vermieden werden. Daher erhielt Talleyrand die Weisung, das preußisch gesinnte Haus Mecklenburg von dem neuen Kurfürstenrathe auszuschließen, er dürfe aber nicht davon sprechen.
Der Berliner Hof seinerseits war von der Ehrlichkeit der französischen Freundschaft durchaus nicht überzeugt. Man hatte dort, wie fast an allen Höfen, den Staatsstreich des 18. Brumaire willkommen geheißen, weil eine geordnete Regierung in Frankreich den Weltfrieden zu verbürgen schien; man war wieder, wie so oft schon, bemüht gewesen durch diplo- matische Vermittlung die Integrität des Reichs zu retten. Aber wie sollte ein deutscher Staat, der selbst nach der Erklärung des Reichskriegs im Jahre 1799 sein Schwert in der Scheide hielt, so hohe Ziele erreichen? Die Losreißung der Rheinlande wurde vollzogen, und Preußen hatte nichts Ernstliches gewagt um den Schlag abzuwenden. Noch einmal ermannte man sich dann zu einem tapferen Schritte, als Frankreich und Rußland im Jahre 1801 Hannover zu besetzen, die Schließung der deutschen Häfen zu erzwingen drohten; da kam Preußen den Fremden zuvor und nahm selber das deutsche Land in Beschlag -- ein entschlossenes Auftreten, das in England richtig gewürdigt, von Bonaparte nie verziehen wurde. Unter- dessen bemerkte der König mit Besorgniß, wie vereinzelt sein Staat stand. Er mißtraute den unberechenbaren Absichten Bonapartes und wies dessen Anfragen, ob Preußen seine Entschädigung nicht in Hannover suchen wolle, wiederholt zurück, nicht blos aus Rechtlichkeit, sondern weil er die Hinter- gedanken der französischen Politik errieth. Auf der anderen Seite sah er die Interessen der preußischen Schifffahrt durch die englische Handelspolitik schwer beeinträchtigt. Von dem Wiener Hofe endlich war er durch das alte unbelehrbare gegenseitige Mißtrauen geschieden: hatte doch Oesterreich noch im Kriege von 1799 abermals einen großen Theil seines Heeres in Böhmen aufgestellt um Preußen in Schach zu halten.
So kam der König zu dem Entschlusse eine Verständigung mit Ruß- land zu suchen; diesen Staat hielt er, nach seiner geographischen Lage, für eine wesentlich defensive Macht. Es geschah zum ersten male, daß der junge Fürst in der auswärtigen Politik sich mit einem selbständigen Gedanken herauswagte; er fing jetzt an auch in diesen Fragen nach seiner erwägsamen Art sich zurechtzufinden. Da am Petersburger Hofe jederzeit eine starke preußische Partei bestand, so ward ein gutes Einvernehmen mit dem Czaren Paul bald erreicht; Preußen war es, das im Jahre 1800 den Frieden zwischen Frankreich und Rußland herbeizuführen suchte. Die Annäherung wurde zur Freundschaft, als der junge Czar Alexander über die Leiche seines Vaters hinweg den Thron bestieg. Am 10. Juni 1802 hielten die beiden Nachbarfürsten in Memel jene denkwürdige Zusammen- kunft, die für Friedrich Wilhelms ganze Regierung folgenschwer werden sollte. Beide jung, Beide erfüllt von den philanthropischen Ideen der völkerbeglückenden Aufklärung, fanden sie sich rasch zusammen, besprachen
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Begründung der preußiſch-ruſſiſchen Allianz.
vermieden werden. Daher erhielt Talleyrand die Weiſung, das preußiſch geſinnte Haus Mecklenburg von dem neuen Kurfürſtenrathe auszuſchließen, er dürfe aber nicht davon ſprechen.
Der Berliner Hof ſeinerſeits war von der Ehrlichkeit der franzöſiſchen Freundſchaft durchaus nicht überzeugt. Man hatte dort, wie faſt an allen Höfen, den Staatsſtreich des 18. Brumaire willkommen geheißen, weil eine geordnete Regierung in Frankreich den Weltfrieden zu verbürgen ſchien; man war wieder, wie ſo oft ſchon, bemüht geweſen durch diplo- matiſche Vermittlung die Integrität des Reichs zu retten. Aber wie ſollte ein deutſcher Staat, der ſelbſt nach der Erklärung des Reichskriegs im Jahre 1799 ſein Schwert in der Scheide hielt, ſo hohe Ziele erreichen? Die Losreißung der Rheinlande wurde vollzogen, und Preußen hatte nichts Ernſtliches gewagt um den Schlag abzuwenden. Noch einmal ermannte man ſich dann zu einem tapferen Schritte, als Frankreich und Rußland im Jahre 1801 Hannover zu beſetzen, die Schließung der deutſchen Häfen zu erzwingen drohten; da kam Preußen den Fremden zuvor und nahm ſelber das deutſche Land in Beſchlag — ein entſchloſſenes Auftreten, das in England richtig gewürdigt, von Bonaparte nie verziehen wurde. Unter- deſſen bemerkte der König mit Beſorgniß, wie vereinzelt ſein Staat ſtand. Er mißtraute den unberechenbaren Abſichten Bonapartes und wies deſſen Anfragen, ob Preußen ſeine Entſchädigung nicht in Hannover ſuchen wolle, wiederholt zurück, nicht blos aus Rechtlichkeit, ſondern weil er die Hinter- gedanken der franzöſiſchen Politik errieth. Auf der anderen Seite ſah er die Intereſſen der preußiſchen Schifffahrt durch die engliſche Handelspolitik ſchwer beeinträchtigt. Von dem Wiener Hofe endlich war er durch das alte unbelehrbare gegenſeitige Mißtrauen geſchieden: hatte doch Oeſterreich noch im Kriege von 1799 abermals einen großen Theil ſeines Heeres in Böhmen aufgeſtellt um Preußen in Schach zu halten.
So kam der König zu dem Entſchluſſe eine Verſtändigung mit Ruß- land zu ſuchen; dieſen Staat hielt er, nach ſeiner geographiſchen Lage, für eine weſentlich defenſive Macht. Es geſchah zum erſten male, daß der junge Fürſt in der auswärtigen Politik ſich mit einem ſelbſtändigen Gedanken herauswagte; er fing jetzt an auch in dieſen Fragen nach ſeiner erwägſamen Art ſich zurechtzufinden. Da am Petersburger Hofe jederzeit eine ſtarke preußiſche Partei beſtand, ſo ward ein gutes Einvernehmen mit dem Czaren Paul bald erreicht; Preußen war es, das im Jahre 1800 den Frieden zwiſchen Frankreich und Rußland herbeizuführen ſuchte. Die Annäherung wurde zur Freundſchaft, als der junge Czar Alexander über die Leiche ſeines Vaters hinweg den Thron beſtieg. Am 10. Juni 1802 hielten die beiden Nachbarfürſten in Memel jene denkwürdige Zuſammen- kunft, die für Friedrich Wilhelms ganze Regierung folgenſchwer werden ſollte. Beide jung, Beide erfüllt von den philanthropiſchen Ideen der völkerbeglückenden Aufklärung, fanden ſie ſich raſch zuſammen, beſprachen
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geſinnte Haus Mecklenburg von dem neuen Kurfürſtenrathe auszuſchließen,
er dürfe aber nicht davon ſprechen.
Der Berliner Hof ſeinerſeits war von der Ehrlichkeit der franzöſiſchen
Freundſchaft durchaus nicht überzeugt. Man hatte dort, wie faſt an allen
Höfen, den Staatsſtreich des 18. Brumaire willkommen geheißen, weil
eine geordnete Regierung in Frankreich den Weltfrieden zu verbürgen
ſchien; man war wieder, wie ſo oft ſchon, bemüht geweſen durch diplo-
matiſche Vermittlung die Integrität des Reichs zu retten. Aber wie ſollte
ein deutſcher Staat, der ſelbſt nach der Erklärung des Reichskriegs im
Jahre 1799 ſein Schwert in der Scheide hielt, ſo hohe Ziele erreichen?
Die Losreißung der Rheinlande wurde vollzogen, und Preußen hatte nichts
Ernſtliches gewagt um den Schlag abzuwenden. Noch einmal ermannte
man ſich dann zu einem tapferen Schritte, als Frankreich und Rußland
im Jahre 1801 Hannover zu beſetzen, die Schließung der deutſchen Häfen
zu erzwingen drohten; da kam Preußen den Fremden zuvor und nahm
ſelber das deutſche Land in Beſchlag — ein entſchloſſenes Auftreten, das
in England richtig gewürdigt, von Bonaparte nie verziehen wurde. Unter-
deſſen bemerkte der König mit Beſorgniß, wie vereinzelt ſein Staat ſtand.
Er mißtraute den unberechenbaren Abſichten Bonapartes und wies deſſen
Anfragen, ob Preußen ſeine Entſchädigung nicht in Hannover ſuchen wolle,
wiederholt zurück, nicht blos aus Rechtlichkeit, ſondern weil er die Hinter-
gedanken der franzöſiſchen Politik errieth. Auf der anderen Seite ſah er
die Intereſſen der preußiſchen Schifffahrt durch die engliſche Handelspolitik
ſchwer beeinträchtigt. Von dem Wiener Hofe endlich war er durch das
alte unbelehrbare gegenſeitige Mißtrauen geſchieden: hatte doch Oeſterreich
noch im Kriege von 1799 abermals einen großen Theil ſeines Heeres in
Böhmen aufgeſtellt um Preußen in Schach zu halten.
So kam der König zu dem Entſchluſſe eine Verſtändigung mit Ruß-
land zu ſuchen; dieſen Staat hielt er, nach ſeiner geographiſchen Lage,
für eine weſentlich defenſive Macht. Es geſchah zum erſten male, daß
der junge Fürſt in der auswärtigen Politik ſich mit einem ſelbſtändigen
Gedanken herauswagte; er fing jetzt an auch in dieſen Fragen nach ſeiner
erwägſamen Art ſich zurechtzufinden. Da am Petersburger Hofe jederzeit
eine ſtarke preußiſche Partei beſtand, ſo ward ein gutes Einvernehmen mit
dem Czaren Paul bald erreicht; Preußen war es, das im Jahre 1800
den Frieden zwiſchen Frankreich und Rußland herbeizuführen ſuchte. Die
Annäherung wurde zur Freundſchaft, als der junge Czar Alexander über
die Leiche ſeines Vaters hinweg den Thron beſtieg. Am 10. Juni 1802
hielten die beiden Nachbarfürſten in Memel jene denkwürdige Zuſammen-
kunft, die für Friedrich Wilhelms ganze Regierung folgenſchwer werden
ſollte. Beide jung, Beide erfüllt von den philanthropiſchen Ideen der
völkerbeglückenden Aufklärung, fanden ſie ſich raſch zuſammen, beſprachen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/195>, abgerufen am 24.11.2024.
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