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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Frankreich erklärt den Krieg.
zwiſchen zwei Feuern. Preußens Staatsmänner ſtanden vor der Wahl:
ob ſie entweder das zerrüttete, zum Angriff kaum fähige Heer der Re-
volution durch eine zähe Vertheidigung hinhalten und unterdeſſen mit der
geſammelten Kraft des Staates die deutſchen Intereſſen im Oſten wahren
oder umgekehrt die polniſche Entſcheidung vorläufig hinausſchieben ſollten
um zunächſt den franzöſiſchen Krieg mit raſchen, wuchtigen Schlägen zu
beenden. Da Frankreich ſelber durch ſeine Kriegserklärung die alten Ver-
träge zerriſſen hatte, ſo durfte ein heldenhafter Sinn jetzt wohl die Hoff-
nung faſſen, die von König Friedrich ſo oft beklagten deutſchen Thermo-
pylen, die Vogeſen, dem Reiche zurückzubringen. Was man auch wählen
mochte, die Stunde drängte; es galt die ganze Macht Preußens ſofort
einzuſetzen, mit überwältigender Schnelligkeit im Oſten oder im Weſten
einen durchſchlagenden Erfolg zu erringen. Aber das Adlerauge des großen
Königs wachte nicht mehr über ſeinem Staate; die kleinen Leute, welche
ſeinen Nachfolger umgaben, riethen zu dem Verkehrteſten, was geſchehen
konnte: ſie begannen einen Angriffskrieg gegen das Innere Frankreichs
und verwendeten für dies gewagte Unternehmen kaum die Hälfte des
preußiſchen Heeres.

Der Krieg der erſten Coalition ging verloren durch diplomatiſche
Fehler, nicht durch Niederlagen auf dem Schlachtfelde. Es ward ent-
ſcheidend für ſeinen Verlauf, daß grade jetzt in Wien und Berlin alle
Sünden und Lügen jener gierigen ideenloſen Cabinetspolitik des acht-
zehnten Jahrhunderts wieder emporkamen, welche der Gradſinn Friedrich
Wilhelms I. nicht verſtanden, der Heldenſtolz ſeines Sohnes verachtet
hatte. Kaiſer Leopold ſtarb ſchon zu Anfang des Krieges. Sein junger
Nachfolger Franz II. glaubte an das althabsburgiſche AEJDU mit der
ganzen Starrheit eines gedankenleeren Kopfes, blieb allezeit der einfachen
Anſicht, daß ſein Erzhaus niemals genug Land beſitzen könne; er nahm
die joſephiniſchen Eroberungspläne wieder auf, hoffte durch den fran-
zöſiſchen Krieg den Austauſch von Belgien gegen Baiern zu erreichen.
Auch die preußiſche Staatskunſt zeigte nicht mehr den alten Charakter
nüchterner Selbſtbeſchränkung; ſeit dem Abſchluß des öſterreichiſchen Bünd-
niſſes ward auch ſie von der unſteten Begehrlichkeit der habsburg-loth-
ringiſchen Hauspolitik ergriffen und ſchweifte unſicher ins Schrankenloſe
ſtatt nach guter Hohenzollernweiſe ein feſt begrenztes Ziel mit eiſerner
Ausdauer zu verfolgen. Den größten Gewinn an Land und Leuten, wo
es auch ſei, mit den kleinſten Opfern herauszuſchlagen, das war die Weis-
heit der pfiffigen Ränkeſchmiede Haugwitz und Lucheſini. Sie ſahen ein,
daß der Wiener Vertrag, welcher dem Kaiſer den Beiſtand Preußens un-
bedingt zur Verfügung ſtellte, eine ſträfliche Thorheit geweſen, und ver-
langten nun, noch ehe Oeſterreich ſeine bairiſchen Pläne kundgab, zur
Belohnung für die Kriegshilfe ein Stück von Polen und die pfälziſchen
Lande am Niederrhein; Pfalzbaiern mochte dafür im Elſaß entſchädigt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/141>, abgerufen am 20.02.2025.