Fürsten. Schon durch seine schlichten Sitten gewann er das Herz der Mittelklassen, und diese Schichten der Gesellschaft wurden mehr und mehr die Träger unserer öffentlichen Meinung. Die aufgeklärte Zeit fühlte sich praktisch wohl in einer ungebundenen Geselligkeit voll heiterer sinnlicher Lust, doch sie hegte eine lebhafte theoretische Begeisterung für die abstracte "Tugend"; der Ausdruck hatte noch nicht, wie heutzutage, den Nebensinn der philisterhaften Leere. Das preußische Volk hatte seit den Zeiten des großen Kurfürsten das Schauspiel ehelichen Glückes auf dem Throne nicht mehr gesehen; welcher Jubel nun unter diesen deutschen Familienmenschen, als der Thron sich in ein Heiligthum, der Hof sich in eine Familie ver- wandelte -- so sang Novalis in ehrlicher Begeisterung. Die unbarm- herzige Strenge der beiden gewaltigen Könige des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Massen in scheuer Ehrerbietung dem Throne ferngehalten; erst durch die heitere Herzensgüte der Königin Luise gewann das Verhältniß zwischen den Hohenzollern und ihrem treuen Volke jenen gemüthlichen Zug der Vertraulichkeit, der sich sonst nur in dem Stillleben der Klein- staaten zeigt.
Die Preußen fühlten sich stolz als Royalisten, als Gegner der Re- volution. Nicht blos der Heißsporn des märkischen Junkerthums, der junge v. d. Marwitz, auch Andere vom Adel und Offizierscorps maßen den Gesandten der Republik, den Königsmörder Sieyes mit zornigen Blicken, als er mit ungepudertem Haar und der dreifarbigen Schärpe bei dem altväterischen Gepränge des Huldigungsfestes erschien. Die auf- geklärte Berliner Gesellschaft stand aber zugleich in bewußtem Gegensatze zu Oesterreich und dem heiligen Reiche. Man gab den Franzosen zu verstehen, der König sei Demokrat auf seine Weise, werde mit Maß und Ordnung thun was jene im Sturm vollendet, und bald wollte man wissen, daß ein Jacobiner geklagt habe: "dieser Fürst verdirbt uns die Revolution." Als der junge König nun unter der zweideutigen Um- gebung seines Vaters mit Strenge aufräumte und in einigen wortreichen Cabinetsordres eine Fülle guter Vorsätze und menschenfreundlicher An- sichten aussprach, da rief Marcus Hertz frohlockend: "die reine Vernunft ist vom Himmel niedergekommen und hat sich auf unserem Throne nieder- gelassen." Ein Verein von Berliner Schriftstellern veröffentlichte "Jahr- bücher der preußischen Monarchie", welche das Walten des königlichen Reformators auf jedem Schritte begleiten sollten. Die hoffnungsvolle Stimmung währte noch lange. Als Hufeland im Jahre 1800 nach Berlin berufen wurde, schrieb er befriedigt: ich gehe in "einen liberalen, unter einer neuen Regierung neu aufblühenden Staat". Auch Schiller und Johannes Müller sprachen mit warmer Anerkennung von dem Ge- nusse grundsatzmäßiger Freiheit in Preußen und lobten, wie rasch Berlin zu einer Freistätte deutscher Art und Bildung werde.
Der König mußte bald erfahren, wie beschränkt in Wahrheit seine
Erwartungen im Volke.
Fürſten. Schon durch ſeine ſchlichten Sitten gewann er das Herz der Mittelklaſſen, und dieſe Schichten der Geſellſchaft wurden mehr und mehr die Träger unſerer öffentlichen Meinung. Die aufgeklärte Zeit fühlte ſich praktiſch wohl in einer ungebundenen Geſelligkeit voll heiterer ſinnlicher Luſt, doch ſie hegte eine lebhafte theoretiſche Begeiſterung für die abſtracte „Tugend“; der Ausdruck hatte noch nicht, wie heutzutage, den Nebenſinn der philiſterhaften Leere. Das preußiſche Volk hatte ſeit den Zeiten des großen Kurfürſten das Schauſpiel ehelichen Glückes auf dem Throne nicht mehr geſehen; welcher Jubel nun unter dieſen deutſchen Familienmenſchen, als der Thron ſich in ein Heiligthum, der Hof ſich in eine Familie ver- wandelte — ſo ſang Novalis in ehrlicher Begeiſterung. Die unbarm- herzige Strenge der beiden gewaltigen Könige des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Maſſen in ſcheuer Ehrerbietung dem Throne ferngehalten; erſt durch die heitere Herzensgüte der Königin Luiſe gewann das Verhältniß zwiſchen den Hohenzollern und ihrem treuen Volke jenen gemüthlichen Zug der Vertraulichkeit, der ſich ſonſt nur in dem Stillleben der Klein- ſtaaten zeigt.
Die Preußen fühlten ſich ſtolz als Royaliſten, als Gegner der Re- volution. Nicht blos der Heißſporn des märkiſchen Junkerthums, der junge v. d. Marwitz, auch Andere vom Adel und Offizierscorps maßen den Geſandten der Republik, den Königsmörder Sieyes mit zornigen Blicken, als er mit ungepudertem Haar und der dreifarbigen Schärpe bei dem altväteriſchen Gepränge des Huldigungsfeſtes erſchien. Die auf- geklärte Berliner Geſellſchaft ſtand aber zugleich in bewußtem Gegenſatze zu Oeſterreich und dem heiligen Reiche. Man gab den Franzoſen zu verſtehen, der König ſei Demokrat auf ſeine Weiſe, werde mit Maß und Ordnung thun was jene im Sturm vollendet, und bald wollte man wiſſen, daß ein Jacobiner geklagt habe: „dieſer Fürſt verdirbt uns die Revolution.“ Als der junge König nun unter der zweideutigen Um- gebung ſeines Vaters mit Strenge aufräumte und in einigen wortreichen Cabinetsordres eine Fülle guter Vorſätze und menſchenfreundlicher An- ſichten ausſprach, da rief Marcus Hertz frohlockend: „die reine Vernunft iſt vom Himmel niedergekommen und hat ſich auf unſerem Throne nieder- gelaſſen.“ Ein Verein von Berliner Schriftſtellern veröffentlichte „Jahr- bücher der preußiſchen Monarchie“, welche das Walten des königlichen Reformators auf jedem Schritte begleiten ſollten. Die hoffnungsvolle Stimmung währte noch lange. Als Hufeland im Jahre 1800 nach Berlin berufen wurde, ſchrieb er befriedigt: ich gehe in „einen liberalen, unter einer neuen Regierung neu aufblühenden Staat“. Auch Schiller und Johannes Müller ſprachen mit warmer Anerkennung von dem Ge- nuſſe grundſatzmäßiger Freiheit in Preußen und lobten, wie raſch Berlin zu einer Freiſtätte deutſcher Art und Bildung werde.
Der König mußte bald erfahren, wie beſchränkt in Wahrheit ſeine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0167"n="151"/><fwplace="top"type="header">Erwartungen im Volke.</fw><lb/>
Fürſten. Schon durch ſeine ſchlichten Sitten gewann er das Herz der<lb/>
Mittelklaſſen, und dieſe Schichten der Geſellſchaft wurden mehr und mehr<lb/>
die Träger unſerer öffentlichen Meinung. Die aufgeklärte Zeit fühlte ſich<lb/>
praktiſch wohl in einer ungebundenen Geſelligkeit voll heiterer ſinnlicher<lb/>
Luſt, doch ſie hegte eine lebhafte theoretiſche Begeiſterung für die abſtracte<lb/>„Tugend“; der Ausdruck hatte noch nicht, wie heutzutage, den Nebenſinn<lb/>
der philiſterhaften Leere. Das preußiſche Volk hatte ſeit den Zeiten des<lb/>
großen Kurfürſten das Schauſpiel ehelichen Glückes auf dem Throne nicht<lb/>
mehr geſehen; welcher Jubel nun unter dieſen deutſchen Familienmenſchen,<lb/>
als der Thron ſich in ein Heiligthum, der Hof ſich in eine Familie ver-<lb/>
wandelte —ſo ſang Novalis in ehrlicher Begeiſterung. Die unbarm-<lb/>
herzige Strenge der beiden gewaltigen Könige des achtzehnten Jahrhunderts<lb/>
hatte die Maſſen in ſcheuer Ehrerbietung dem Throne ferngehalten; erſt<lb/>
durch die heitere Herzensgüte der Königin Luiſe gewann das Verhältniß<lb/>
zwiſchen den Hohenzollern und ihrem treuen Volke jenen gemüthlichen<lb/>
Zug der Vertraulichkeit, der ſich ſonſt nur in dem Stillleben der Klein-<lb/>ſtaaten zeigt.</p><lb/><p>Die Preußen fühlten ſich ſtolz als Royaliſten, als Gegner der Re-<lb/>
volution. Nicht blos der Heißſporn des märkiſchen Junkerthums, der<lb/>
junge v. d. Marwitz, auch Andere vom Adel und Offizierscorps maßen<lb/>
den Geſandten der Republik, den Königsmörder Sieyes mit zornigen<lb/>
Blicken, als er mit ungepudertem Haar und der dreifarbigen Schärpe<lb/>
bei dem altväteriſchen Gepränge des Huldigungsfeſtes erſchien. Die auf-<lb/>
geklärte Berliner Geſellſchaft ſtand aber zugleich in bewußtem Gegenſatze<lb/>
zu Oeſterreich und dem heiligen Reiche. Man gab den Franzoſen zu<lb/>
verſtehen, der König ſei Demokrat auf ſeine Weiſe, werde mit Maß und<lb/>
Ordnung thun was jene im Sturm vollendet, und bald wollte man<lb/>
wiſſen, daß ein Jacobiner geklagt habe: „dieſer Fürſt verdirbt uns die<lb/>
Revolution.“ Als der junge König nun unter der zweideutigen Um-<lb/>
gebung ſeines Vaters mit Strenge aufräumte und in einigen wortreichen<lb/>
Cabinetsordres eine Fülle guter Vorſätze und menſchenfreundlicher An-<lb/>ſichten ausſprach, da rief Marcus Hertz frohlockend: „die reine Vernunft<lb/>
iſt vom Himmel niedergekommen und hat ſich auf unſerem Throne nieder-<lb/>
gelaſſen.“ Ein Verein von Berliner Schriftſtellern veröffentlichte „Jahr-<lb/>
bücher der preußiſchen Monarchie“, welche das Walten des königlichen<lb/>
Reformators auf jedem Schritte begleiten ſollten. Die hoffnungsvolle<lb/>
Stimmung währte noch lange. Als Hufeland im Jahre 1800 nach<lb/>
Berlin berufen wurde, ſchrieb er befriedigt: ich gehe in „einen liberalen,<lb/>
unter einer neuen Regierung neu aufblühenden Staat“. Auch Schiller<lb/>
und Johannes Müller ſprachen mit warmer Anerkennung von dem Ge-<lb/>
nuſſe grundſatzmäßiger Freiheit in Preußen und lobten, wie raſch Berlin<lb/>
zu einer Freiſtätte deutſcher Art und Bildung werde.</p><lb/><p>Der König mußte bald erfahren, wie beſchränkt in Wahrheit ſeine<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[151/0167]
Erwartungen im Volke.
Fürſten. Schon durch ſeine ſchlichten Sitten gewann er das Herz der
Mittelklaſſen, und dieſe Schichten der Geſellſchaft wurden mehr und mehr
die Träger unſerer öffentlichen Meinung. Die aufgeklärte Zeit fühlte ſich
praktiſch wohl in einer ungebundenen Geſelligkeit voll heiterer ſinnlicher
Luſt, doch ſie hegte eine lebhafte theoretiſche Begeiſterung für die abſtracte
„Tugend“; der Ausdruck hatte noch nicht, wie heutzutage, den Nebenſinn
der philiſterhaften Leere. Das preußiſche Volk hatte ſeit den Zeiten des
großen Kurfürſten das Schauſpiel ehelichen Glückes auf dem Throne nicht
mehr geſehen; welcher Jubel nun unter dieſen deutſchen Familienmenſchen,
als der Thron ſich in ein Heiligthum, der Hof ſich in eine Familie ver-
wandelte — ſo ſang Novalis in ehrlicher Begeiſterung. Die unbarm-
herzige Strenge der beiden gewaltigen Könige des achtzehnten Jahrhunderts
hatte die Maſſen in ſcheuer Ehrerbietung dem Throne ferngehalten; erſt
durch die heitere Herzensgüte der Königin Luiſe gewann das Verhältniß
zwiſchen den Hohenzollern und ihrem treuen Volke jenen gemüthlichen
Zug der Vertraulichkeit, der ſich ſonſt nur in dem Stillleben der Klein-
ſtaaten zeigt.
Die Preußen fühlten ſich ſtolz als Royaliſten, als Gegner der Re-
volution. Nicht blos der Heißſporn des märkiſchen Junkerthums, der
junge v. d. Marwitz, auch Andere vom Adel und Offizierscorps maßen
den Geſandten der Republik, den Königsmörder Sieyes mit zornigen
Blicken, als er mit ungepudertem Haar und der dreifarbigen Schärpe
bei dem altväteriſchen Gepränge des Huldigungsfeſtes erſchien. Die auf-
geklärte Berliner Geſellſchaft ſtand aber zugleich in bewußtem Gegenſatze
zu Oeſterreich und dem heiligen Reiche. Man gab den Franzoſen zu
verſtehen, der König ſei Demokrat auf ſeine Weiſe, werde mit Maß und
Ordnung thun was jene im Sturm vollendet, und bald wollte man
wiſſen, daß ein Jacobiner geklagt habe: „dieſer Fürſt verdirbt uns die
Revolution.“ Als der junge König nun unter der zweideutigen Um-
gebung ſeines Vaters mit Strenge aufräumte und in einigen wortreichen
Cabinetsordres eine Fülle guter Vorſätze und menſchenfreundlicher An-
ſichten ausſprach, da rief Marcus Hertz frohlockend: „die reine Vernunft
iſt vom Himmel niedergekommen und hat ſich auf unſerem Throne nieder-
gelaſſen.“ Ein Verein von Berliner Schriftſtellern veröffentlichte „Jahr-
bücher der preußiſchen Monarchie“, welche das Walten des königlichen
Reformators auf jedem Schritte begleiten ſollten. Die hoffnungsvolle
Stimmung währte noch lange. Als Hufeland im Jahre 1800 nach
Berlin berufen wurde, ſchrieb er befriedigt: ich gehe in „einen liberalen,
unter einer neuen Regierung neu aufblühenden Staat“. Auch Schiller
und Johannes Müller ſprachen mit warmer Anerkennung von dem Ge-
nuſſe grundſatzmäßiger Freiheit in Preußen und lobten, wie raſch Berlin
zu einer Freiſtätte deutſcher Art und Bildung werde.
Der König mußte bald erfahren, wie beſchränkt in Wahrheit ſeine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/167>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.