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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
Preußens über den Norden, die seit dem Baseler Frieden thatsächlich bestand,
eine feste rechtliche Form zu geben. Er wollte, so schrieb er an Friedrich
August von Sachsen, dem Rheinbunde ein Foederativsystem entgegensetzen,
welches das nördliche Deutschland retten könnte. Preußen lenkte endlich
wieder ein in die Bahnen einer gesunden deutschen Politik, und grade
diese Rückkehr zu seinen großen Ueberlieferungen sollte dem Staate eine
schreckliche Demüthigung, die Strafe für vergangene Sünden bringen.
Der König glaubte kein Wort mehr von den glatten Schmeichelreden,
womit ihn Napoleon noch während des Winters überschüttet hatte. Seit
dem Pariser Vertrage war er auf das Aergste gefaßt; er nannte die
Stiftung des Rheinbundes, die dem alliirten Berliner Hofe nicht ein-
mal im Voraus angezeigt wurde, eine Revolution und eine offenbare
Feindseligkeit gegen Preußen; auch fühlte er sich keineswegs sicher im
Besitze von Hannover, das er für das Bollwerk der Unabhängigkeit des
Nordens hielt. Die Vereinigung dieses Landes mit der norddeutschen
Großmacht entsprach so sehr dem europäischen Interesse, daß sogar in
England einzelne Einsichtige zu einer friedlichen Verständigung mit dem
Berliner Cabinet riethen; doch der Welfenstolz Georgs III. widerstand hart-
näckig. Während Preußen also um Hannovers willen mit England einen
unfruchtbaren Krieg führte, mußte der König zugleich fürchten, daß die
Tücke seines Alliirten ihm das so theuer erkaufte Land wieder entreißen
würde.

Es ward hohe Zeit die letzten Lande, die noch deutsch und frei
waren, in wehrhaften Stand zu setzen. Jene Dreitheilung Deutschlands,
wovon Hardenberg im Frühjahr träumte, war jetzt nahezu vollzogen, ganz
anders freilich als der Vertrauensvolle gedacht hatte; dem preußischen
Hofe blieb nur noch übrig, ohne Rücksicht auf Oesterreich und Frankreich
vorzugehen und das Drittel Deutschlands, das in sein Machtgebiet fiel,
selbständig zu gestalten. Da auch Haugwitz längst über Napoleons Ab-
sichten ins Klare gekommen war, so begann Preußen schon im Juli, noch
bevor der Rheinbund abgeschlossen wurde, Verhandlungen mit dem Dresdner
und dem Casseler Hofe wegen der Errichtung eines Norddeutschen Bundes.
Der preußische Plan lehnte sich eng an die altgewohnten Institutionen
des Reichs an, forderte von den kleinen Höfen nur die unerläßlichen
militärischen Leistungen. Man verlangte die Kaiserwürde für Preußen,
für die beiden Kurfürsten die längst ersehnten Königskronen; ferner einen
Gesandtencongreß unter dem Directorium dieser drei Staaten und für
jeden von ihnen die Stellung eines Kreisobersten in einem der drei
Kreise des Bundes; endlich ein Bundesgericht und ein Bundesheer von
240,000 Mann, das im Kriege unter Preußens Oberbefehl stehen sollte.
Aengstlich war Alles vermieden was den Dünkel der Bundesgenossen
erbittern konnte: Congreß und Tribunal erhielten ihren Sitz nicht in
Berlin, sondern nach altem Reichsbrauch in zwei kleinen Städten. Um

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
Preußens über den Norden, die ſeit dem Baſeler Frieden thatſächlich beſtand,
eine feſte rechtliche Form zu geben. Er wollte, ſo ſchrieb er an Friedrich
Auguſt von Sachſen, dem Rheinbunde ein Foederativſyſtem entgegenſetzen,
welches das nördliche Deutſchland retten könnte. Preußen lenkte endlich
wieder ein in die Bahnen einer geſunden deutſchen Politik, und grade
dieſe Rückkehr zu ſeinen großen Ueberlieferungen ſollte dem Staate eine
ſchreckliche Demüthigung, die Strafe für vergangene Sünden bringen.
Der König glaubte kein Wort mehr von den glatten Schmeichelreden,
womit ihn Napoleon noch während des Winters überſchüttet hatte. Seit
dem Pariſer Vertrage war er auf das Aergſte gefaßt; er nannte die
Stiftung des Rheinbundes, die dem alliirten Berliner Hofe nicht ein-
mal im Voraus angezeigt wurde, eine Revolution und eine offenbare
Feindſeligkeit gegen Preußen; auch fühlte er ſich keineswegs ſicher im
Beſitze von Hannover, das er für das Bollwerk der Unabhängigkeit des
Nordens hielt. Die Vereinigung dieſes Landes mit der norddeutſchen
Großmacht entſprach ſo ſehr dem europäiſchen Intereſſe, daß ſogar in
England einzelne Einſichtige zu einer friedlichen Verſtändigung mit dem
Berliner Cabinet riethen; doch der Welfenſtolz Georgs III. widerſtand hart-
näckig. Während Preußen alſo um Hannovers willen mit England einen
unfruchtbaren Krieg führte, mußte der König zugleich fürchten, daß die
Tücke ſeines Alliirten ihm das ſo theuer erkaufte Land wieder entreißen
würde.

Es ward hohe Zeit die letzten Lande, die noch deutſch und frei
waren, in wehrhaften Stand zu ſetzen. Jene Dreitheilung Deutſchlands,
wovon Hardenberg im Frühjahr träumte, war jetzt nahezu vollzogen, ganz
anders freilich als der Vertrauensvolle gedacht hatte; dem preußiſchen
Hofe blieb nur noch übrig, ohne Rückſicht auf Oeſterreich und Frankreich
vorzugehen und das Drittel Deutſchlands, das in ſein Machtgebiet fiel,
ſelbſtändig zu geſtalten. Da auch Haugwitz längſt über Napoleons Ab-
ſichten ins Klare gekommen war, ſo begann Preußen ſchon im Juli, noch
bevor der Rheinbund abgeſchloſſen wurde, Verhandlungen mit dem Dresdner
und dem Caſſeler Hofe wegen der Errichtung eines Norddeutſchen Bundes.
Der preußiſche Plan lehnte ſich eng an die altgewohnten Inſtitutionen
des Reichs an, forderte von den kleinen Höfen nur die unerläßlichen
militäriſchen Leiſtungen. Man verlangte die Kaiſerwürde für Preußen,
für die beiden Kurfürſten die längſt erſehnten Königskronen; ferner einen
Geſandtencongreß unter dem Directorium dieſer drei Staaten und für
jeden von ihnen die Stellung eines Kreisoberſten in einem der drei
Kreiſe des Bundes; endlich ein Bundesgericht und ein Bundesheer von
240,000 Mann, das im Kriege unter Preußens Oberbefehl ſtehen ſollte.
Aengſtlich war Alles vermieden was den Dünkel der Bundesgenoſſen
erbittern konnte: Congreß und Tribunal erhielten ihren Sitz nicht in
Berlin, ſondern nach altem Reichsbrauch in zwei kleinen Städten. Um

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[238/0254] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. Preußens über den Norden, die ſeit dem Baſeler Frieden thatſächlich beſtand, eine feſte rechtliche Form zu geben. Er wollte, ſo ſchrieb er an Friedrich Auguſt von Sachſen, dem Rheinbunde ein Foederativſyſtem entgegenſetzen, welches das nördliche Deutſchland retten könnte. Preußen lenkte endlich wieder ein in die Bahnen einer geſunden deutſchen Politik, und grade dieſe Rückkehr zu ſeinen großen Ueberlieferungen ſollte dem Staate eine ſchreckliche Demüthigung, die Strafe für vergangene Sünden bringen. Der König glaubte kein Wort mehr von den glatten Schmeichelreden, womit ihn Napoleon noch während des Winters überſchüttet hatte. Seit dem Pariſer Vertrage war er auf das Aergſte gefaßt; er nannte die Stiftung des Rheinbundes, die dem alliirten Berliner Hofe nicht ein- mal im Voraus angezeigt wurde, eine Revolution und eine offenbare Feindſeligkeit gegen Preußen; auch fühlte er ſich keineswegs ſicher im Beſitze von Hannover, das er für das Bollwerk der Unabhängigkeit des Nordens hielt. Die Vereinigung dieſes Landes mit der norddeutſchen Großmacht entſprach ſo ſehr dem europäiſchen Intereſſe, daß ſogar in England einzelne Einſichtige zu einer friedlichen Verſtändigung mit dem Berliner Cabinet riethen; doch der Welfenſtolz Georgs III. widerſtand hart- näckig. Während Preußen alſo um Hannovers willen mit England einen unfruchtbaren Krieg führte, mußte der König zugleich fürchten, daß die Tücke ſeines Alliirten ihm das ſo theuer erkaufte Land wieder entreißen würde. Es ward hohe Zeit die letzten Lande, die noch deutſch und frei waren, in wehrhaften Stand zu ſetzen. Jene Dreitheilung Deutſchlands, wovon Hardenberg im Frühjahr träumte, war jetzt nahezu vollzogen, ganz anders freilich als der Vertrauensvolle gedacht hatte; dem preußiſchen Hofe blieb nur noch übrig, ohne Rückſicht auf Oeſterreich und Frankreich vorzugehen und das Drittel Deutſchlands, das in ſein Machtgebiet fiel, ſelbſtändig zu geſtalten. Da auch Haugwitz längſt über Napoleons Ab- ſichten ins Klare gekommen war, ſo begann Preußen ſchon im Juli, noch bevor der Rheinbund abgeſchloſſen wurde, Verhandlungen mit dem Dresdner und dem Caſſeler Hofe wegen der Errichtung eines Norddeutſchen Bundes. Der preußiſche Plan lehnte ſich eng an die altgewohnten Inſtitutionen des Reichs an, forderte von den kleinen Höfen nur die unerläßlichen militäriſchen Leiſtungen. Man verlangte die Kaiſerwürde für Preußen, für die beiden Kurfürſten die längſt erſehnten Königskronen; ferner einen Geſandtencongreß unter dem Directorium dieſer drei Staaten und für jeden von ihnen die Stellung eines Kreisoberſten in einem der drei Kreiſe des Bundes; endlich ein Bundesgericht und ein Bundesheer von 240,000 Mann, das im Kriege unter Preußens Oberbefehl ſtehen ſollte. Aengſtlich war Alles vermieden was den Dünkel der Bundesgenoſſen erbittern konnte: Congreß und Tribunal erhielten ihren Sitz nicht in Berlin, ſondern nach altem Reichsbrauch in zwei kleinen Städten. Um

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/254>, abgerufen am 22.11.2024.