Trotzdem hat ein rückhaltloses Einvernehmen zwischen dem ersten Consul und der Krone Preußen auch damals nie bestanden. Einen Bundes- genossen, der die Selbständigkeit einer Großmacht beanspruchte, konnte Bonaparte nicht ertragen; das neue "Foederativsystem", das er an die Stelle der alten Staatengesellschaft zu setzen dachte, bot nur Raum für ein herrschendes Frankreich und ohnmächtige Vasallen. Er war der Feind jeder unabhängigen Macht, und auch für Preußen empfand er niemals aufrichtiges Wohlwollen. Dem Leben Bonapartes fehlt jede Entwicklung; er hat nicht, wie die echten Helden der Geschichte, gelernt von dem Wandel der Zeiten, sondern ungerührt und unbelehrt bis zum Ende gearbeitet an der Verwirklichung eines weltumspannenden Planes, der ihm von Haus aus fest stand. Darum erscheint er am größten in der Zeit des Con- sulats, als diese mächtigen Gedanken sich zum ersten male enthüllten. In vier Nachbarlanden zugleich trat er jetzt als Friedensvermittler und Or- ganisator auf. In der Schweiz warf er das willkürliche Gebilde des Ein- heitsstaates über den Haufen und gab den Eidgenossen eine verständige Bundesverfassung, denn "die Natur selbst hat Euch zum Staatenbunde bestimmt, die Natur zu bezwingen versucht kein vernünftiger Mann". Mit demselben durchdringenden Scharfblick erkannte er, daß in Holland die bün- dischen Staatsformen sich überlebt hatten; er ließ den batavischen Einheits- staat bestehen und legte ihm eine Verfassung auf, welche den Uebergang zur Monarchie erleichterte. Den Italienern erweckte er eine Welt glän- zender Erinnerungen und Erwartungen indem er den alten Namen des Landes wieder zu Ehren brachte und den Vasallenstaat am Po zur italie- nischen Republik erhob; auch hier wurde die Monarchie und die verhüllte Fremdherrschaft umsichtig vorbereitet. Für seine deutsche Politik endlich hatte er sich längst den Weg vorgezeichnet, der zur Vernichtung des deutschen Namens führen sollte. Nie ward ein unmöglicher Plan mit schlauerer Berechnung ersonnen, mit heißerer Thatkraft ins Werk gesetzt.
Wenn der erste Consul in Reden und Staatsschriften das deutsche Reich als unentbehrlich für das europäische Gleichgewicht bezeichnete, so meinte er damit nur die Anarchie der deutschen Kleinstaaterei, keineswegs die theokratischen Formen der Reichsverfassung. Die karolingischen Tra- ditionen des heiligen Reichs standen den Weltherrschaftsplänen des Corsen ebenso feindlich im Wege, wie die mittelalterlichen Institutionen des alten Deutschlands dem demokratisch-modernen Charakter der neuen Tyrannis widersprachen. Die deutsche Verfassung war, wie der Moniteur sich aus- drückte, "der Mittelpunkt aller feudalen Vorurtheile Europas" und zu- gleich eine Stütze der österreichischen Macht. Der Wiener Hof aber galt in Paris nächst England als der bitterste Feind der Revolution; die Zer- trümmerung seiner deutschen Machtstellung war dort längst beschlossene Sache. Schon im Sommer 1800 mußten Talleyrands Lohnschreiber den "Brief eines deutschen Patrioten" ausarbeiten, ein erstes Probstück jener
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Trotzdem hat ein rückhaltloſes Einvernehmen zwiſchen dem erſten Conſul und der Krone Preußen auch damals nie beſtanden. Einen Bundes- genoſſen, der die Selbſtändigkeit einer Großmacht beanſpruchte, konnte Bonaparte nicht ertragen; das neue „Foederativſyſtem“, das er an die Stelle der alten Staatengeſellſchaft zu ſetzen dachte, bot nur Raum für ein herrſchendes Frankreich und ohnmächtige Vaſallen. Er war der Feind jeder unabhängigen Macht, und auch für Preußen empfand er niemals aufrichtiges Wohlwollen. Dem Leben Bonapartes fehlt jede Entwicklung; er hat nicht, wie die echten Helden der Geſchichte, gelernt von dem Wandel der Zeiten, ſondern ungerührt und unbelehrt bis zum Ende gearbeitet an der Verwirklichung eines weltumſpannenden Planes, der ihm von Haus aus feſt ſtand. Darum erſcheint er am größten in der Zeit des Con- ſulats, als dieſe mächtigen Gedanken ſich zum erſten male enthüllten. In vier Nachbarlanden zugleich trat er jetzt als Friedensvermittler und Or- ganiſator auf. In der Schweiz warf er das willkürliche Gebilde des Ein- heitsſtaates über den Haufen und gab den Eidgenoſſen eine verſtändige Bundesverfaſſung, denn „die Natur ſelbſt hat Euch zum Staatenbunde beſtimmt, die Natur zu bezwingen verſucht kein vernünftiger Mann“. Mit demſelben durchdringenden Scharfblick erkannte er, daß in Holland die bün- diſchen Staatsformen ſich überlebt hatten; er ließ den bataviſchen Einheits- ſtaat beſtehen und legte ihm eine Verfaſſung auf, welche den Uebergang zur Monarchie erleichterte. Den Italienern erweckte er eine Welt glän- zender Erinnerungen und Erwartungen indem er den alten Namen des Landes wieder zu Ehren brachte und den Vaſallenſtaat am Po zur italie- niſchen Republik erhob; auch hier wurde die Monarchie und die verhüllte Fremdherrſchaft umſichtig vorbereitet. Für ſeine deutſche Politik endlich hatte er ſich längſt den Weg vorgezeichnet, der zur Vernichtung des deutſchen Namens führen ſollte. Nie ward ein unmöglicher Plan mit ſchlauerer Berechnung erſonnen, mit heißerer Thatkraft ins Werk geſetzt.
Wenn der erſte Conſul in Reden und Staatsſchriften das deutſche Reich als unentbehrlich für das europäiſche Gleichgewicht bezeichnete, ſo meinte er damit nur die Anarchie der deutſchen Kleinſtaaterei, keineswegs die theokratiſchen Formen der Reichsverfaſſung. Die karolingiſchen Tra- ditionen des heiligen Reichs ſtanden den Weltherrſchaftsplänen des Corſen ebenſo feindlich im Wege, wie die mittelalterlichen Inſtitutionen des alten Deutſchlands dem demokratiſch-modernen Charakter der neuen Tyrannis widerſprachen. Die deutſche Verfaſſung war, wie der Moniteur ſich aus- drückte, „der Mittelpunkt aller feudalen Vorurtheile Europas“ und zu- gleich eine Stütze der öſterreichiſchen Macht. Der Wiener Hof aber galt in Paris nächſt England als der bitterſte Feind der Revolution; die Zer- trümmerung ſeiner deutſchen Machtſtellung war dort längſt beſchloſſene Sache. Schon im Sommer 1800 mußten Talleyrands Lohnſchreiber den „Brief eines deutſchen Patrioten“ ausarbeiten, ein erſtes Probſtück jener
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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Trotzdem hat ein rückhaltloſes Einvernehmen zwiſchen dem erſten
Conſul und der Krone Preußen auch damals nie beſtanden. Einen Bundes-
genoſſen, der die Selbſtändigkeit einer Großmacht beanſpruchte, konnte
Bonaparte nicht ertragen; das neue „Foederativſyſtem“, das er an die
Stelle der alten Staatengeſellſchaft zu ſetzen dachte, bot nur Raum für
ein herrſchendes Frankreich und ohnmächtige Vaſallen. Er war der Feind
jeder unabhängigen Macht, und auch für Preußen empfand er niemals
aufrichtiges Wohlwollen. Dem Leben Bonapartes fehlt jede Entwicklung;
er hat nicht, wie die echten Helden der Geſchichte, gelernt von dem Wandel
der Zeiten, ſondern ungerührt und unbelehrt bis zum Ende gearbeitet an
der Verwirklichung eines weltumſpannenden Planes, der ihm von Haus
aus feſt ſtand. Darum erſcheint er am größten in der Zeit des Con-
ſulats, als dieſe mächtigen Gedanken ſich zum erſten male enthüllten. In
vier Nachbarlanden zugleich trat er jetzt als Friedensvermittler und Or-
ganiſator auf. In der Schweiz warf er das willkürliche Gebilde des Ein-
heitsſtaates über den Haufen und gab den Eidgenoſſen eine verſtändige
Bundesverfaſſung, denn „die Natur ſelbſt hat Euch zum Staatenbunde
beſtimmt, die Natur zu bezwingen verſucht kein vernünftiger Mann“. Mit
demſelben durchdringenden Scharfblick erkannte er, daß in Holland die bün-
diſchen Staatsformen ſich überlebt hatten; er ließ den bataviſchen Einheits-
ſtaat beſtehen und legte ihm eine Verfaſſung auf, welche den Uebergang
zur Monarchie erleichterte. Den Italienern erweckte er eine Welt glän-
zender Erinnerungen und Erwartungen indem er den alten Namen des
Landes wieder zu Ehren brachte und den Vaſallenſtaat am Po zur italie-
niſchen Republik erhob; auch hier wurde die Monarchie und die verhüllte
Fremdherrſchaft umſichtig vorbereitet. Für ſeine deutſche Politik endlich
hatte er ſich längſt den Weg vorgezeichnet, der zur Vernichtung des deutſchen
Namens führen ſollte. Nie ward ein unmöglicher Plan mit ſchlauerer
Berechnung erſonnen, mit heißerer Thatkraft ins Werk geſetzt.
Wenn der erſte Conſul in Reden und Staatsſchriften das deutſche
Reich als unentbehrlich für das europäiſche Gleichgewicht bezeichnete, ſo
meinte er damit nur die Anarchie der deutſchen Kleinſtaaterei, keineswegs
die theokratiſchen Formen der Reichsverfaſſung. Die karolingiſchen Tra-
ditionen des heiligen Reichs ſtanden den Weltherrſchaftsplänen des Corſen
ebenſo feindlich im Wege, wie die mittelalterlichen Inſtitutionen des alten
Deutſchlands dem demokratiſch-modernen Charakter der neuen Tyrannis
widerſprachen. Die deutſche Verfaſſung war, wie der Moniteur ſich aus-
drückte, „der Mittelpunkt aller feudalen Vorurtheile Europas“ und zu-
gleich eine Stütze der öſterreichiſchen Macht. Der Wiener Hof aber galt
in Paris nächſt England als der bitterſte Feind der Revolution; die Zer-
trümmerung ſeiner deutſchen Machtſtellung war dort längſt beſchloſſene
Sache. Schon im Sommer 1800 mußten Talleyrands Lohnſchreiber den
„Brief eines deutſchen Patrioten“ ausarbeiten, ein erſtes Probſtück jener
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/192>, abgerufen am 24.11.2024.
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