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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
absolute Gewalt war, beschränkt durch die Schwerfälligkeit der Verwaltung
und durch den stillen Widerstand der öffentlichen Meinung, der ständischen
Vorurtheile, des militärisch-bureaukratischen Kastengeistes. In der ver-
größerten Monarchie hätte selbst ein Friedrich kaum noch die unmittelbare
Leitung aller Staatsgeschäfte in der Hand behalten können. Die persönliche
Regierung wurde zur Unmöglichkeit, doch ihre Formen blieben aufrecht
mit verändertem Sinne. Die Cabinetsräthe waren unter Friedrich nur
willenlose Secretäre gewesen, verpflichtet die Befehle des Königs den Be-
hörden zu übermitteln; unter seinen beiden Nachfolgern erlangten sie eine
gefährliche Macht. Aus Schreibern wurden Rathgeber, da der Fürst die
Unmasse der Berichte nicht mehr übersehen konnte. Man wählte die
Räthe des Cabinets meist aus den Reihen der bürgerlichen Richter; sie
allein hielten dem Monarchen regelmäßigen Vortrag und fühlten sich bald
als Volkstribunen, als Vertreter des friedlichen Bürgerthums gegenüber
dem Adel und dem Heere. Ein unberechenbarer subalterner Einfluß
drängte sich zwischen die Krone und ihre Minister. Unter diesen ver-
trauten Räthen war Keiner, der den jungen Fürsten aus dem lauen Ele-
mente der guten Vorsätze in die frische Luft der kräftigen Entschließung
emporheben konnte. Der bedeutendste unter ihnen, Cabinetsrath Mencken
wurde dem Königspaare werth durch die Milde seiner aufgeklärten moral-
philosophischen Ansichten und bemühte sich redlich für allerhand Verbesse-
rungen im Einzelnen; der umfassende Blick des Staatsmannes war auch
ihm nicht gegeben. Nachher hatte Beyme den Vortrag über die wichtig-
sten inneren Angelegenheiten, Lombard über das Auswärtige -- Jener
ein tüchtiger Jurist von humanen Anschauungen, aber nur im Kleinen
groß, Dieser ein leerer, frivoler Wüstling. Auch die Persönlichkeit der
Generaladjutanten stimmte zu dem Geiste trivialer Mittelmäßigkeit, der
in diesem Kreise vorherrschte. Oberst Zastrow war ein dünkelhafter Gegner
jeder Reform; Oberst Köckeritz eine enge Philisterseele, seinem jungen Herrn
bequem durch phlegmatische Gutmüthigkeit, glückselig wenn er sich bei der
Pfeife und einem ruhigen Spielchen von den Geschäften des Tages er-
holte, aber sehr unwirsch, wenn ein junger Edelmann sichs beikommen
ließ "Versche zu machen", wie der arme Heinrich von Kleist. Obgleich
der König diese kümmerlichen Menschen weit übersah, so ließ er sich doch
unmerklich zu ihrer Zagheit und Kleinheit hinabziehen.

Wie die Neubildung des Staates einst von dem Heere ausgegangen
war, so wurde auch jetzt zuerst im Heerwesen fühlbar, daß die neue Zeit
neue Formen forderte. Das beste Werbegebiet der alten Monarchie ging
verloren, als das linke Rheinufer an Frankreich kam und bald nachher
die neuen Mittelstaaten des Südwestens sich ihre eigenen kleinen Armeen
bildeten. Daher befahl der König schon zu Beginn seiner Regierung eine
stärkere Aushebung der cantonpflichtigen Inländer "wegen Abnahme der
Reichswerbung". Diesem ersten Schlage mußten andere folgen. Die

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
abſolute Gewalt war, beſchränkt durch die Schwerfälligkeit der Verwaltung
und durch den ſtillen Widerſtand der öffentlichen Meinung, der ſtändiſchen
Vorurtheile, des militäriſch-bureaukratiſchen Kaſtengeiſtes. In der ver-
größerten Monarchie hätte ſelbſt ein Friedrich kaum noch die unmittelbare
Leitung aller Staatsgeſchäfte in der Hand behalten können. Die perſönliche
Regierung wurde zur Unmöglichkeit, doch ihre Formen blieben aufrecht
mit verändertem Sinne. Die Cabinetsräthe waren unter Friedrich nur
willenloſe Secretäre geweſen, verpflichtet die Befehle des Königs den Be-
hörden zu übermitteln; unter ſeinen beiden Nachfolgern erlangten ſie eine
gefährliche Macht. Aus Schreibern wurden Rathgeber, da der Fürſt die
Unmaſſe der Berichte nicht mehr überſehen konnte. Man wählte die
Räthe des Cabinets meiſt aus den Reihen der bürgerlichen Richter; ſie
allein hielten dem Monarchen regelmäßigen Vortrag und fühlten ſich bald
als Volkstribunen, als Vertreter des friedlichen Bürgerthums gegenüber
dem Adel und dem Heere. Ein unberechenbarer ſubalterner Einfluß
drängte ſich zwiſchen die Krone und ihre Miniſter. Unter dieſen ver-
trauten Räthen war Keiner, der den jungen Fürſten aus dem lauen Ele-
mente der guten Vorſätze in die friſche Luft der kräftigen Entſchließung
emporheben konnte. Der bedeutendſte unter ihnen, Cabinetsrath Mencken
wurde dem Königspaare werth durch die Milde ſeiner aufgeklärten moral-
philoſophiſchen Anſichten und bemühte ſich redlich für allerhand Verbeſſe-
rungen im Einzelnen; der umfaſſende Blick des Staatsmannes war auch
ihm nicht gegeben. Nachher hatte Beyme den Vortrag über die wichtig-
ſten inneren Angelegenheiten, Lombard über das Auswärtige — Jener
ein tüchtiger Juriſt von humanen Anſchauungen, aber nur im Kleinen
groß, Dieſer ein leerer, frivoler Wüſtling. Auch die Perſönlichkeit der
Generaladjutanten ſtimmte zu dem Geiſte trivialer Mittelmäßigkeit, der
in dieſem Kreiſe vorherrſchte. Oberſt Zaſtrow war ein dünkelhafter Gegner
jeder Reform; Oberſt Köckeritz eine enge Philiſterſeele, ſeinem jungen Herrn
bequem durch phlegmatiſche Gutmüthigkeit, glückſelig wenn er ſich bei der
Pfeife und einem ruhigen Spielchen von den Geſchäften des Tages er-
holte, aber ſehr unwirſch, wenn ein junger Edelmann ſichs beikommen
ließ „Verſche zu machen“, wie der arme Heinrich von Kleiſt. Obgleich
der König dieſe kümmerlichen Menſchen weit überſah, ſo ließ er ſich doch
unmerklich zu ihrer Zagheit und Kleinheit hinabziehen.

Wie die Neubildung des Staates einſt von dem Heere ausgegangen
war, ſo wurde auch jetzt zuerſt im Heerweſen fühlbar, daß die neue Zeit
neue Formen forderte. Das beſte Werbegebiet der alten Monarchie ging
verloren, als das linke Rheinufer an Frankreich kam und bald nachher
die neuen Mittelſtaaten des Südweſtens ſich ihre eigenen kleinen Armeen
bildeten. Daher befahl der König ſchon zu Beginn ſeiner Regierung eine
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Reichswerbung“. Dieſem erſten Schlage mußten andere folgen. Die

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[152/0168] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. abſolute Gewalt war, beſchränkt durch die Schwerfälligkeit der Verwaltung und durch den ſtillen Widerſtand der öffentlichen Meinung, der ſtändiſchen Vorurtheile, des militäriſch-bureaukratiſchen Kaſtengeiſtes. In der ver- größerten Monarchie hätte ſelbſt ein Friedrich kaum noch die unmittelbare Leitung aller Staatsgeſchäfte in der Hand behalten können. Die perſönliche Regierung wurde zur Unmöglichkeit, doch ihre Formen blieben aufrecht mit verändertem Sinne. Die Cabinetsräthe waren unter Friedrich nur willenloſe Secretäre geweſen, verpflichtet die Befehle des Königs den Be- hörden zu übermitteln; unter ſeinen beiden Nachfolgern erlangten ſie eine gefährliche Macht. Aus Schreibern wurden Rathgeber, da der Fürſt die Unmaſſe der Berichte nicht mehr überſehen konnte. Man wählte die Räthe des Cabinets meiſt aus den Reihen der bürgerlichen Richter; ſie allein hielten dem Monarchen regelmäßigen Vortrag und fühlten ſich bald als Volkstribunen, als Vertreter des friedlichen Bürgerthums gegenüber dem Adel und dem Heere. Ein unberechenbarer ſubalterner Einfluß drängte ſich zwiſchen die Krone und ihre Miniſter. Unter dieſen ver- trauten Räthen war Keiner, der den jungen Fürſten aus dem lauen Ele- mente der guten Vorſätze in die friſche Luft der kräftigen Entſchließung emporheben konnte. Der bedeutendſte unter ihnen, Cabinetsrath Mencken wurde dem Königspaare werth durch die Milde ſeiner aufgeklärten moral- philoſophiſchen Anſichten und bemühte ſich redlich für allerhand Verbeſſe- rungen im Einzelnen; der umfaſſende Blick des Staatsmannes war auch ihm nicht gegeben. Nachher hatte Beyme den Vortrag über die wichtig- ſten inneren Angelegenheiten, Lombard über das Auswärtige — Jener ein tüchtiger Juriſt von humanen Anſchauungen, aber nur im Kleinen groß, Dieſer ein leerer, frivoler Wüſtling. Auch die Perſönlichkeit der Generaladjutanten ſtimmte zu dem Geiſte trivialer Mittelmäßigkeit, der in dieſem Kreiſe vorherrſchte. Oberſt Zaſtrow war ein dünkelhafter Gegner jeder Reform; Oberſt Köckeritz eine enge Philiſterſeele, ſeinem jungen Herrn bequem durch phlegmatiſche Gutmüthigkeit, glückſelig wenn er ſich bei der Pfeife und einem ruhigen Spielchen von den Geſchäften des Tages er- holte, aber ſehr unwirſch, wenn ein junger Edelmann ſichs beikommen ließ „Verſche zu machen“, wie der arme Heinrich von Kleiſt. Obgleich der König dieſe kümmerlichen Menſchen weit überſah, ſo ließ er ſich doch unmerklich zu ihrer Zagheit und Kleinheit hinabziehen. Wie die Neubildung des Staates einſt von dem Heere ausgegangen war, ſo wurde auch jetzt zuerſt im Heerweſen fühlbar, daß die neue Zeit neue Formen forderte. Das beſte Werbegebiet der alten Monarchie ging verloren, als das linke Rheinufer an Frankreich kam und bald nachher die neuen Mittelſtaaten des Südweſtens ſich ihre eigenen kleinen Armeen bildeten. Daher befahl der König ſchon zu Beginn ſeiner Regierung eine ſtärkere Aushebung der cantonpflichtigen Inländer „wegen Abnahme der Reichswerbung“. Dieſem erſten Schlage mußten andere folgen. Die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/168>, abgerufen am 27.11.2024.