft. Es war der großen Mehrzahl der Gebildeten
aus der Seele geſprochen, wenn Goethe das Franzthum anklagte, das
heute, wie einſt das Lutherthum, die ruhige Bildung ſtöre, wenn Schiller
ſeine Horen mit den Worten ankündigte: der Dichter und Philoſoph ge-
höre dem Leibe nach ſeiner Zeit an, weil er es müſſe, dem Geiſte nach
ſei er der Zeitgenoſſe aller Zeiten.

Das bedeutendſte literariſche Werk, das in Deutſchland durch die
Revolution veranlaßt wurde, kam aus dem gegneriſchen Lager. Es konnte
nicht fehlen, daß die conſervativen Kräfte zur Abwehr der revolutionären
Ideen ſich zuſammenſchaarten. Unter den preußiſchen Offizieren erregte
vor Allem der Eidbruch der franzöſiſchen Truppen tiefe Entrüſtung; es
bildete ſich ein royaliſtiſcher Verein, der ſeinen Genoſſen die Heiligkeit
des Fahneneides einſchärfte. Brandes und Rehberg ſchrieben im Sinne
der alten Geſellſchaft, wohlmeinend und ſachkundig, doch ohne Kraft und
Tiefſinn; Spittler beurtheilte Segen und Unſegen der gewaltigen Bewegung
mit der unparteiiſchen Sicherheit des Hiſtorikers. Der Scharfblick des
Hauptmanns Gneiſenau fand ſchon im Jahre 1790 die Franzoſen reif
zur Knechtſchaft und ſah voraus, daß eine Umwälzung ohne gleichen die
Grenzen aller Länder bedrohe. Länger währte es, bis Friedrich Gentz
über die Zeichen der Zeit ins Reine kam. Noch im April 1791 wollte
er Burkes Anklagen wider die Revolution nicht gelten laſſen; anderthalb
Jahre ſpäter überſetzte er ſelber das Buch des Briten und fügte jene
köſtlichen Abhandlungen hinzu, die einen Wendepunkt in der Geſchichte
unſerer politiſchen Bildung bezeichnen. Hier zuerſt ward erkennbar, daß
die große Zeit unſerer Literatur auch das politiſche Denken der Nation
zu verjüngen und zu läutern beſtimmt war. Ein Jünger der neuen
Bildung, ausgerüſtet mit dem Gedankenreichthum der Kantiſchen Philo-
ſophie und dem reinen Formenſinne der claſſiſchen Dichtung, bewährte
zum erſten male jene Kraft der productiven Kritik, welcher die Kunſt
und Wiſſenſchaft ein neues Leben dankten, nicht in abſtracten naturrecht-
lichen Speculationen, ſondern in der Beurtheilung der lebendigen That-
ſachen der Zeitgeſchichte; er verſtand das Wirkliche zu ſehen, in den un-
fertigen Gebilden des Augenblicks ſchon die Umriſſe zukünftiger Geſtaltung
zu erkennen. Mit einer Macht und Fülle der Sprache, wie ſie Deutſch-
land bisher nur an ſeinen Dichtern kannte, geißelte er die Thorheit, die
in Horden geht, und weiſſagte: „Frankreich wird von Fall zu Fall, von
Kataſtrophe zu Kataſtrophe ſchreiten.“ Wohl ließ ſich bereits errathen,
daß die Charakterſtärke dieſes erſten Publiciſten der Epoche ſeinem Talente
nicht entſprach; ſein Haß gegen die Revolution war nicht frei von nervöſer
Aengſtlichkeit, er zitterte vor dem Uebermaße des Wiſſens, vor dieſem
wilden Jahrhundert, das „anfängt des Zügels zu bedürfen“. Dennoch
hoben ſich aus ſeiner Schrift ſcharf und klar die Grundgedanken einer

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[117/0133] F. Gentz. giltigkeit und wandten ihre ganze Thatkraft wieder auf die Arbeit der Kunſt und Wiſſenſchaft. Es war der großen Mehrzahl der Gebildeten aus der Seele geſprochen, wenn Goethe das Franzthum anklagte, das heute, wie einſt das Lutherthum, die ruhige Bildung ſtöre, wenn Schiller ſeine Horen mit den Worten ankündigte: der Dichter und Philoſoph ge- höre dem Leibe nach ſeiner Zeit an, weil er es müſſe, dem Geiſte nach ſei er der Zeitgenoſſe aller Zeiten. Das bedeutendſte literariſche Werk, das in Deutſchland durch die Revolution veranlaßt wurde, kam aus dem gegneriſchen Lager. Es konnte nicht fehlen, daß die conſervativen Kräfte zur Abwehr der revolutionären Ideen ſich zuſammenſchaarten. Unter den preußiſchen Offizieren erregte vor Allem der Eidbruch der franzöſiſchen Truppen tiefe Entrüſtung; es bildete ſich ein royaliſtiſcher Verein, der ſeinen Genoſſen die Heiligkeit des Fahneneides einſchärfte. Brandes und Rehberg ſchrieben im Sinne der alten Geſellſchaft, wohlmeinend und ſachkundig, doch ohne Kraft und Tiefſinn; Spittler beurtheilte Segen und Unſegen der gewaltigen Bewegung mit der unparteiiſchen Sicherheit des Hiſtorikers. Der Scharfblick des Hauptmanns Gneiſenau fand ſchon im Jahre 1790 die Franzoſen reif zur Knechtſchaft und ſah voraus, daß eine Umwälzung ohne gleichen die Grenzen aller Länder bedrohe. Länger währte es, bis Friedrich Gentz über die Zeichen der Zeit ins Reine kam. Noch im April 1791 wollte er Burkes Anklagen wider die Revolution nicht gelten laſſen; anderthalb Jahre ſpäter überſetzte er ſelber das Buch des Briten und fügte jene köſtlichen Abhandlungen hinzu, die einen Wendepunkt in der Geſchichte unſerer politiſchen Bildung bezeichnen. Hier zuerſt ward erkennbar, daß die große Zeit unſerer Literatur auch das politiſche Denken der Nation zu verjüngen und zu läutern beſtimmt war. Ein Jünger der neuen Bildung, ausgerüſtet mit dem Gedankenreichthum der Kantiſchen Philo- ſophie und dem reinen Formenſinne der claſſiſchen Dichtung, bewährte zum erſten male jene Kraft der productiven Kritik, welcher die Kunſt und Wiſſenſchaft ein neues Leben dankten, nicht in abſtracten naturrecht- lichen Speculationen, ſondern in der Beurtheilung der lebendigen That- ſachen der Zeitgeſchichte; er verſtand das Wirkliche zu ſehen, in den un- fertigen Gebilden des Augenblicks ſchon die Umriſſe zukünftiger Geſtaltung zu erkennen. Mit einer Macht und Fülle der Sprache, wie ſie Deutſch- land bisher nur an ſeinen Dichtern kannte, geißelte er die Thorheit, die in Horden geht, und weiſſagte: „Frankreich wird von Fall zu Fall, von Kataſtrophe zu Kataſtrophe ſchreiten.“ Wohl ließ ſich bereits errathen, daß die Charakterſtärke dieſes erſten Publiciſten der Epoche ſeinem Talente nicht entſprach; ſein Haß gegen die Revolution war nicht frei von nervöſer Aengſtlichkeit, er zitterte vor dem Uebermaße des Wiſſens, vor dieſem wilden Jahrhundert, das „anfängt des Zügels zu bedürfen“. Dennoch hoben ſich aus ſeiner Schrift ſcharf und klar die Grundgedanken einer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/133>, abgerufen am 27.11.2024.