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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
mag; ein letzter Angriff der französischen Reiter, aufs Gerathewohl in das
Dunkel der Nacht hineingeführt, warf Alles in wilder Flucht auseinander.
Unauslöschlich haftete dies Bild des Entsetzens in der Seele des Helden,
ein Vermächtniß für die Tage der Vergeltung.

Gleichzeitig erfocht Davoust einige Meilen weiter flußab einen un-
gleich schwereren Sieg über die preußische Hauptarmee. Er zog auf der
Straße von Naumburg westwärts um den Preußen den Weg zur Elbe
zu verlegen. Als seine Colonnen am Morgen des Vierzehnten soeben
aus dem Kösener Engpasse auf die wellige Hochfläche hinaufgerückt waren,
die zwischen Hessenhausen und Auerstädt steil über dem linken Saalufer
emporsteigt, da stießen die beiden Heere plötzlich im dichten Nebel auf
einander, beide im Marsch, beide des Kampfes nicht gewärtig, die Preußen
hier dem Feinde an Zahl reichlich gewachsen. Schon während der ersten
Stunden der Schlacht wurde der Herzog von Braunschweig tödlich ver-
wundet; das preußische Heer blieb in den entscheidenden Augenblicken
ohne Oberbefehl. Wohl drang Scharnhorst mit dem linken Flügel sieg-
reich vor, doch die Reiterei des rechten Flügels ward ungeschickt verwendet,
und das zweite Treffen nahm an dem Kampfe gar nicht theil, denn in
diesem Friedensheer wagte kein General auf eigne Faust zu handeln. So
glückte es dem Feinde, freilich nur mit dem Aufgebote seiner letzten Re-
serven, den rechten Flügel der Preußen zu werfen, und nunmehr mußte
auch Scharnhorst weichen. In leidlicher Ordnung ging das Heer zurück um
weiter westlich bei Buttstedt gegen Norden abzubiegen und den Weg über
Sangerhausen nach Magdeburg einzuschlagen. Dieselbe Rückzugsstraße
hatte auch Hohenlohe von Weimar aus genommen, und jetzt erst da die
beiden geschlagenen Heere im Dunkel der Nacht auf einander trafen, ward
der Schrecken allgemein und die Hauptarmee in die Zerrüttung des Hohen-
lohischen Corps mit hineingerissen. Die Mannschaft sah stumpf und theil-
nahmlos den Untergang des alten Preußens, schaarenweise verließ sie die
Fahnen; selbst Gefangene, die ein beherzter Reitertrupp wieder befreit hatte,
weigerten sich die Waffen wieder aufzunehmen. Als man der Heimath näher
kam, stahl sich auch mancher treue Mann zu den Seinigen hinweg; die
Altgedienten sagten: ich habe lang genug den Kuhfuß getragen, der König
hat der jungen Bursche genug, die mögen es ausfechten! Der Zauber
der fridericianischen Unbesiegbarkeit war gebrochen, ein Kriegsruhm ohne
Gleichen war verloren.

Schon am 15. October legte Napoleon allen preußischen Provinzen
diesseits der Weichsel eine Contribution von 159 Mill. Fr. auf, denn das
Ergebniß der gestrigen Schlacht sei die Eroberung aller dieser Lande.
Vermessener hatte der Glückliche noch nie geprahlt, und doch sollte die
frevelhafteste der Lügen durch ein wunderbares Geschick zur buchstäblichen
Wahrheit werden. Der Dresdner Hof vollzog sogleich nach der Nieder-
lage den längst geplanten Abfall und trat zu Napoleon über. Acht Tage

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
mag; ein letzter Angriff der franzöſiſchen Reiter, aufs Gerathewohl in das
Dunkel der Nacht hineingeführt, warf Alles in wilder Flucht auseinander.
Unauslöſchlich haftete dies Bild des Entſetzens in der Seele des Helden,
ein Vermächtniß für die Tage der Vergeltung.

Gleichzeitig erfocht Davouſt einige Meilen weiter flußab einen un-
gleich ſchwereren Sieg über die preußiſche Hauptarmee. Er zog auf der
Straße von Naumburg weſtwärts um den Preußen den Weg zur Elbe
zu verlegen. Als ſeine Colonnen am Morgen des Vierzehnten ſoeben
aus dem Köſener Engpaſſe auf die wellige Hochfläche hinaufgerückt waren,
die zwiſchen Heſſenhauſen und Auerſtädt ſteil über dem linken Saalufer
emporſteigt, da ſtießen die beiden Heere plötzlich im dichten Nebel auf
einander, beide im Marſch, beide des Kampfes nicht gewärtig, die Preußen
hier dem Feinde an Zahl reichlich gewachſen. Schon während der erſten
Stunden der Schlacht wurde der Herzog von Braunſchweig tödlich ver-
wundet; das preußiſche Heer blieb in den entſcheidenden Augenblicken
ohne Oberbefehl. Wohl drang Scharnhorſt mit dem linken Flügel ſieg-
reich vor, doch die Reiterei des rechten Flügels ward ungeſchickt verwendet,
und das zweite Treffen nahm an dem Kampfe gar nicht theil, denn in
dieſem Friedensheer wagte kein General auf eigne Fauſt zu handeln. So
glückte es dem Feinde, freilich nur mit dem Aufgebote ſeiner letzten Re-
ſerven, den rechten Flügel der Preußen zu werfen, und nunmehr mußte
auch Scharnhorſt weichen. In leidlicher Ordnung ging das Heer zurück um
weiter weſtlich bei Buttſtedt gegen Norden abzubiegen und den Weg über
Sangerhauſen nach Magdeburg einzuſchlagen. Dieſelbe Rückzugsſtraße
hatte auch Hohenlohe von Weimar aus genommen, und jetzt erſt da die
beiden geſchlagenen Heere im Dunkel der Nacht auf einander trafen, ward
der Schrecken allgemein und die Hauptarmee in die Zerrüttung des Hohen-
lohiſchen Corps mit hineingeriſſen. Die Mannſchaft ſah ſtumpf und theil-
nahmlos den Untergang des alten Preußens, ſchaarenweiſe verließ ſie die
Fahnen; ſelbſt Gefangene, die ein beherzter Reitertrupp wieder befreit hatte,
weigerten ſich die Waffen wieder aufzunehmen. Als man der Heimath näher
kam, ſtahl ſich auch mancher treue Mann zu den Seinigen hinweg; die
Altgedienten ſagten: ich habe lang genug den Kuhfuß getragen, der König
hat der jungen Burſche genug, die mögen es ausfechten! Der Zauber
der fridericianiſchen Unbeſiegbarkeit war gebrochen, ein Kriegsruhm ohne
Gleichen war verloren.

Schon am 15. October legte Napoleon allen preußiſchen Provinzen
dieſſeits der Weichſel eine Contribution von 159 Mill. Fr. auf, denn das
Ergebniß der geſtrigen Schlacht ſei die Eroberung aller dieſer Lande.
Vermeſſener hatte der Glückliche noch nie geprahlt, und doch ſollte die
frevelhafteſte der Lügen durch ein wunderbares Geſchick zur buchſtäblichen
Wahrheit werden. Der Dresdner Hof vollzog ſogleich nach der Nieder-
lage den längſt geplanten Abfall und trat zu Napoleon über. Acht Tage

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[248/0264] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. mag; ein letzter Angriff der franzöſiſchen Reiter, aufs Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hineingeführt, warf Alles in wilder Flucht auseinander. Unauslöſchlich haftete dies Bild des Entſetzens in der Seele des Helden, ein Vermächtniß für die Tage der Vergeltung. Gleichzeitig erfocht Davouſt einige Meilen weiter flußab einen un- gleich ſchwereren Sieg über die preußiſche Hauptarmee. Er zog auf der Straße von Naumburg weſtwärts um den Preußen den Weg zur Elbe zu verlegen. Als ſeine Colonnen am Morgen des Vierzehnten ſoeben aus dem Köſener Engpaſſe auf die wellige Hochfläche hinaufgerückt waren, die zwiſchen Heſſenhauſen und Auerſtädt ſteil über dem linken Saalufer emporſteigt, da ſtießen die beiden Heere plötzlich im dichten Nebel auf einander, beide im Marſch, beide des Kampfes nicht gewärtig, die Preußen hier dem Feinde an Zahl reichlich gewachſen. Schon während der erſten Stunden der Schlacht wurde der Herzog von Braunſchweig tödlich ver- wundet; das preußiſche Heer blieb in den entſcheidenden Augenblicken ohne Oberbefehl. Wohl drang Scharnhorſt mit dem linken Flügel ſieg- reich vor, doch die Reiterei des rechten Flügels ward ungeſchickt verwendet, und das zweite Treffen nahm an dem Kampfe gar nicht theil, denn in dieſem Friedensheer wagte kein General auf eigne Fauſt zu handeln. So glückte es dem Feinde, freilich nur mit dem Aufgebote ſeiner letzten Re- ſerven, den rechten Flügel der Preußen zu werfen, und nunmehr mußte auch Scharnhorſt weichen. In leidlicher Ordnung ging das Heer zurück um weiter weſtlich bei Buttſtedt gegen Norden abzubiegen und den Weg über Sangerhauſen nach Magdeburg einzuſchlagen. Dieſelbe Rückzugsſtraße hatte auch Hohenlohe von Weimar aus genommen, und jetzt erſt da die beiden geſchlagenen Heere im Dunkel der Nacht auf einander trafen, ward der Schrecken allgemein und die Hauptarmee in die Zerrüttung des Hohen- lohiſchen Corps mit hineingeriſſen. Die Mannſchaft ſah ſtumpf und theil- nahmlos den Untergang des alten Preußens, ſchaarenweiſe verließ ſie die Fahnen; ſelbſt Gefangene, die ein beherzter Reitertrupp wieder befreit hatte, weigerten ſich die Waffen wieder aufzunehmen. Als man der Heimath näher kam, ſtahl ſich auch mancher treue Mann zu den Seinigen hinweg; die Altgedienten ſagten: ich habe lang genug den Kuhfuß getragen, der König hat der jungen Burſche genug, die mögen es ausfechten! Der Zauber der fridericianiſchen Unbeſiegbarkeit war gebrochen, ein Kriegsruhm ohne Gleichen war verloren. Schon am 15. October legte Napoleon allen preußiſchen Provinzen dieſſeits der Weichſel eine Contribution von 159 Mill. Fr. auf, denn das Ergebniß der geſtrigen Schlacht ſei die Eroberung aller dieſer Lande. Vermeſſener hatte der Glückliche noch nie geprahlt, und doch ſollte die frevelhafteſte der Lügen durch ein wunderbares Geſchick zur buchſtäblichen Wahrheit werden. Der Dresdner Hof vollzog ſogleich nach der Nieder- lage den längſt geplanten Abfall und trat zu Napoleon über. Acht Tage

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/264>, abgerufen am 22.11.2024.