nen Alten hat nachher, als die schimpfliche Strafe ihn ereilte, ein be- schmutztes Leben durch freiwilligen Tod gesühnt. Auch Fürst Hohenlohe ging mit Unehren zu Grunde: unter unsäglichen Entbehrungen hatte er die Trümmer seines Corps auf weiten Umwegen bis in die Ukermark ge- führt, da ereilten ihn die Franzosen bei Prenzlau, in den Sümpfen am Ukersee. Erschöpft an Leib und Seele, tief erschüttert durch die Unglücks- botschaften, die ihm von allen Seiten zuströmten, ließ er sich durch Murats Lügen über die Stärke des Feindes gröblich täuschen; der Schwager Napo- leons verpfändete nach dem Brauche dieser Abenteurer des Kaiserreichs unbedenklich sein Ehrenwort für eine bewußte Unwahrheit. Ein letzter verzweifelter Angriff des tapferen Prinzen August scheiterte; das Hohen- lohische Corps capitulirte im freien Felde. So endete jener ritterliche Fürst, der einst die Zierde des preußischen Heeres war, der in den Ver- suchungen der rheinbündischen Tage allein unter den Fürsten des Südens ehrenhaften Muth und deutsche Treue bewährt hatte.
Die Armee war vernichtet. Durch den Fall von Stettin und Küstrin ward auch die Oderlinie unhaltbar, und völlig aussichtslos schien der Ge- danke, mit den ostpreußischen Regimentern jenseits der Weichsel noch einen letzten Widerstand zu versuchen. Napoleon schrieb dem Sultan befriedigt: "Preußen ist verschwunden"; und selbst Gentz meinte: "es wäre mehr als lächerlich, an die Wiederauferstehung Preußens auch nur zu denken!" Wie viele Stürme waren über diesen Staat dahin gegangen seit seine Herrscher ihm den steilen Weg zur Größe wiesen; schon oft hatte die Hauptstadt den Landesfeind in ihren Mauern gesehen; doch jetzt zum ersten male in Preußens ehrenreicher Geschichte gesellte sich dem Unglück die Schande. Scham und Reue brannten verzehrend in Aller Herzen, und die rohe Schadenfreude des Eroberers unterließ nichts, was solche Empfindungen stärken konnte. Geflissentlich trug er die Verachtung gegen Alles was preußisch hieß zur Schau; im Königsschlosse der Hohenzollern schrieb er neue unfläthige Schmähungen gegen die Königin Luise. Rock und Degen Friedrichs des Großen schenkte er den Invaliden in Paris unter Hohnreden gegen diesen Hof, der das Grab seines größten Mannes so schmucklos lasse; den Obelisken auf dem Roßbacher Schlachtfelde zer- trümmerte die kaiserliche Garde; die Victoria vom Brandenburger Thore wurde herabgerissen um an der Seine in einem Schuppen zu verschwinden. Welch ein Anblick, als das glänzende Regiment der Gensdarmes, entwaffnet, abgerissen und halbverhungert, in jammervollem Zustande wie eine Vieh- heerde die Linden hinab getrieben wurde. Unter Trommelwirbel und Trompetengeschmetter, in feierlichem Aufzuge trug man die alten Fahnen mit dem sonnenwärts fliegenden Adler, ganze Körbe voll silberner Pauken und Trompeten durch die Stadt, beredte Zeugen alten Ruhmes, neuer Schande. Von den Truppen, die im Felde gestanden, war die Garde du Corps wohl das einzige Regiment, das alle seine alten Ehrenzeichen ge-
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
nen Alten hat nachher, als die ſchimpfliche Strafe ihn ereilte, ein be- ſchmutztes Leben durch freiwilligen Tod geſühnt. Auch Fürſt Hohenlohe ging mit Unehren zu Grunde: unter unſäglichen Entbehrungen hatte er die Trümmer ſeines Corps auf weiten Umwegen bis in die Ukermark ge- führt, da ereilten ihn die Franzoſen bei Prenzlau, in den Sümpfen am Ukerſee. Erſchöpft an Leib und Seele, tief erſchüttert durch die Unglücks- botſchaften, die ihm von allen Seiten zuſtrömten, ließ er ſich durch Murats Lügen über die Stärke des Feindes gröblich täuſchen; der Schwager Napo- leons verpfändete nach dem Brauche dieſer Abenteurer des Kaiſerreichs unbedenklich ſein Ehrenwort für eine bewußte Unwahrheit. Ein letzter verzweifelter Angriff des tapferen Prinzen Auguſt ſcheiterte; das Hohen- lohiſche Corps capitulirte im freien Felde. So endete jener ritterliche Fürſt, der einſt die Zierde des preußiſchen Heeres war, der in den Ver- ſuchungen der rheinbündiſchen Tage allein unter den Fürſten des Südens ehrenhaften Muth und deutſche Treue bewährt hatte.
Die Armee war vernichtet. Durch den Fall von Stettin und Küſtrin ward auch die Oderlinie unhaltbar, und völlig ausſichtslos ſchien der Ge- danke, mit den oſtpreußiſchen Regimentern jenſeits der Weichſel noch einen letzten Widerſtand zu verſuchen. Napoleon ſchrieb dem Sultan befriedigt: „Preußen iſt verſchwunden“; und ſelbſt Gentz meinte: „es wäre mehr als lächerlich, an die Wiederauferſtehung Preußens auch nur zu denken!“ Wie viele Stürme waren über dieſen Staat dahin gegangen ſeit ſeine Herrſcher ihm den ſteilen Weg zur Größe wieſen; ſchon oft hatte die Hauptſtadt den Landesfeind in ihren Mauern geſehen; doch jetzt zum erſten male in Preußens ehrenreicher Geſchichte geſellte ſich dem Unglück die Schande. Scham und Reue brannten verzehrend in Aller Herzen, und die rohe Schadenfreude des Eroberers unterließ nichts, was ſolche Empfindungen ſtärken konnte. Gefliſſentlich trug er die Verachtung gegen Alles was preußiſch hieß zur Schau; im Königsſchloſſe der Hohenzollern ſchrieb er neue unfläthige Schmähungen gegen die Königin Luiſe. Rock und Degen Friedrichs des Großen ſchenkte er den Invaliden in Paris unter Hohnreden gegen dieſen Hof, der das Grab ſeines größten Mannes ſo ſchmucklos laſſe; den Obelisken auf dem Roßbacher Schlachtfelde zer- trümmerte die kaiſerliche Garde; die Victoria vom Brandenburger Thore wurde herabgeriſſen um an der Seine in einem Schuppen zu verſchwinden. Welch ein Anblick, als das glänzende Regiment der Gensdarmes, entwaffnet, abgeriſſen und halbverhungert, in jammervollem Zuſtande wie eine Vieh- heerde die Linden hinab getrieben wurde. Unter Trommelwirbel und Trompetengeſchmetter, in feierlichem Aufzuge trug man die alten Fahnen mit dem ſonnenwärts fliegenden Adler, ganze Körbe voll ſilberner Pauken und Trompeten durch die Stadt, beredte Zeugen alten Ruhmes, neuer Schande. Von den Truppen, die im Felde geſtanden, war die Garde du Corps wohl das einzige Regiment, das alle ſeine alten Ehrenzeichen ge-
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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
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ging mit Unehren zu Grunde: unter unſäglichen Entbehrungen hatte er
die Trümmer ſeines Corps auf weiten Umwegen bis in die Ukermark ge-
führt, da ereilten ihn die Franzoſen bei Prenzlau, in den Sümpfen am
Ukerſee. Erſchöpft an Leib und Seele, tief erſchüttert durch die Unglücks-
botſchaften, die ihm von allen Seiten zuſtrömten, ließ er ſich durch Murats
Lügen über die Stärke des Feindes gröblich täuſchen; der Schwager Napo-
leons verpfändete nach dem Brauche dieſer Abenteurer des Kaiſerreichs
unbedenklich ſein Ehrenwort für eine bewußte Unwahrheit. Ein letzter
verzweifelter Angriff des tapferen Prinzen Auguſt ſcheiterte; das Hohen-
lohiſche Corps capitulirte im freien Felde. So endete jener ritterliche
Fürſt, der einſt die Zierde des preußiſchen Heeres war, der in den Ver-
ſuchungen der rheinbündiſchen Tage allein unter den Fürſten des Südens
ehrenhaften Muth und deutſche Treue bewährt hatte.
Die Armee war vernichtet. Durch den Fall von Stettin und Küſtrin
ward auch die Oderlinie unhaltbar, und völlig ausſichtslos ſchien der Ge-
danke, mit den oſtpreußiſchen Regimentern jenſeits der Weichſel noch einen
letzten Widerſtand zu verſuchen. Napoleon ſchrieb dem Sultan befriedigt:
„Preußen iſt verſchwunden“; und ſelbſt Gentz meinte: „es wäre mehr
als lächerlich, an die Wiederauferſtehung Preußens auch nur zu denken!“
Wie viele Stürme waren über dieſen Staat dahin gegangen ſeit ſeine
Herrſcher ihm den ſteilen Weg zur Größe wieſen; ſchon oft hatte die
Hauptſtadt den Landesfeind in ihren Mauern geſehen; doch jetzt zum
erſten male in Preußens ehrenreicher Geſchichte geſellte ſich dem Unglück
die Schande. Scham und Reue brannten verzehrend in Aller Herzen,
und die rohe Schadenfreude des Eroberers unterließ nichts, was ſolche
Empfindungen ſtärken konnte. Gefliſſentlich trug er die Verachtung gegen
Alles was preußiſch hieß zur Schau; im Königsſchloſſe der Hohenzollern
ſchrieb er neue unfläthige Schmähungen gegen die Königin Luiſe. Rock
und Degen Friedrichs des Großen ſchenkte er den Invaliden in Paris
unter Hohnreden gegen dieſen Hof, der das Grab ſeines größten Mannes
ſo ſchmucklos laſſe; den Obelisken auf dem Roßbacher Schlachtfelde zer-
trümmerte die kaiſerliche Garde; die Victoria vom Brandenburger Thore
wurde herabgeriſſen um an der Seine in einem Schuppen zu verſchwinden.
Welch ein Anblick, als das glänzende Regiment der Gensdarmes, entwaffnet,
abgeriſſen und halbverhungert, in jammervollem Zuſtande wie eine Vieh-
heerde die Linden hinab getrieben wurde. Unter Trommelwirbel und
Trompetengeſchmetter, in feierlichem Aufzuge trug man die alten Fahnen
mit dem ſonnenwärts fliegenden Adler, ganze Körbe voll ſilberner Pauken
und Trompeten durch die Stadt, beredte Zeugen alten Ruhmes, neuer
Schande. Von den Truppen, die im Felde geſtanden, war die Garde du
Corps wohl das einzige Regiment, das alle ſeine alten Ehrenzeichen ge-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/266>, abgerufen am 22.11.2024.
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