finde. Mehrere Wochen hindurch vertheidigte Lestocq mit altpreußischer Zähigkeit die Weichselübergänge im Kulmerlande, und als er endlich zu der russischen Armee nach Osten zurückgerufen wurde, da gaben diese armen Trümmer des preußischen Heeres den Ausschlag in der ersten Schlacht, welche der Sieggewohnte nicht gewann. Am 7. und 8. Februar 1807 versuchte Napoleon bei Eylau durch einen überwältigenden Angriff das Heer der Verbündeten ostwärts zu drängen. Schon war am zweiten Schlachttage der rechte Flügel der Russen nach mörderischem Kampfe ge- worfen; da erkannte Scharnhorsts Feldherrnblick die entscheidende Stunde. Auf seinen Rath schwenkte Lestocq, der nach anstrengendem Marsche soeben erst auf dem äußersten rechten Flügel der Verbündeten eingetroffen war, gegen das Centrum ein, und endlich wieder schien über den Deutschen der Glücksstern der fridericianischen Tage zu glänzen, als das kleine preußische Corps mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen durch die fliehenden Russen hindurch gegen den Wald von Kutschitten vorbrach und dann weiter über Anklappen hinaus die Feinde vor sich hertrieb.
Der Angriff der Franzosen war gescheitert. Allen seinen Gewohn- heiten zuwider mußte der Imperator nach der unentschiedenen Schlacht die Winterquartiere beziehen, und so gewaltig war der Eindruck dieses ersten Mißerfolges, daß Napoleon alsbald nach dem Kampfe mit neuen Friedensvorschlägen sich dem Könige näherte. Das sei der schönste Augen- blick seines Lebens, schrieb er schmeichelnd und drohend; die preußische Nation müsse wiederhergestellt werden als ein Schutzwall zwischen Ruß- land und Frankreich, sei es unter dem Hause Brandenburg oder unter irgend einem anderen Fürstengeschlechte; alle Länder diesseits der Elbe wolle er zurückgeben, an die Polen denke er nicht mehr seit er sie kenne. Aber allzu unverkennbar war doch die Absicht des Versuchers, Preußen von seinem Verbündeten zu trennen um dann nach der Niederwerfung Rußlands den von aller Welt verlassenen König aufs Neue zu demüthigen. Friedrich Wilhelm schwankte keinen Augenblick, wies die französischen Zumuthungen entschieden zurück. Erst im Unglück kamen die passiven Tugenden der Treue und der Ausdauer, worin die Stärke seines Charakters lag, zur rechten Wirksamkeit. Das königliche Haus, das jetzt im letzten Winkel deutscher Erde, in Memel seinen ärmlichen Hofhalt aufschlug, wurde dem ganzen Lande ein Vorbild würdiger Fassung, frommen Gott- vertrauens. Herzlicher, inniger als in den Tagen des Glücks schloß sich das stolze Volk Ostpreußens an das Herrscherhaus an; Jedermann im Lande erzählte bewundernd von der schönen Königin, wie sie krank bei wildem Schneesturm über die Oede der kurischen Nehrung geflohen war um lieber in Gottes Hand als in die Hände des Feindes zu fallen, und wie sie dann dem tiefgebeugten Gatten tröstend und mahnend zur Seite stand.
Freilich fehlte noch viel daran, daß sich sofort in der Leitung des Staates ein freier und kühner Sinn gezeigt hätte; so mit einem Schlage
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
finde. Mehrere Wochen hindurch vertheidigte Leſtocq mit altpreußiſcher Zähigkeit die Weichſelübergänge im Kulmerlande, und als er endlich zu der ruſſiſchen Armee nach Oſten zurückgerufen wurde, da gaben dieſe armen Trümmer des preußiſchen Heeres den Ausſchlag in der erſten Schlacht, welche der Sieggewohnte nicht gewann. Am 7. und 8. Februar 1807 verſuchte Napoleon bei Eylau durch einen überwältigenden Angriff das Heer der Verbündeten oſtwärts zu drängen. Schon war am zweiten Schlachttage der rechte Flügel der Ruſſen nach mörderiſchem Kampfe ge- worfen; da erkannte Scharnhorſts Feldherrnblick die entſcheidende Stunde. Auf ſeinen Rath ſchwenkte Leſtocq, der nach anſtrengendem Marſche ſoeben erſt auf dem äußerſten rechten Flügel der Verbündeten eingetroffen war, gegen das Centrum ein, und endlich wieder ſchien über den Deutſchen der Glücksſtern der fridericianiſchen Tage zu glänzen, als das kleine preußiſche Corps mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen durch die fliehenden Ruſſen hindurch gegen den Wald von Kutſchitten vorbrach und dann weiter über Anklappen hinaus die Feinde vor ſich hertrieb.
Der Angriff der Franzoſen war geſcheitert. Allen ſeinen Gewohn- heiten zuwider mußte der Imperator nach der unentſchiedenen Schlacht die Winterquartiere beziehen, und ſo gewaltig war der Eindruck dieſes erſten Mißerfolges, daß Napoleon alsbald nach dem Kampfe mit neuen Friedensvorſchlägen ſich dem Könige näherte. Das ſei der ſchönſte Augen- blick ſeines Lebens, ſchrieb er ſchmeichelnd und drohend; die preußiſche Nation müſſe wiederhergeſtellt werden als ein Schutzwall zwiſchen Ruß- land und Frankreich, ſei es unter dem Hauſe Brandenburg oder unter irgend einem anderen Fürſtengeſchlechte; alle Länder dieſſeits der Elbe wolle er zurückgeben, an die Polen denke er nicht mehr ſeit er ſie kenne. Aber allzu unverkennbar war doch die Abſicht des Verſuchers, Preußen von ſeinem Verbündeten zu trennen um dann nach der Niederwerfung Rußlands den von aller Welt verlaſſenen König aufs Neue zu demüthigen. Friedrich Wilhelm ſchwankte keinen Augenblick, wies die franzöſiſchen Zumuthungen entſchieden zurück. Erſt im Unglück kamen die paſſiven Tugenden der Treue und der Ausdauer, worin die Stärke ſeines Charakters lag, zur rechten Wirkſamkeit. Das königliche Haus, das jetzt im letzten Winkel deutſcher Erde, in Memel ſeinen ärmlichen Hofhalt aufſchlug, wurde dem ganzen Lande ein Vorbild würdiger Faſſung, frommen Gott- vertrauens. Herzlicher, inniger als in den Tagen des Glücks ſchloß ſich das ſtolze Volk Oſtpreußens an das Herrſcherhaus an; Jedermann im Lande erzählte bewundernd von der ſchönen Königin, wie ſie krank bei wildem Schneeſturm über die Oede der kuriſchen Nehrung geflohen war um lieber in Gottes Hand als in die Hände des Feindes zu fallen, und wie ſie dann dem tiefgebeugten Gatten tröſtend und mahnend zur Seite ſtand.
Freilich fehlte noch viel daran, daß ſich ſofort in der Leitung des Staates ein freier und kühner Sinn gezeigt hätte; ſo mit einem Schlage
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0274"n="258"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/>
finde. Mehrere Wochen hindurch vertheidigte Leſtocq mit altpreußiſcher<lb/>
Zähigkeit die Weichſelübergänge im Kulmerlande, und als er endlich zu der<lb/>
ruſſiſchen Armee nach Oſten zurückgerufen wurde, da gaben dieſe armen<lb/>
Trümmer des preußiſchen Heeres den Ausſchlag in der erſten Schlacht,<lb/>
welche der Sieggewohnte nicht gewann. Am 7. und 8. Februar 1807<lb/>
verſuchte Napoleon bei Eylau durch einen überwältigenden Angriff das<lb/>
Heer der Verbündeten oſtwärts zu drängen. Schon war am zweiten<lb/>
Schlachttage der rechte Flügel der Ruſſen nach mörderiſchem Kampfe ge-<lb/>
worfen; da erkannte Scharnhorſts Feldherrnblick die entſcheidende Stunde.<lb/>
Auf ſeinen Rath ſchwenkte Leſtocq, der nach anſtrengendem Marſche ſoeben<lb/>
erſt auf dem äußerſten rechten Flügel der Verbündeten eingetroffen war,<lb/>
gegen das Centrum ein, und endlich wieder ſchien über den Deutſchen<lb/>
der Glücksſtern der fridericianiſchen Tage zu glänzen, als das kleine<lb/>
preußiſche Corps mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen durch die<lb/>
fliehenden Ruſſen hindurch gegen den Wald von Kutſchitten vorbrach und<lb/>
dann weiter über Anklappen hinaus die Feinde vor ſich hertrieb.</p><lb/><p>Der Angriff der Franzoſen war geſcheitert. Allen ſeinen Gewohn-<lb/>
heiten zuwider mußte der Imperator nach der unentſchiedenen Schlacht<lb/>
die Winterquartiere beziehen, und ſo gewaltig war der Eindruck dieſes<lb/>
erſten Mißerfolges, daß Napoleon alsbald nach dem Kampfe mit neuen<lb/>
Friedensvorſchlägen ſich dem Könige näherte. Das ſei der ſchönſte Augen-<lb/>
blick ſeines Lebens, ſchrieb er ſchmeichelnd und drohend; die preußiſche<lb/>
Nation müſſe wiederhergeſtellt werden als ein Schutzwall zwiſchen Ruß-<lb/>
land und Frankreich, ſei es unter dem Hauſe Brandenburg oder unter<lb/>
irgend einem anderen Fürſtengeſchlechte; alle Länder dieſſeits der Elbe<lb/>
wolle er zurückgeben, an die Polen denke er nicht mehr ſeit er ſie kenne.<lb/>
Aber allzu unverkennbar war doch die Abſicht des Verſuchers, Preußen<lb/>
von ſeinem Verbündeten zu trennen um dann nach der Niederwerfung<lb/>
Rußlands den von aller Welt verlaſſenen König aufs Neue zu demüthigen.<lb/>
Friedrich Wilhelm ſchwankte keinen Augenblick, wies die franzöſiſchen<lb/>
Zumuthungen entſchieden zurück. Erſt im Unglück kamen die paſſiven<lb/>
Tugenden der Treue und der Ausdauer, worin die Stärke ſeines Charakters<lb/>
lag, zur rechten Wirkſamkeit. Das königliche Haus, das jetzt im letzten<lb/>
Winkel deutſcher Erde, in Memel ſeinen ärmlichen Hofhalt aufſchlug,<lb/>
wurde dem ganzen Lande ein Vorbild würdiger Faſſung, frommen Gott-<lb/>
vertrauens. Herzlicher, inniger als in den Tagen des Glücks ſchloß ſich<lb/>
das ſtolze Volk Oſtpreußens an das Herrſcherhaus an; Jedermann im<lb/>
Lande erzählte bewundernd von der ſchönen Königin, wie ſie krank bei<lb/>
wildem Schneeſturm über die Oede der kuriſchen Nehrung geflohen war<lb/>
um lieber in Gottes Hand als in die Hände des Feindes zu fallen, und wie<lb/>ſie dann dem tiefgebeugten Gatten tröſtend und mahnend zur Seite ſtand.</p><lb/><p>Freilich fehlte noch viel daran, daß ſich ſofort in der Leitung des<lb/>
Staates ein freier und kühner Sinn gezeigt hätte; ſo mit einem Schlage<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[258/0274]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
finde. Mehrere Wochen hindurch vertheidigte Leſtocq mit altpreußiſcher
Zähigkeit die Weichſelübergänge im Kulmerlande, und als er endlich zu der
ruſſiſchen Armee nach Oſten zurückgerufen wurde, da gaben dieſe armen
Trümmer des preußiſchen Heeres den Ausſchlag in der erſten Schlacht,
welche der Sieggewohnte nicht gewann. Am 7. und 8. Februar 1807
verſuchte Napoleon bei Eylau durch einen überwältigenden Angriff das
Heer der Verbündeten oſtwärts zu drängen. Schon war am zweiten
Schlachttage der rechte Flügel der Ruſſen nach mörderiſchem Kampfe ge-
worfen; da erkannte Scharnhorſts Feldherrnblick die entſcheidende Stunde.
Auf ſeinen Rath ſchwenkte Leſtocq, der nach anſtrengendem Marſche ſoeben
erſt auf dem äußerſten rechten Flügel der Verbündeten eingetroffen war,
gegen das Centrum ein, und endlich wieder ſchien über den Deutſchen
der Glücksſtern der fridericianiſchen Tage zu glänzen, als das kleine
preußiſche Corps mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen durch die
fliehenden Ruſſen hindurch gegen den Wald von Kutſchitten vorbrach und
dann weiter über Anklappen hinaus die Feinde vor ſich hertrieb.
Der Angriff der Franzoſen war geſcheitert. Allen ſeinen Gewohn-
heiten zuwider mußte der Imperator nach der unentſchiedenen Schlacht
die Winterquartiere beziehen, und ſo gewaltig war der Eindruck dieſes
erſten Mißerfolges, daß Napoleon alsbald nach dem Kampfe mit neuen
Friedensvorſchlägen ſich dem Könige näherte. Das ſei der ſchönſte Augen-
blick ſeines Lebens, ſchrieb er ſchmeichelnd und drohend; die preußiſche
Nation müſſe wiederhergeſtellt werden als ein Schutzwall zwiſchen Ruß-
land und Frankreich, ſei es unter dem Hauſe Brandenburg oder unter
irgend einem anderen Fürſtengeſchlechte; alle Länder dieſſeits der Elbe
wolle er zurückgeben, an die Polen denke er nicht mehr ſeit er ſie kenne.
Aber allzu unverkennbar war doch die Abſicht des Verſuchers, Preußen
von ſeinem Verbündeten zu trennen um dann nach der Niederwerfung
Rußlands den von aller Welt verlaſſenen König aufs Neue zu demüthigen.
Friedrich Wilhelm ſchwankte keinen Augenblick, wies die franzöſiſchen
Zumuthungen entſchieden zurück. Erſt im Unglück kamen die paſſiven
Tugenden der Treue und der Ausdauer, worin die Stärke ſeines Charakters
lag, zur rechten Wirkſamkeit. Das königliche Haus, das jetzt im letzten
Winkel deutſcher Erde, in Memel ſeinen ärmlichen Hofhalt aufſchlug,
wurde dem ganzen Lande ein Vorbild würdiger Faſſung, frommen Gott-
vertrauens. Herzlicher, inniger als in den Tagen des Glücks ſchloß ſich
das ſtolze Volk Oſtpreußens an das Herrſcherhaus an; Jedermann im
Lande erzählte bewundernd von der ſchönen Königin, wie ſie krank bei
wildem Schneeſturm über die Oede der kuriſchen Nehrung geflohen war
um lieber in Gottes Hand als in die Hände des Feindes zu fallen, und wie
ſie dann dem tiefgebeugten Gatten tröſtend und mahnend zur Seite ſtand.
Freilich fehlte noch viel daran, daß ſich ſofort in der Leitung des
Staates ein freier und kühner Sinn gezeigt hätte; ſo mit einem Schlage
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/274>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.