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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht von Jena.
diesem Rückzuge wurde die Armee zugleich vom Süden und vom Osten her
angegriffen. Der Kaiser selbst rückte durch das Saalthal nordwärts. Die
Vorhut der Preußen ward bei Saalfeld geworfen; der Tod des hochher-
zigen Prinzen Louis Ferdinand schlug als ein unheilvolles Vorzeichen die
Zuversicht der Truppen völlig nieder, und mit Entsetzen hörten die Offi-
ziere aus den zerstreuten Haufen den in der preußischen Armee noch un-
bekannten Ruf: wir sind Versprengte!

Fürst Hohenlohe aber verlor jetzt in einem Tage den einst am
Rheine ritterlich erworbenen Soldatenruhm. Er ging mit seinem preu-
ßisch-sächsischen Corps auf die Hochebene des linken Saalufers über Jena
zurück, und da ihm verboten war sich in ein ernstes Gefecht einzulassen,
so versäumte er nicht nur die Flußübergänge, sondern auch die das Thal
und die Hochfläche überschauenden Höhen zu besetzen. Napoleon bemerkte
den Fehler sofort, bemächtigte sich alsbald der Höhenränder, führte selber
Nachts, mit der Fackel in der Faust, das Geschütz die steilen Abhänge
hinauf; und als der nebelgraue Morgen des 14. Octobers anbrach,
hielt der Imperator schon den sicheren Sieg in Händen. Wie sollte dieser
Bruchtheil der preußischen Armee die Position von Vierzehnheiligen be-
haupten gegen das französische Hauptheer, das jetzt mit erdrückender Ueber-
macht von den beherrschenden Höhen aus den Angriff begann? Der deutsche
Soldat focht tapfer, des alten Ruhmes würdig, die preußische Reiterei
zeigte sich den Wälschen wie immer überlegen; nur im zerstreuten Gefechte
konnte das schwerfällige Fußvolk mit den flinken Tirailleurs Napoleons
sich nicht messen. Die Franzosen beflügelte das kriegerische Feuer junger
sieggewohnter Führer, die Alliirten lähmte die Bedachtsamkeit ihrer hilf-
losen alten Stabsoffiziere; voyez donc le pauvre papa saxon! rief der
französische Soldat mit spöttischer Verwunderung einem gefangenen greisen
Obersten zu. Noch konnte General Rüchel mit seinen frischen Truppen
der geschlagenen Armee einen geordneten Rückzug sichern, aber er führte
die Regimenter vereinzelt zu nutzlosem Kampfe vor. Also ward auch die
Reserve mit in die Niederlage verwickelt, und als nun in der frühen
Herbstnacht der Rückmarsch gegen Weimar angetreten wurde, da zerrissen
die letzten sittlichen Bande, welche dies Heer noch zusammenhielten. Taub
gegen die Mahnungen ungeliebter Führer dachte der Soldat nur an
sich selber. In einem unförmlichen Klumpen wälzten sich die Trümmer
der Bataillone und der Batterien, dazwischen eingekeilt der unendliche
Troß, über die Hochebene dahin; jeder Hornruf des nachsetzenden Feindes
steigerte die Verwirrung, weckte die gemeine Angst um das Leben. "Das
waren Gräuel," sagte Gneisenau, dieser fürchterlichen Nacht gedenkend;
"tausendmal lieber sterben, als das noch einmal erleben!" Vergeblich
sammelte er einige Haufen der Flüchtigen am Rande des Webichtholzes
nahe vor Weimar um den Rückzug des Corps zu decken. Er sollte lernen,
was die dämonische Macht des Schreckens über ein geschlagenes Heer ver-

Schlacht von Jena.
dieſem Rückzuge wurde die Armee zugleich vom Süden und vom Oſten her
angegriffen. Der Kaiſer ſelbſt rückte durch das Saalthal nordwärts. Die
Vorhut der Preußen ward bei Saalfeld geworfen; der Tod des hochher-
zigen Prinzen Louis Ferdinand ſchlug als ein unheilvolles Vorzeichen die
Zuverſicht der Truppen völlig nieder, und mit Entſetzen hörten die Offi-
ziere aus den zerſtreuten Haufen den in der preußiſchen Armee noch un-
bekannten Ruf: wir ſind Verſprengte!

Fürſt Hohenlohe aber verlor jetzt in einem Tage den einſt am
Rheine ritterlich erworbenen Soldatenruhm. Er ging mit ſeinem preu-
ßiſch-ſächſiſchen Corps auf die Hochebene des linken Saalufers über Jena
zurück, und da ihm verboten war ſich in ein ernſtes Gefecht einzulaſſen,
ſo verſäumte er nicht nur die Flußübergänge, ſondern auch die das Thal
und die Hochfläche überſchauenden Höhen zu beſetzen. Napoleon bemerkte
den Fehler ſofort, bemächtigte ſich alsbald der Höhenränder, führte ſelber
Nachts, mit der Fackel in der Fauſt, das Geſchütz die ſteilen Abhänge
hinauf; und als der nebelgraue Morgen des 14. Octobers anbrach,
hielt der Imperator ſchon den ſicheren Sieg in Händen. Wie ſollte dieſer
Bruchtheil der preußiſchen Armee die Poſition von Vierzehnheiligen be-
haupten gegen das franzöſiſche Hauptheer, das jetzt mit erdrückender Ueber-
macht von den beherrſchenden Höhen aus den Angriff begann? Der deutſche
Soldat focht tapfer, des alten Ruhmes würdig, die preußiſche Reiterei
zeigte ſich den Wälſchen wie immer überlegen; nur im zerſtreuten Gefechte
konnte das ſchwerfällige Fußvolk mit den flinken Tirailleurs Napoleons
ſich nicht meſſen. Die Franzoſen beflügelte das kriegeriſche Feuer junger
ſieggewohnter Führer, die Alliirten lähmte die Bedachtſamkeit ihrer hilf-
loſen alten Stabsoffiziere; voyez donc le pauvre papa saxon! rief der
franzöſiſche Soldat mit ſpöttiſcher Verwunderung einem gefangenen greiſen
Oberſten zu. Noch konnte General Rüchel mit ſeinen friſchen Truppen
der geſchlagenen Armee einen geordneten Rückzug ſichern, aber er führte
die Regimenter vereinzelt zu nutzloſem Kampfe vor. Alſo ward auch die
Reſerve mit in die Niederlage verwickelt, und als nun in der frühen
Herbſtnacht der Rückmarſch gegen Weimar angetreten wurde, da zerriſſen
die letzten ſittlichen Bande, welche dies Heer noch zuſammenhielten. Taub
gegen die Mahnungen ungeliebter Führer dachte der Soldat nur an
ſich ſelber. In einem unförmlichen Klumpen wälzten ſich die Trümmer
der Bataillone und der Batterien, dazwiſchen eingekeilt der unendliche
Troß, über die Hochebene dahin; jeder Hornruf des nachſetzenden Feindes
ſteigerte die Verwirrung, weckte die gemeine Angſt um das Leben. „Das
waren Gräuel,“ ſagte Gneiſenau, dieſer fürchterlichen Nacht gedenkend;
„tauſendmal lieber ſterben, als das noch einmal erleben!“ Vergeblich
ſammelte er einige Haufen der Flüchtigen am Rande des Webichtholzes
nahe vor Weimar um den Rückzug des Corps zu decken. Er ſollte lernen,
was die dämoniſche Macht des Schreckens über ein geſchlagenes Heer ver-

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[247/0263] Schlacht von Jena. dieſem Rückzuge wurde die Armee zugleich vom Süden und vom Oſten her angegriffen. Der Kaiſer ſelbſt rückte durch das Saalthal nordwärts. Die Vorhut der Preußen ward bei Saalfeld geworfen; der Tod des hochher- zigen Prinzen Louis Ferdinand ſchlug als ein unheilvolles Vorzeichen die Zuverſicht der Truppen völlig nieder, und mit Entſetzen hörten die Offi- ziere aus den zerſtreuten Haufen den in der preußiſchen Armee noch un- bekannten Ruf: wir ſind Verſprengte! Fürſt Hohenlohe aber verlor jetzt in einem Tage den einſt am Rheine ritterlich erworbenen Soldatenruhm. Er ging mit ſeinem preu- ßiſch-ſächſiſchen Corps auf die Hochebene des linken Saalufers über Jena zurück, und da ihm verboten war ſich in ein ernſtes Gefecht einzulaſſen, ſo verſäumte er nicht nur die Flußübergänge, ſondern auch die das Thal und die Hochfläche überſchauenden Höhen zu beſetzen. Napoleon bemerkte den Fehler ſofort, bemächtigte ſich alsbald der Höhenränder, führte ſelber Nachts, mit der Fackel in der Fauſt, das Geſchütz die ſteilen Abhänge hinauf; und als der nebelgraue Morgen des 14. Octobers anbrach, hielt der Imperator ſchon den ſicheren Sieg in Händen. Wie ſollte dieſer Bruchtheil der preußiſchen Armee die Poſition von Vierzehnheiligen be- haupten gegen das franzöſiſche Hauptheer, das jetzt mit erdrückender Ueber- macht von den beherrſchenden Höhen aus den Angriff begann? Der deutſche Soldat focht tapfer, des alten Ruhmes würdig, die preußiſche Reiterei zeigte ſich den Wälſchen wie immer überlegen; nur im zerſtreuten Gefechte konnte das ſchwerfällige Fußvolk mit den flinken Tirailleurs Napoleons ſich nicht meſſen. Die Franzoſen beflügelte das kriegeriſche Feuer junger ſieggewohnter Führer, die Alliirten lähmte die Bedachtſamkeit ihrer hilf- loſen alten Stabsoffiziere; voyez donc le pauvre papa saxon! rief der franzöſiſche Soldat mit ſpöttiſcher Verwunderung einem gefangenen greiſen Oberſten zu. Noch konnte General Rüchel mit ſeinen friſchen Truppen der geſchlagenen Armee einen geordneten Rückzug ſichern, aber er führte die Regimenter vereinzelt zu nutzloſem Kampfe vor. Alſo ward auch die Reſerve mit in die Niederlage verwickelt, und als nun in der frühen Herbſtnacht der Rückmarſch gegen Weimar angetreten wurde, da zerriſſen die letzten ſittlichen Bande, welche dies Heer noch zuſammenhielten. Taub gegen die Mahnungen ungeliebter Führer dachte der Soldat nur an ſich ſelber. In einem unförmlichen Klumpen wälzten ſich die Trümmer der Bataillone und der Batterien, dazwiſchen eingekeilt der unendliche Troß, über die Hochebene dahin; jeder Hornruf des nachſetzenden Feindes ſteigerte die Verwirrung, weckte die gemeine Angſt um das Leben. „Das waren Gräuel,“ ſagte Gneiſenau, dieſer fürchterlichen Nacht gedenkend; „tauſendmal lieber ſterben, als das noch einmal erleben!“ Vergeblich ſammelte er einige Haufen der Flüchtigen am Rande des Webichtholzes nahe vor Weimar um den Rückzug des Corps zu decken. Er ſollte lernen, was die dämoniſche Macht des Schreckens über ein geſchlagenes Heer ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/263>, abgerufen am 22.11.2024.