blieb doch Staatsmann genug um die Verständigung mit Preußen zu fordern. Wie tief sich auch das Mißtrauen gegen den nordischen Neben- buhler eingefressen hatte, die Unentbehrlichkeit der preußischen Waffenhilfe konnte man in der Hofburg nicht ganz verkennen; im Verlaufe der ge- heimen Verhandlungen von 1805 ließ Oesterreich einmal alles Ernstes in Berlin eine Neugestaltung der deutschen Verfassung vorschlagen also daß der Norden unter Preußens, der Süden unter Oesterreichs Ober- hoheit käme. Aber am preußischen Hofe überwog noch immer der landes- väterliche Wunsch nach gesicherter Ruhe; man hoffte den Frieden auf dem Festlande zu erhalten, wo nicht, die Neutralität Norddeutschlands zu be- haupten. Selbst Hardenberg erging sich noch in optimistischen Träumen; er fand, die Macht Frankreichs werde allgemein überschätzt, und wollte die Hände frei behalten um nöthigenfalls selbst durch ein französisches Bünd- niß die nothwendige Verstärkung der Monarchie, vor Allem die Einver- leibung Hannovers, zu erreichen. Es war sein Werk, daß Preußen auf die Anfragen der beiden Kaiserhöfe gar keine beruhigende Zusage gab.
So überließ sich denn der junge Czar, durch keinen überlegenen Willen gebändigt, haltlos den Einfällen seines unruhigen Kopfes. Dem großen Staatsmanne, der seit zehn Jahren fast ununterbrochen den zähen Kampf Englands gegen Frankreich leitete, fehlte, wie allen britischen Diplomaten, die gründliche Kenntniß festländischer Verhältnisse. Unbedacht ging William Pitt auf die verworrenen Pläne Alexanders ein; schon im April 1805 wurde das geheime Kriegsbündniß zwischen Rußland und England ab- geschlossen. Unterdessen setzte sich Napoleon die italienische Königskrone auf das Haupt und schrieb dem Czaren wie zum Hohne: nur der Wunsch der italienischen Nation nöthige ihn dies Opfer seiner Größe zu bringen. Dann wurde die ligurische Republik dem Kaiserreiche einverleibt und da- durch auch das zaudernde Oesterreich in das Lager der dritten Coalition hinübergedrängt. Gewaltige, weitaussehende Entwürfe beschäftigten die verbündeten Höfe: man wollte Frankreichs Grenzen bis zum Rhein und zur Mosel zurückschieben, für Deutschland, Holland und die Schweiz die volle Unabhängigkeit wiedergewinnen, die Kronen von Frankreich und Italien für immer trennen; man hoffte, ganz im Sinne der alten englisch- niederländischen Barrierenpolitik, die ausgreifende Macht des französischen Staats durch die Verstärkung von Holland, Piemont und der Schweiz zu bändigen. Für Preußen war, wenn es noch beitrat, das oranische Fulda und das niederrheinische Land von der Mosel bis zur niederländischen Grenze in Aussicht genommen. Ein allgemeiner Congreß sollte nach dem Siege die neue Ländervertheilung ordnen; selbst die Entthronung des Corsen hielt man nicht für unerreichbar. Aber zu so kühnen Absichten standen die langsamen, schwächlichen Rüstungen in einem schreienden Miß- verhältniß. So gefährlich die zweite Coalition von 1799 für Frankreich gewesen, ebenso leichtsinnig und aussichtslos war die dritte.
Dritte Coalition.
blieb doch Staatsmann genug um die Verſtändigung mit Preußen zu fordern. Wie tief ſich auch das Mißtrauen gegen den nordiſchen Neben- buhler eingefreſſen hatte, die Unentbehrlichkeit der preußiſchen Waffenhilfe konnte man in der Hofburg nicht ganz verkennen; im Verlaufe der ge- heimen Verhandlungen von 1805 ließ Oeſterreich einmal alles Ernſtes in Berlin eine Neugeſtaltung der deutſchen Verfaſſung vorſchlagen alſo daß der Norden unter Preußens, der Süden unter Oeſterreichs Ober- hoheit käme. Aber am preußiſchen Hofe überwog noch immer der landes- väterliche Wunſch nach geſicherter Ruhe; man hoffte den Frieden auf dem Feſtlande zu erhalten, wo nicht, die Neutralität Norddeutſchlands zu be- haupten. Selbſt Hardenberg erging ſich noch in optimiſtiſchen Träumen; er fand, die Macht Frankreichs werde allgemein überſchätzt, und wollte die Hände frei behalten um nöthigenfalls ſelbſt durch ein franzöſiſches Bünd- niß die nothwendige Verſtärkung der Monarchie, vor Allem die Einver- leibung Hannovers, zu erreichen. Es war ſein Werk, daß Preußen auf die Anfragen der beiden Kaiſerhöfe gar keine beruhigende Zuſage gab.
So überließ ſich denn der junge Czar, durch keinen überlegenen Willen gebändigt, haltlos den Einfällen ſeines unruhigen Kopfes. Dem großen Staatsmanne, der ſeit zehn Jahren faſt ununterbrochen den zähen Kampf Englands gegen Frankreich leitete, fehlte, wie allen britiſchen Diplomaten, die gründliche Kenntniß feſtländiſcher Verhältniſſe. Unbedacht ging William Pitt auf die verworrenen Pläne Alexanders ein; ſchon im April 1805 wurde das geheime Kriegsbündniß zwiſchen Rußland und England ab- geſchloſſen. Unterdeſſen ſetzte ſich Napoleon die italieniſche Königskrone auf das Haupt und ſchrieb dem Czaren wie zum Hohne: nur der Wunſch der italieniſchen Nation nöthige ihn dies Opfer ſeiner Größe zu bringen. Dann wurde die liguriſche Republik dem Kaiſerreiche einverleibt und da- durch auch das zaudernde Oeſterreich in das Lager der dritten Coalition hinübergedrängt. Gewaltige, weitausſehende Entwürfe beſchäftigten die verbündeten Höfe: man wollte Frankreichs Grenzen bis zum Rhein und zur Moſel zurückſchieben, für Deutſchland, Holland und die Schweiz die volle Unabhängigkeit wiedergewinnen, die Kronen von Frankreich und Italien für immer trennen; man hoffte, ganz im Sinne der alten engliſch- niederländiſchen Barrierenpolitik, die ausgreifende Macht des franzöſiſchen Staats durch die Verſtärkung von Holland, Piemont und der Schweiz zu bändigen. Für Preußen war, wenn es noch beitrat, das oraniſche Fulda und das niederrheiniſche Land von der Moſel bis zur niederländiſchen Grenze in Ausſicht genommen. Ein allgemeiner Congreß ſollte nach dem Siege die neue Ländervertheilung ordnen; ſelbſt die Entthronung des Corſen hielt man nicht für unerreichbar. Aber zu ſo kühnen Abſichten ſtanden die langſamen, ſchwächlichen Rüſtungen in einem ſchreienden Miß- verhältniß. So gefährlich die zweite Coalition von 1799 für Frankreich geweſen, ebenſo leichtſinnig und ausſichtslos war die dritte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0235"n="219"/><fwplace="top"type="header">Dritte Coalition.</fw><lb/>
blieb doch Staatsmann genug um die Verſtändigung mit Preußen zu<lb/>
fordern. Wie tief ſich auch das Mißtrauen gegen den nordiſchen Neben-<lb/>
buhler eingefreſſen hatte, die Unentbehrlichkeit der preußiſchen Waffenhilfe<lb/>
konnte man in der Hofburg nicht ganz verkennen; im Verlaufe der ge-<lb/>
heimen Verhandlungen von 1805 ließ Oeſterreich einmal alles Ernſtes<lb/>
in Berlin eine Neugeſtaltung der deutſchen Verfaſſung vorſchlagen alſo<lb/>
daß der Norden unter Preußens, der Süden unter Oeſterreichs Ober-<lb/>
hoheit käme. Aber am preußiſchen Hofe überwog noch immer der landes-<lb/>
väterliche Wunſch nach geſicherter Ruhe; man hoffte den Frieden auf dem<lb/>
Feſtlande zu erhalten, wo nicht, die Neutralität Norddeutſchlands zu be-<lb/>
haupten. Selbſt Hardenberg erging ſich noch in optimiſtiſchen Träumen;<lb/>
er fand, die Macht Frankreichs werde allgemein überſchätzt, und wollte die<lb/>
Hände frei behalten um nöthigenfalls ſelbſt durch ein franzöſiſches Bünd-<lb/>
niß die nothwendige Verſtärkung der Monarchie, vor Allem die Einver-<lb/>
leibung Hannovers, zu erreichen. Es war ſein Werk, daß Preußen auf<lb/>
die Anfragen der beiden Kaiſerhöfe gar keine beruhigende Zuſage gab.</p><lb/><p>So überließ ſich denn der junge Czar, durch keinen überlegenen Willen<lb/>
gebändigt, haltlos den Einfällen ſeines unruhigen Kopfes. Dem großen<lb/>
Staatsmanne, der ſeit zehn Jahren faſt ununterbrochen den zähen Kampf<lb/>
Englands gegen Frankreich leitete, fehlte, wie allen britiſchen Diplomaten,<lb/>
die gründliche Kenntniß feſtländiſcher Verhältniſſe. Unbedacht ging William<lb/>
Pitt auf die verworrenen Pläne Alexanders ein; ſchon im April 1805<lb/>
wurde das geheime Kriegsbündniß zwiſchen Rußland und England ab-<lb/>
geſchloſſen. Unterdeſſen ſetzte ſich Napoleon die italieniſche Königskrone<lb/>
auf das Haupt und ſchrieb dem Czaren wie zum Hohne: nur der Wunſch<lb/>
der italieniſchen Nation nöthige ihn dies Opfer ſeiner Größe zu bringen.<lb/>
Dann wurde die liguriſche Republik dem Kaiſerreiche einverleibt und da-<lb/>
durch auch das zaudernde Oeſterreich in das Lager der dritten Coalition<lb/>
hinübergedrängt. Gewaltige, weitausſehende Entwürfe beſchäftigten die<lb/>
verbündeten Höfe: man wollte Frankreichs Grenzen bis zum Rhein und<lb/>
zur Moſel zurückſchieben, für Deutſchland, Holland und die Schweiz die<lb/>
volle Unabhängigkeit wiedergewinnen, die Kronen von Frankreich und<lb/>
Italien für immer trennen; man hoffte, ganz im Sinne der alten engliſch-<lb/>
niederländiſchen Barrierenpolitik, die ausgreifende Macht des franzöſiſchen<lb/>
Staats durch die Verſtärkung von Holland, Piemont und der Schweiz<lb/>
zu bändigen. Für Preußen war, wenn es noch beitrat, das oraniſche<lb/>
Fulda und das niederrheiniſche Land von der Moſel bis zur niederländiſchen<lb/>
Grenze in Ausſicht genommen. Ein allgemeiner Congreß ſollte nach dem<lb/>
Siege die neue Ländervertheilung ordnen; ſelbſt die Entthronung des<lb/>
Corſen hielt man nicht für unerreichbar. Aber zu ſo kühnen Abſichten<lb/>ſtanden die langſamen, ſchwächlichen Rüſtungen in einem ſchreienden Miß-<lb/>
verhältniß. So gefährlich die zweite Coalition von 1799 für Frankreich<lb/>
geweſen, ebenſo leichtſinnig und ausſichtslos war die dritte.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[219/0235]
Dritte Coalition.
blieb doch Staatsmann genug um die Verſtändigung mit Preußen zu
fordern. Wie tief ſich auch das Mißtrauen gegen den nordiſchen Neben-
buhler eingefreſſen hatte, die Unentbehrlichkeit der preußiſchen Waffenhilfe
konnte man in der Hofburg nicht ganz verkennen; im Verlaufe der ge-
heimen Verhandlungen von 1805 ließ Oeſterreich einmal alles Ernſtes
in Berlin eine Neugeſtaltung der deutſchen Verfaſſung vorſchlagen alſo
daß der Norden unter Preußens, der Süden unter Oeſterreichs Ober-
hoheit käme. Aber am preußiſchen Hofe überwog noch immer der landes-
väterliche Wunſch nach geſicherter Ruhe; man hoffte den Frieden auf dem
Feſtlande zu erhalten, wo nicht, die Neutralität Norddeutſchlands zu be-
haupten. Selbſt Hardenberg erging ſich noch in optimiſtiſchen Träumen;
er fand, die Macht Frankreichs werde allgemein überſchätzt, und wollte die
Hände frei behalten um nöthigenfalls ſelbſt durch ein franzöſiſches Bünd-
niß die nothwendige Verſtärkung der Monarchie, vor Allem die Einver-
leibung Hannovers, zu erreichen. Es war ſein Werk, daß Preußen auf
die Anfragen der beiden Kaiſerhöfe gar keine beruhigende Zuſage gab.
So überließ ſich denn der junge Czar, durch keinen überlegenen Willen
gebändigt, haltlos den Einfällen ſeines unruhigen Kopfes. Dem großen
Staatsmanne, der ſeit zehn Jahren faſt ununterbrochen den zähen Kampf
Englands gegen Frankreich leitete, fehlte, wie allen britiſchen Diplomaten,
die gründliche Kenntniß feſtländiſcher Verhältniſſe. Unbedacht ging William
Pitt auf die verworrenen Pläne Alexanders ein; ſchon im April 1805
wurde das geheime Kriegsbündniß zwiſchen Rußland und England ab-
geſchloſſen. Unterdeſſen ſetzte ſich Napoleon die italieniſche Königskrone
auf das Haupt und ſchrieb dem Czaren wie zum Hohne: nur der Wunſch
der italieniſchen Nation nöthige ihn dies Opfer ſeiner Größe zu bringen.
Dann wurde die liguriſche Republik dem Kaiſerreiche einverleibt und da-
durch auch das zaudernde Oeſterreich in das Lager der dritten Coalition
hinübergedrängt. Gewaltige, weitausſehende Entwürfe beſchäftigten die
verbündeten Höfe: man wollte Frankreichs Grenzen bis zum Rhein und
zur Moſel zurückſchieben, für Deutſchland, Holland und die Schweiz die
volle Unabhängigkeit wiedergewinnen, die Kronen von Frankreich und
Italien für immer trennen; man hoffte, ganz im Sinne der alten engliſch-
niederländiſchen Barrierenpolitik, die ausgreifende Macht des franzöſiſchen
Staats durch die Verſtärkung von Holland, Piemont und der Schweiz
zu bändigen. Für Preußen war, wenn es noch beitrat, das oraniſche
Fulda und das niederrheiniſche Land von der Moſel bis zur niederländiſchen
Grenze in Ausſicht genommen. Ein allgemeiner Congreß ſollte nach dem
Siege die neue Ländervertheilung ordnen; ſelbſt die Entthronung des
Corſen hielt man nicht für unerreichbar. Aber zu ſo kühnen Abſichten
ſtanden die langſamen, ſchwächlichen Rüſtungen in einem ſchreienden Miß-
verhältniß. So gefährlich die zweite Coalition von 1799 für Frankreich
geweſen, ebenſo leichtſinnig und ausſichtslos war die dritte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/235>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.