Armee war fortan allein auf preußische Kräfte angewiesen; sollte sie die dringend gebotene Verstärkung erhalten, so mußte mindestens ein Theil der privilegirten Klassen zum Waffendienste herangezogen werden, und dies war unmöglich, so lange das Offizierscorps wie eine geschlossene Kaste in unnahbarer Höhe über der Mannschaft thronte, so lange jene grausame alte Kriegszucht bestand, welche den philanthropischen, bis zur Weichlichkeit milden Anschauungen des Zeitalters ins Gesicht schlug. So- bald der alte Stamm der geworbenen Ausländer ausstarb, war ein radi- kaler Umbau der Heeresverfassung unvermeidlich, das will sagen: eine völlige Verschiebung aller gewohnten ständischen Verhältnisse, vor Allem der Stellung des Adels in Staat und Gesellschaft.
Mannichfache Reformvorschläge tauchten auf. Einige freie Köpfe unter den jüngeren Beamten, wie Hippel und Vincke, verlangten schon die voll- ständige Durchführung des altpreußischen Gedankens der allgemeinen Wehr- pflicht; Knesebeck, Rüchel und andere Offiziere empfahlen die Bildung einer Landmiliz. Aber einerseits sträubte sich der Dünkel der alten Generale gegen alle Aenderungen. Jedermann glaubte noch an die Unübertrefflich- keit des fridericianischen Heeres. Sogar Friedrich Gentz, der zum Aergerniß der zahmen Zeit sich unterstand ein ermahnendes Sendschreiben an den neuen Monarchen zu richten, sagte über das Heer kurzweg: "von dieser Seite bleibt uns nichts zu wünschen übrig"; und Blücher, der Mann ohne Menschenfurcht, sprach noch im Frühjahr 1806 unbedenklich von unserer unbesiegbaren Armee. Wenn nun der hochmüthige alte Feld- marschall Möllendorff jeden Neuerungsvorschlag mit seinem schnarrenden "das ist vor mir zu hoch" begrüßte, dann wollte der König -- er hat es später bitter bereut -- nicht klüger sein als die Grauköpfe von be- währtem Ruhme. Auf der anderen Seite regte sich in der aufgeklärten Welt eine doctrinäre Friedensseligkeit, die zu der blutigen Staatspraxis des neuen Jahrhunderts einen lächerlichen Gegensatz bildete und gleich- wohl bei der deutschen Gemüthlichkeit lebhaften Anklang fand. Salbungs- volle Flugschriften erörterten schon die Frage: "sind stehende Heere in Friedenszeiten nöthig?" Es bezeichnet den inneren Zerfall des gestrengen Absolutismus, daß solche Stimmen aus dem Publikum jetzt einigen Ein- druck machten, daß man anfing mit der öffentlichen Meinung zu rechnen. Am Hofe vertrat Mencken mit Eifer die alte Ansicht des Beamtenthums, daß die Last der Heereskosten zu schwer sei; auch der König wollte nur das Unerläßliche thun, da er vor Allem die unter seinem Vater ange- sammelte Schuldenlast abzutragen wünschte. Dazu endlich die verzweifelte Frage: wie aus den widerspänstigen Polen zuverlässige Regimenter gebildet werden sollten?
So zwischen entgegengesetzten Erwägungen hin und her geschleudert gelangte man nach unzähligen Bedenken und Vorschlägen zu keiner wesent- lichen Reform. Das Heer wurde nur um ein Geringes, auf 250,000 Mann
Unfruchtbare Reformverſuche.
Armee war fortan allein auf preußiſche Kräfte angewieſen; ſollte ſie die dringend gebotene Verſtärkung erhalten, ſo mußte mindeſtens ein Theil der privilegirten Klaſſen zum Waffendienſte herangezogen werden, und dies war unmöglich, ſo lange das Offizierscorps wie eine geſchloſſene Kaſte in unnahbarer Höhe über der Mannſchaft thronte, ſo lange jene grauſame alte Kriegszucht beſtand, welche den philanthropiſchen, bis zur Weichlichkeit milden Anſchauungen des Zeitalters ins Geſicht ſchlug. So- bald der alte Stamm der geworbenen Ausländer ausſtarb, war ein radi- kaler Umbau der Heeresverfaſſung unvermeidlich, das will ſagen: eine völlige Verſchiebung aller gewohnten ſtändiſchen Verhältniſſe, vor Allem der Stellung des Adels in Staat und Geſellſchaft.
Mannichfache Reformvorſchläge tauchten auf. Einige freie Köpfe unter den jüngeren Beamten, wie Hippel und Vincke, verlangten ſchon die voll- ſtändige Durchführung des altpreußiſchen Gedankens der allgemeinen Wehr- pflicht; Kneſebeck, Rüchel und andere Offiziere empfahlen die Bildung einer Landmiliz. Aber einerſeits ſträubte ſich der Dünkel der alten Generale gegen alle Aenderungen. Jedermann glaubte noch an die Unübertrefflich- keit des fridericianiſchen Heeres. Sogar Friedrich Gentz, der zum Aergerniß der zahmen Zeit ſich unterſtand ein ermahnendes Sendſchreiben an den neuen Monarchen zu richten, ſagte über das Heer kurzweg: „von dieſer Seite bleibt uns nichts zu wünſchen übrig“; und Blücher, der Mann ohne Menſchenfurcht, ſprach noch im Frühjahr 1806 unbedenklich von unſerer unbeſiegbaren Armee. Wenn nun der hochmüthige alte Feld- marſchall Möllendorff jeden Neuerungsvorſchlag mit ſeinem ſchnarrenden „das iſt vor mir zu hoch“ begrüßte, dann wollte der König — er hat es ſpäter bitter bereut — nicht klüger ſein als die Grauköpfe von be- währtem Ruhme. Auf der anderen Seite regte ſich in der aufgeklärten Welt eine doctrinäre Friedensſeligkeit, die zu der blutigen Staatspraxis des neuen Jahrhunderts einen lächerlichen Gegenſatz bildete und gleich- wohl bei der deutſchen Gemüthlichkeit lebhaften Anklang fand. Salbungs- volle Flugſchriften erörterten ſchon die Frage: „ſind ſtehende Heere in Friedenszeiten nöthig?“ Es bezeichnet den inneren Zerfall des geſtrengen Abſolutismus, daß ſolche Stimmen aus dem Publikum jetzt einigen Ein- druck machten, daß man anfing mit der öffentlichen Meinung zu rechnen. Am Hofe vertrat Mencken mit Eifer die alte Anſicht des Beamtenthums, daß die Laſt der Heereskoſten zu ſchwer ſei; auch der König wollte nur das Unerläßliche thun, da er vor Allem die unter ſeinem Vater ange- ſammelte Schuldenlaſt abzutragen wünſchte. Dazu endlich die verzweifelte Frage: wie aus den widerſpänſtigen Polen zuverläſſige Regimenter gebildet werden ſollten?
So zwiſchen entgegengeſetzten Erwägungen hin und her geſchleudert gelangte man nach unzähligen Bedenken und Vorſchlägen zu keiner weſent- lichen Reform. Das Heer wurde nur um ein Geringes, auf 250,000 Mann
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0169"n="153"/><fwplace="top"type="header">Unfruchtbare Reformverſuche.</fw><lb/>
Armee war fortan allein auf preußiſche Kräfte angewieſen; ſollte ſie die<lb/>
dringend gebotene Verſtärkung erhalten, ſo mußte mindeſtens ein Theil<lb/>
der privilegirten Klaſſen zum Waffendienſte herangezogen werden, und<lb/>
dies war unmöglich, ſo lange das Offizierscorps wie eine geſchloſſene<lb/>
Kaſte in unnahbarer Höhe über der Mannſchaft thronte, ſo lange jene<lb/>
grauſame alte Kriegszucht beſtand, welche den philanthropiſchen, bis zur<lb/>
Weichlichkeit milden Anſchauungen des Zeitalters ins Geſicht ſchlug. So-<lb/>
bald der alte Stamm der geworbenen Ausländer ausſtarb, war ein radi-<lb/>
kaler Umbau der Heeresverfaſſung unvermeidlich, das will ſagen: eine<lb/>
völlige Verſchiebung aller gewohnten ſtändiſchen Verhältniſſe, vor Allem<lb/>
der Stellung des Adels in Staat und Geſellſchaft.</p><lb/><p>Mannichfache Reformvorſchläge tauchten auf. Einige freie Köpfe unter<lb/>
den jüngeren Beamten, wie Hippel und Vincke, verlangten ſchon die voll-<lb/>ſtändige Durchführung des altpreußiſchen Gedankens der allgemeinen Wehr-<lb/>
pflicht; Kneſebeck, Rüchel und andere Offiziere empfahlen die Bildung einer<lb/>
Landmiliz. Aber einerſeits ſträubte ſich der Dünkel der alten Generale<lb/>
gegen alle Aenderungen. Jedermann glaubte noch an die Unübertrefflich-<lb/>
keit des fridericianiſchen Heeres. Sogar Friedrich Gentz, der zum Aergerniß<lb/>
der zahmen Zeit ſich unterſtand ein ermahnendes Sendſchreiben an den<lb/>
neuen Monarchen zu richten, ſagte über das Heer kurzweg: „von dieſer<lb/>
Seite bleibt uns nichts zu wünſchen übrig“; und Blücher, der Mann<lb/>
ohne Menſchenfurcht, ſprach noch im Frühjahr 1806 unbedenklich von<lb/>
unſerer unbeſiegbaren Armee. Wenn nun der hochmüthige alte Feld-<lb/>
marſchall Möllendorff jeden Neuerungsvorſchlag mit ſeinem ſchnarrenden<lb/>„das iſt vor mir zu hoch“ begrüßte, dann wollte der König — er hat<lb/>
es ſpäter bitter bereut — nicht klüger ſein als die Grauköpfe von be-<lb/>
währtem Ruhme. Auf der anderen Seite regte ſich in der aufgeklärten<lb/>
Welt eine doctrinäre Friedensſeligkeit, die zu der blutigen Staatspraxis<lb/>
des neuen Jahrhunderts einen lächerlichen Gegenſatz bildete und gleich-<lb/>
wohl bei der deutſchen Gemüthlichkeit lebhaften Anklang fand. Salbungs-<lb/>
volle Flugſchriften erörterten ſchon die Frage: „ſind ſtehende Heere in<lb/>
Friedenszeiten nöthig?“ Es bezeichnet den inneren Zerfall des geſtrengen<lb/>
Abſolutismus, daß ſolche Stimmen aus dem Publikum jetzt einigen Ein-<lb/>
druck machten, daß man anfing mit der öffentlichen Meinung zu rechnen.<lb/>
Am Hofe vertrat Mencken mit Eifer die alte Anſicht des Beamtenthums,<lb/>
daß die Laſt der Heereskoſten zu ſchwer ſei; auch der König wollte nur<lb/>
das Unerläßliche thun, da er vor Allem die unter ſeinem Vater ange-<lb/>ſammelte Schuldenlaſt abzutragen wünſchte. Dazu endlich die verzweifelte<lb/>
Frage: wie aus den widerſpänſtigen Polen zuverläſſige Regimenter gebildet<lb/>
werden ſollten?</p><lb/><p>So zwiſchen entgegengeſetzten Erwägungen hin und her geſchleudert<lb/>
gelangte man nach unzähligen Bedenken und Vorſchlägen zu keiner weſent-<lb/>
lichen Reform. Das Heer wurde nur um ein Geringes, auf 250,000 Mann<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[153/0169]
Unfruchtbare Reformverſuche.
Armee war fortan allein auf preußiſche Kräfte angewieſen; ſollte ſie die
dringend gebotene Verſtärkung erhalten, ſo mußte mindeſtens ein Theil
der privilegirten Klaſſen zum Waffendienſte herangezogen werden, und
dies war unmöglich, ſo lange das Offizierscorps wie eine geſchloſſene
Kaſte in unnahbarer Höhe über der Mannſchaft thronte, ſo lange jene
grauſame alte Kriegszucht beſtand, welche den philanthropiſchen, bis zur
Weichlichkeit milden Anſchauungen des Zeitalters ins Geſicht ſchlug. So-
bald der alte Stamm der geworbenen Ausländer ausſtarb, war ein radi-
kaler Umbau der Heeresverfaſſung unvermeidlich, das will ſagen: eine
völlige Verſchiebung aller gewohnten ſtändiſchen Verhältniſſe, vor Allem
der Stellung des Adels in Staat und Geſellſchaft.
Mannichfache Reformvorſchläge tauchten auf. Einige freie Köpfe unter
den jüngeren Beamten, wie Hippel und Vincke, verlangten ſchon die voll-
ſtändige Durchführung des altpreußiſchen Gedankens der allgemeinen Wehr-
pflicht; Kneſebeck, Rüchel und andere Offiziere empfahlen die Bildung einer
Landmiliz. Aber einerſeits ſträubte ſich der Dünkel der alten Generale
gegen alle Aenderungen. Jedermann glaubte noch an die Unübertrefflich-
keit des fridericianiſchen Heeres. Sogar Friedrich Gentz, der zum Aergerniß
der zahmen Zeit ſich unterſtand ein ermahnendes Sendſchreiben an den
neuen Monarchen zu richten, ſagte über das Heer kurzweg: „von dieſer
Seite bleibt uns nichts zu wünſchen übrig“; und Blücher, der Mann
ohne Menſchenfurcht, ſprach noch im Frühjahr 1806 unbedenklich von
unſerer unbeſiegbaren Armee. Wenn nun der hochmüthige alte Feld-
marſchall Möllendorff jeden Neuerungsvorſchlag mit ſeinem ſchnarrenden
„das iſt vor mir zu hoch“ begrüßte, dann wollte der König — er hat
es ſpäter bitter bereut — nicht klüger ſein als die Grauköpfe von be-
währtem Ruhme. Auf der anderen Seite regte ſich in der aufgeklärten
Welt eine doctrinäre Friedensſeligkeit, die zu der blutigen Staatspraxis
des neuen Jahrhunderts einen lächerlichen Gegenſatz bildete und gleich-
wohl bei der deutſchen Gemüthlichkeit lebhaften Anklang fand. Salbungs-
volle Flugſchriften erörterten ſchon die Frage: „ſind ſtehende Heere in
Friedenszeiten nöthig?“ Es bezeichnet den inneren Zerfall des geſtrengen
Abſolutismus, daß ſolche Stimmen aus dem Publikum jetzt einigen Ein-
druck machten, daß man anfing mit der öffentlichen Meinung zu rechnen.
Am Hofe vertrat Mencken mit Eifer die alte Anſicht des Beamtenthums,
daß die Laſt der Heereskoſten zu ſchwer ſei; auch der König wollte nur
das Unerläßliche thun, da er vor Allem die unter ſeinem Vater ange-
ſammelte Schuldenlaſt abzutragen wünſchte. Dazu endlich die verzweifelte
Frage: wie aus den widerſpänſtigen Polen zuverläſſige Regimenter gebildet
werden ſollten?
So zwiſchen entgegengeſetzten Erwägungen hin und her geſchleudert
gelangte man nach unzähligen Bedenken und Vorſchlägen zu keiner weſent-
lichen Reform. Das Heer wurde nur um ein Geringes, auf 250,000 Mann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/169>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.