I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Erst im neunzehnten Jahrhundert sollte das zertretene Deutschthum der Südostmarken wieder die Kraft finden allen Arbeiten der modernen deutschen Cultur mit lebendigem Verständniß zu folgen.
Dergestalt hat die Politik der katholischen Glaubenseinheit die Donau- lande auf lange hinaus unserem Volke entfremdet. Sie zerspaltete das alte Reich, sie schuf den vielbeklagten deutschen Dualismus; so lange die Deutschen sich nicht selber aufgaben, durften sie auch den Widerstand gegen die Fremdherrschaft der Habsburger nicht aufgeben. Das Haus Oesterreich war im Verlaufe der Jahrhunderte mit der römischen Kaiser- krone so fest verwachsen, daß die Volksmeinung Beide kaum noch zu trennen wußte; der einzige Nicht-Oesterreicher, der während dieser letzten Jahrhunderte den deutschen Thron bestieg, Karl VII., erschien den Zeit- genossen wie ein Gegenkaiser. Eine tiefe innere Verwandtschaft verband das entdeutschte Kaiserthum mit seinem alten Gegner, dem heiligen Stuhle. Die Wiener Politik zeigt wie die römische jenen Charakterzug heuchlerischer Salbung, welcher die Theokratie zur unsittlichsten aller Staatsformen macht. In Wien wie in Rom die gleiche Unfähigkeit, das Recht des Gegners zu verstehen. Alle Habsburger, die heitere Liebens- würdigkeit Maria Theresias so gut wie der stumpfsinnige Hochmuth Leopolds I., ertragen die Schläge des Schicksals in dem zuversichtlichen Glauben, daß ihr Haus dem Herzen Gottes am nächsten stehe und nur böse, gottlose Menschen das fromme Erzhaus zu bekämpfen wagen. Hier wie dort dieselbe starre Unbeweglichkeit in allen Stürmen der Jahrhun- derte: jeder schmähliche Friede, den die lebendigen Mächte der Geschichte dem alten Kaiserhause auferlegen, wird von den Habsburgern unterzeichnet mit dem stillen Vorbehalt, daß zur rechten Stunde die unveräußerlichen Rechte kaiserlicher Vollgewalt wieder in Kraft treten sollen. Hier wie dort dieselbe Dreistigkeit theokratischer Mythenbildung und Rechtsverdrehung. Indem Maria Theresia sich wider den rechtmäßigen Kaiser Karl VII. empört, trägt sie selber die sittliche Entrüstung der beleidigten kaiserlichen Majestät zur Schau; als König Friedrich sodann ihrem drohenden An- griffe zuvor kommt, da schwingt ihr Gemahl, der als schlichter Privatmann an ihrem Hofe lebt, das kaiserliche Scepter und verurtheilt den Feind der Königin von Ungarn als Rebellen gegen Kaiser und Reich; unbe- fangen, als verstände sich's von selber, nimmt nachher das kleine Haus Lothringen alle die herrischen Ansprüche des alten Kaisergeschlechtes wieder auf, und wie die Päpste von dem Throne des Apostelfürsten fabeln, so gebärden sich die Lothringer, als seien die Habsburger niemals ausge- storben. In Wien wie in Rom derselbe hoffärtig träge Kaltsinn gegen das Wohl des eigenen Volkes: sobald die Glaubenseinheit fest begründet und der schweigende Gehorsam der Unterthanen gesichert ist, wird die gesammte Macht Oesterreichs nach außen gewendet. Alles Leben des Staates geht in der europäischen Politik auf, im Innern wird gar nicht
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Erſt im neunzehnten Jahrhundert ſollte das zertretene Deutſchthum der Südoſtmarken wieder die Kraft finden allen Arbeiten der modernen deutſchen Cultur mit lebendigem Verſtändniß zu folgen.
Dergeſtalt hat die Politik der katholiſchen Glaubenseinheit die Donau- lande auf lange hinaus unſerem Volke entfremdet. Sie zerſpaltete das alte Reich, ſie ſchuf den vielbeklagten deutſchen Dualismus; ſo lange die Deutſchen ſich nicht ſelber aufgaben, durften ſie auch den Widerſtand gegen die Fremdherrſchaft der Habsburger nicht aufgeben. Das Haus Oeſterreich war im Verlaufe der Jahrhunderte mit der römiſchen Kaiſer- krone ſo feſt verwachſen, daß die Volksmeinung Beide kaum noch zu trennen wußte; der einzige Nicht-Oeſterreicher, der während dieſer letzten Jahrhunderte den deutſchen Thron beſtieg, Karl VII., erſchien den Zeit- genoſſen wie ein Gegenkaiſer. Eine tiefe innere Verwandtſchaft verband das entdeutſchte Kaiſerthum mit ſeinem alten Gegner, dem heiligen Stuhle. Die Wiener Politik zeigt wie die römiſche jenen Charakterzug heuchleriſcher Salbung, welcher die Theokratie zur unſittlichſten aller Staatsformen macht. In Wien wie in Rom die gleiche Unfähigkeit, das Recht des Gegners zu verſtehen. Alle Habsburger, die heitere Liebens- würdigkeit Maria Thereſias ſo gut wie der ſtumpfſinnige Hochmuth Leopolds I., ertragen die Schläge des Schickſals in dem zuverſichtlichen Glauben, daß ihr Haus dem Herzen Gottes am nächſten ſtehe und nur böſe, gottloſe Menſchen das fromme Erzhaus zu bekämpfen wagen. Hier wie dort dieſelbe ſtarre Unbeweglichkeit in allen Stürmen der Jahrhun- derte: jeder ſchmähliche Friede, den die lebendigen Mächte der Geſchichte dem alten Kaiſerhauſe auferlegen, wird von den Habsburgern unterzeichnet mit dem ſtillen Vorbehalt, daß zur rechten Stunde die unveräußerlichen Rechte kaiſerlicher Vollgewalt wieder in Kraft treten ſollen. Hier wie dort dieſelbe Dreiſtigkeit theokratiſcher Mythenbildung und Rechtsverdrehung. Indem Maria Thereſia ſich wider den rechtmäßigen Kaiſer Karl VII. empört, trägt ſie ſelber die ſittliche Entrüſtung der beleidigten kaiſerlichen Majeſtät zur Schau; als König Friedrich ſodann ihrem drohenden An- griffe zuvor kommt, da ſchwingt ihr Gemahl, der als ſchlichter Privatmann an ihrem Hofe lebt, das kaiſerliche Scepter und verurtheilt den Feind der Königin von Ungarn als Rebellen gegen Kaiſer und Reich; unbe- fangen, als verſtände ſich’s von ſelber, nimmt nachher das kleine Haus Lothringen alle die herriſchen Anſprüche des alten Kaiſergeſchlechtes wieder auf, und wie die Päpſte von dem Throne des Apoſtelfürſten fabeln, ſo gebärden ſich die Lothringer, als ſeien die Habsburger niemals ausge- ſtorben. In Wien wie in Rom derſelbe hoffärtig träge Kaltſinn gegen das Wohl des eigenen Volkes: ſobald die Glaubenseinheit feſt begründet und der ſchweigende Gehorſam der Unterthanen geſichert iſt, wird die geſammte Macht Oeſterreichs nach außen gewendet. Alles Leben des Staates geht in der europäiſchen Politik auf, im Innern wird gar nicht
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Erſt im neunzehnten Jahrhundert ſollte das zertretene Deutſchthum
der Südoſtmarken wieder die Kraft finden allen Arbeiten der modernen
deutſchen Cultur mit lebendigem Verſtändniß zu folgen.
Dergeſtalt hat die Politik der katholiſchen Glaubenseinheit die Donau-
lande auf lange hinaus unſerem Volke entfremdet. Sie zerſpaltete das
alte Reich, ſie ſchuf den vielbeklagten deutſchen Dualismus; ſo lange
die Deutſchen ſich nicht ſelber aufgaben, durften ſie auch den Widerſtand
gegen die Fremdherrſchaft der Habsburger nicht aufgeben. Das Haus
Oeſterreich war im Verlaufe der Jahrhunderte mit der römiſchen Kaiſer-
krone ſo feſt verwachſen, daß die Volksmeinung Beide kaum noch zu
trennen wußte; der einzige Nicht-Oeſterreicher, der während dieſer letzten
Jahrhunderte den deutſchen Thron beſtieg, Karl VII., erſchien den Zeit-
genoſſen wie ein Gegenkaiſer. Eine tiefe innere Verwandtſchaft verband
das entdeutſchte Kaiſerthum mit ſeinem alten Gegner, dem heiligen
Stuhle. Die Wiener Politik zeigt wie die römiſche jenen Charakterzug
heuchleriſcher Salbung, welcher die Theokratie zur unſittlichſten aller
Staatsformen macht. In Wien wie in Rom die gleiche Unfähigkeit,
das Recht des Gegners zu verſtehen. Alle Habsburger, die heitere Liebens-
würdigkeit Maria Thereſias ſo gut wie der ſtumpfſinnige Hochmuth
Leopolds I., ertragen die Schläge des Schickſals in dem zuverſichtlichen
Glauben, daß ihr Haus dem Herzen Gottes am nächſten ſtehe und nur
böſe, gottloſe Menſchen das fromme Erzhaus zu bekämpfen wagen. Hier
wie dort dieſelbe ſtarre Unbeweglichkeit in allen Stürmen der Jahrhun-
derte: jeder ſchmähliche Friede, den die lebendigen Mächte der Geſchichte
dem alten Kaiſerhauſe auferlegen, wird von den Habsburgern unterzeichnet
mit dem ſtillen Vorbehalt, daß zur rechten Stunde die unveräußerlichen
Rechte kaiſerlicher Vollgewalt wieder in Kraft treten ſollen. Hier wie dort
dieſelbe Dreiſtigkeit theokratiſcher Mythenbildung und Rechtsverdrehung.
Indem Maria Thereſia ſich wider den rechtmäßigen Kaiſer Karl VII.
empört, trägt ſie ſelber die ſittliche Entrüſtung der beleidigten kaiſerlichen
Majeſtät zur Schau; als König Friedrich ſodann ihrem drohenden An-
griffe zuvor kommt, da ſchwingt ihr Gemahl, der als ſchlichter Privatmann
an ihrem Hofe lebt, das kaiſerliche Scepter und verurtheilt den Feind
der Königin von Ungarn als Rebellen gegen Kaiſer und Reich; unbe-
fangen, als verſtände ſich’s von ſelber, nimmt nachher das kleine Haus
Lothringen alle die herriſchen Anſprüche des alten Kaiſergeſchlechtes wieder
auf, und wie die Päpſte von dem Throne des Apoſtelfürſten fabeln, ſo
gebärden ſich die Lothringer, als ſeien die Habsburger niemals ausge-
ſtorben. In Wien wie in Rom derſelbe hoffärtig träge Kaltſinn gegen
das Wohl des eigenen Volkes: ſobald die Glaubenseinheit feſt begründet
und der ſchweigende Gehorſam der Unterthanen geſichert iſt, wird die
geſammte Macht Oeſterreichs nach außen gewendet. Alles Leben des
Staates geht in der europäiſchen Politik auf, im Innern wird gar nicht
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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