rasch an die verlogene Gemüthlichkeit einer pfäffischen Regierung, die ihre kalte Menschenverachtung hinter läßlich bequemen Formen zu verbergen wußte.
Der Westphälische Friede gab diesem letzten großen Siege der Gegen- reformation die gesetzliche Weihe. Der Kaiser genehmigte die Gleich- berechtigung der drei Bekenntnisse im Reiche nur unter der Bedingung, daß seine Erblande der Regel nicht unterliegen sollten. Seitdem schied Oesterreich aus der Gemeinschaft des deutschen Lebens. Das Einzige, was der zerrütteten Reichsverfassung noch Sinn und Inhalt gab, die gesicherte Glaubensfreiheit, war für die habsburgischen Länder nicht vor- handen; zur selben Zeit, da Deutschland in prunkenden Friedensfesten sich der endlich errungenen Versöhnung freute, ließ sein Kaiser die päpst- liche Bulle, welche den Friedensschluß verdammte, in Wien und Prag, in Graz und Innsbruck an die Kirchthüren anschlagen. Auch nach dem Frieden arbeitet das Kaiserhaus unablässig an der Ausrottung der Ketzerei. Noch an hundert Jahre lang, bis zum Tode Karls VI., fluthet in immer kürzeren Wellenschlägen die Auswanderung österreichischer Pro- testanten nach dem deutschen Norden hinüber, bis endlich alle Erblande den Todesschlaf der Glaubenseinheit schlummern. Zu Anfang des dreißigjährigen Krieges bekannte sich die böhmische Grafschaft Glatz, bis auf eine einzige römische Gemeinde, zum evangelischen Glauben; als die Grenadiere König Friedrichs dort einzogen, war das Volk katholisch bis auf den letzten Mann, und mitten in dem neubekehrten Lande prangte die gnadenreiche Wallfahrtskirche von Albendorf, ein Siegesdenkmal für die Schlacht am Weißen Berge. Den katholischen Nachbarn in Baiern verfeindet durch Stammeshaß und uralte politische Gegnerschaft, arg- wöhnisch abgesperrt von jeder Berührung der norddeutschen Ketzerei, führen die deutsch-österreichischen Länder fortan ein stilles Sonderleben. Der Verkehr zwischen Böhmen und der unteren Elbe, im Mittelalter so schwunghaft, daß Kaiser Karl IV. hoffen durfte ein großes Elbreich von Prag bis Tangermünde aufzurichten -- alle die alten fruchtbaren Wechsel- wirkungen zwischen dem Nordosten und dem Südosten Deutschlands verfallen gänzlich, und an der sächsisch-böhmischen Grenze bildet sich allmählich eine scharfe Völkerscheide, ein grundtiefer Gegensatz der Gedanken und Lebens- gewohnheiten. Von den seelenvollen Klängen der wiedererwachenden deutschen Dichtung, von den freien Reden unserer jungen Wissenschaft drang kaum ein Laut in diese abgeschiedene Welt. Während die deutsche Jugend um die Leiden des jungen Werther weinte und mit dem Räuber Moor auf die Thatenarmuth des tintenklecksenden Seculums zürnte, ergötzte sich das lustige Wien an den platten Zerrbildern der Blumauer- schen Aeneide. Allein die Werke der großen Tonsetzer Oesterreichs be- kundeten, daß die schöpferische Macht des deutschen Geistes noch nicht ganz erloschen war in der schönen Heimath Walthers von der Vogelweide.
Oeſterreich und die Gegenreformation.
raſch an die verlogene Gemüthlichkeit einer pfäffiſchen Regierung, die ihre kalte Menſchenverachtung hinter läßlich bequemen Formen zu verbergen wußte.
Der Weſtphäliſche Friede gab dieſem letzten großen Siege der Gegen- reformation die geſetzliche Weihe. Der Kaiſer genehmigte die Gleich- berechtigung der drei Bekenntniſſe im Reiche nur unter der Bedingung, daß ſeine Erblande der Regel nicht unterliegen ſollten. Seitdem ſchied Oeſterreich aus der Gemeinſchaft des deutſchen Lebens. Das Einzige, was der zerrütteten Reichsverfaſſung noch Sinn und Inhalt gab, die geſicherte Glaubensfreiheit, war für die habsburgiſchen Länder nicht vor- handen; zur ſelben Zeit, da Deutſchland in prunkenden Friedensfeſten ſich der endlich errungenen Verſöhnung freute, ließ ſein Kaiſer die päpſt- liche Bulle, welche den Friedensſchluß verdammte, in Wien und Prag, in Graz und Innsbruck an die Kirchthüren anſchlagen. Auch nach dem Frieden arbeitet das Kaiſerhaus unabläſſig an der Ausrottung der Ketzerei. Noch an hundert Jahre lang, bis zum Tode Karls VI., fluthet in immer kürzeren Wellenſchlägen die Auswanderung öſterreichiſcher Pro- teſtanten nach dem deutſchen Norden hinüber, bis endlich alle Erblande den Todesſchlaf der Glaubenseinheit ſchlummern. Zu Anfang des dreißigjährigen Krieges bekannte ſich die böhmiſche Grafſchaft Glatz, bis auf eine einzige römiſche Gemeinde, zum evangeliſchen Glauben; als die Grenadiere König Friedrichs dort einzogen, war das Volk katholiſch bis auf den letzten Mann, und mitten in dem neubekehrten Lande prangte die gnadenreiche Wallfahrtskirche von Albendorf, ein Siegesdenkmal für die Schlacht am Weißen Berge. Den katholiſchen Nachbarn in Baiern verfeindet durch Stammeshaß und uralte politiſche Gegnerſchaft, arg- wöhniſch abgeſperrt von jeder Berührung der norddeutſchen Ketzerei, führen die deutſch-öſterreichiſchen Länder fortan ein ſtilles Sonderleben. Der Verkehr zwiſchen Böhmen und der unteren Elbe, im Mittelalter ſo ſchwunghaft, daß Kaiſer Karl IV. hoffen durfte ein großes Elbreich von Prag bis Tangermünde aufzurichten — alle die alten fruchtbaren Wechſel- wirkungen zwiſchen dem Nordoſten und dem Südoſten Deutſchlands verfallen gänzlich, und an der ſächſiſch-böhmiſchen Grenze bildet ſich allmählich eine ſcharfe Völkerſcheide, ein grundtiefer Gegenſatz der Gedanken und Lebens- gewohnheiten. Von den ſeelenvollen Klängen der wiedererwachenden deutſchen Dichtung, von den freien Reden unſerer jungen Wiſſenſchaft drang kaum ein Laut in dieſe abgeſchiedene Welt. Während die deutſche Jugend um die Leiden des jungen Werther weinte und mit dem Räuber Moor auf die Thatenarmuth des tintenkleckſenden Seculums zürnte, ergötzte ſich das luſtige Wien an den platten Zerrbildern der Blumauer- ſchen Aeneide. Allein die Werke der großen Tonſetzer Oeſterreichs be- kundeten, daß die ſchöpferiſche Macht des deutſchen Geiſtes noch nicht ganz erloſchen war in der ſchönen Heimath Walthers von der Vogelweide.
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Oeſterreich und die Gegenreformation.
raſch an die verlogene Gemüthlichkeit einer pfäffiſchen Regierung, die ihre
kalte Menſchenverachtung hinter läßlich bequemen Formen zu verbergen
wußte.
Der Weſtphäliſche Friede gab dieſem letzten großen Siege der Gegen-
reformation die geſetzliche Weihe. Der Kaiſer genehmigte die Gleich-
berechtigung der drei Bekenntniſſe im Reiche nur unter der Bedingung,
daß ſeine Erblande der Regel nicht unterliegen ſollten. Seitdem ſchied
Oeſterreich aus der Gemeinſchaft des deutſchen Lebens. Das Einzige,
was der zerrütteten Reichsverfaſſung noch Sinn und Inhalt gab, die
geſicherte Glaubensfreiheit, war für die habsburgiſchen Länder nicht vor-
handen; zur ſelben Zeit, da Deutſchland in prunkenden Friedensfeſten
ſich der endlich errungenen Verſöhnung freute, ließ ſein Kaiſer die päpſt-
liche Bulle, welche den Friedensſchluß verdammte, in Wien und Prag,
in Graz und Innsbruck an die Kirchthüren anſchlagen. Auch nach dem
Frieden arbeitet das Kaiſerhaus unabläſſig an der Ausrottung der Ketzerei.
Noch an hundert Jahre lang, bis zum Tode Karls VI., fluthet in
immer kürzeren Wellenſchlägen die Auswanderung öſterreichiſcher Pro-
teſtanten nach dem deutſchen Norden hinüber, bis endlich alle Erblande
den Todesſchlaf der Glaubenseinheit ſchlummern. Zu Anfang des
dreißigjährigen Krieges bekannte ſich die böhmiſche Grafſchaft Glatz, bis
auf eine einzige römiſche Gemeinde, zum evangeliſchen Glauben; als die
Grenadiere König Friedrichs dort einzogen, war das Volk katholiſch bis
auf den letzten Mann, und mitten in dem neubekehrten Lande prangte
die gnadenreiche Wallfahrtskirche von Albendorf, ein Siegesdenkmal für
die Schlacht am Weißen Berge. Den katholiſchen Nachbarn in Baiern
verfeindet durch Stammeshaß und uralte politiſche Gegnerſchaft, arg-
wöhniſch abgeſperrt von jeder Berührung der norddeutſchen Ketzerei, führen
die deutſch-öſterreichiſchen Länder fortan ein ſtilles Sonderleben. Der
Verkehr zwiſchen Böhmen und der unteren Elbe, im Mittelalter ſo
ſchwunghaft, daß Kaiſer Karl IV. hoffen durfte ein großes Elbreich von
Prag bis Tangermünde aufzurichten — alle die alten fruchtbaren Wechſel-
wirkungen zwiſchen dem Nordoſten und dem Südoſten Deutſchlands verfallen
gänzlich, und an der ſächſiſch-böhmiſchen Grenze bildet ſich allmählich eine
ſcharfe Völkerſcheide, ein grundtiefer Gegenſatz der Gedanken und Lebens-
gewohnheiten. Von den ſeelenvollen Klängen der wiedererwachenden
deutſchen Dichtung, von den freien Reden unſerer jungen Wiſſenſchaft
drang kaum ein Laut in dieſe abgeſchiedene Welt. Während die deutſche
Jugend um die Leiden des jungen Werther weinte und mit dem Räuber
Moor auf die Thatenarmuth des tintenkleckſenden Seculums zürnte,
ergötzte ſich das luſtige Wien an den platten Zerrbildern der Blumauer-
ſchen Aeneide. Allein die Werke der großen Tonſetzer Oeſterreichs be-
kundeten, daß die ſchöpferiſche Macht des deutſchen Geiſtes noch nicht
ganz erloſchen war in der ſchönen Heimath Walthers von der Vogelweide.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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