des Ostens in Ruhe hielt, und verschaffte sich zugleich durch die preu- ßischen Contributionen die Geldmittel für den spanischen Krieg.
Entwaffnet, geknebelt, verstümmelt lag die preußische Monarchie zu Napoleons Füßen; mit vollendeter Schlauheit hatte er Alles vorbereitet um sie zur gelegenen Stunde gänzlich zu vernichten. Nur Eines entging dem Scharfblick des Verächters der Ideen: daß dieser Staat an innerer Einheit und sittlicher Spannkraft gewann was er an äußerer Macht ver- lor. Der ungetreuen Polen war er ledig; die alten deutschen Stamm- lande, die ihm blieben, hielten zusammen wie ein Mann. Von diesen Adlerlanden war einst der Siegeszug des großen Kurfürsten, der ver- wegene Versuch der neuen deutschen Staatenbildung ausgegangen; auf ihnen lag jetzt wieder Deutschlands ganze Zukunft. Sie allein unter allen rein-deutschen Landen blieben dem Rheinbunde fern. Vor der letzten Schmach der freiwilligen Knechtschaft hatte Friedrich Wilhelms ehrenhafter Sinn seine Preußen bewahrt. Die schwere Schuld der letzten Jahre war nicht nur gebüßt, sie war auch erkannt; noch in Tilsit entschloß sich der König, auf Hardenbergs Rath, den Freiherrn vom Stein mit der Neu- bildung der Verwaltung zu beauftragen. Was nur ein starkes Volk zu verzweifelten Entschlüssen entflammen kann, Stolz und Haß, Schmerz und Reue gährte in tausend tapferen Gemüthern; jede neue Unbill der fremden Peiniger steigerte die Erbitterung, bis endlich Alles was preu- ßisch war sich vereinigte in dem leidenschaftlichen Verlangen nach Ver- geltung. Wenn es gelang, die schwere Kraft dieses zornigen Volkes zu sammeln und zu ordnen, seinen Staat zu verjüngen durch den Idealis- mus der neuen Bildung, so war Deutschlands Rettung noch möglich. Schon während des Krieges schrieb ein geistvoller Franzose, der in der deutschen Wissenschaft eine neue Heimath gefunden hatte, Karl v. Villers, ahnungsvoll: "Die französischen Heere haben die deutschen geschlagen, weil sie stärker sind; aus demselben Grunde wird der deutsche Geist schließlich den französischen Geist besiegen. Ich glaube schon einige An- zeichen dieses Ausganges zu sehen. Die Vorsehung hat ihre eigenen Wege." --
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
des Oſtens in Ruhe hielt, und verſchaffte ſich zugleich durch die preu- ßiſchen Contributionen die Geldmittel für den ſpaniſchen Krieg.
Entwaffnet, geknebelt, verſtümmelt lag die preußiſche Monarchie zu Napoleons Füßen; mit vollendeter Schlauheit hatte er Alles vorbereitet um ſie zur gelegenen Stunde gänzlich zu vernichten. Nur Eines entging dem Scharfblick des Verächters der Ideen: daß dieſer Staat an innerer Einheit und ſittlicher Spannkraft gewann was er an äußerer Macht ver- lor. Der ungetreuen Polen war er ledig; die alten deutſchen Stamm- lande, die ihm blieben, hielten zuſammen wie ein Mann. Von dieſen Adlerlanden war einſt der Siegeszug des großen Kurfürſten, der ver- wegene Verſuch der neuen deutſchen Staatenbildung ausgegangen; auf ihnen lag jetzt wieder Deutſchlands ganze Zukunft. Sie allein unter allen rein-deutſchen Landen blieben dem Rheinbunde fern. Vor der letzten Schmach der freiwilligen Knechtſchaft hatte Friedrich Wilhelms ehrenhafter Sinn ſeine Preußen bewahrt. Die ſchwere Schuld der letzten Jahre war nicht nur gebüßt, ſie war auch erkannt; noch in Tilſit entſchloß ſich der König, auf Hardenbergs Rath, den Freiherrn vom Stein mit der Neu- bildung der Verwaltung zu beauftragen. Was nur ein ſtarkes Volk zu verzweifelten Entſchlüſſen entflammen kann, Stolz und Haß, Schmerz und Reue gährte in tauſend tapferen Gemüthern; jede neue Unbill der fremden Peiniger ſteigerte die Erbitterung, bis endlich Alles was preu- ßiſch war ſich vereinigte in dem leidenſchaftlichen Verlangen nach Ver- geltung. Wenn es gelang, die ſchwere Kraft dieſes zornigen Volkes zu ſammeln und zu ordnen, ſeinen Staat zu verjüngen durch den Idealis- mus der neuen Bildung, ſo war Deutſchlands Rettung noch möglich. Schon während des Krieges ſchrieb ein geiſtvoller Franzoſe, der in der deutſchen Wiſſenſchaft eine neue Heimath gefunden hatte, Karl v. Villers, ahnungsvoll: „Die franzöſiſchen Heere haben die deutſchen geſchlagen, weil ſie ſtärker ſind; aus demſelben Grunde wird der deutſche Geiſt ſchließlich den franzöſiſchen Geiſt beſiegen. Ich glaube ſchon einige An- zeichen dieſes Ausganges zu ſehen. Die Vorſehung hat ihre eigenen Wege.“ —
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I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
des Oſtens in Ruhe hielt, und verſchaffte ſich zugleich durch die preu-
ßiſchen Contributionen die Geldmittel für den ſpaniſchen Krieg.
Entwaffnet, geknebelt, verſtümmelt lag die preußiſche Monarchie zu
Napoleons Füßen; mit vollendeter Schlauheit hatte er Alles vorbereitet
um ſie zur gelegenen Stunde gänzlich zu vernichten. Nur Eines entging
dem Scharfblick des Verächters der Ideen: daß dieſer Staat an innerer
Einheit und ſittlicher Spannkraft gewann was er an äußerer Macht ver-
lor. Der ungetreuen Polen war er ledig; die alten deutſchen Stamm-
lande, die ihm blieben, hielten zuſammen wie ein Mann. Von dieſen
Adlerlanden war einſt der Siegeszug des großen Kurfürſten, der ver-
wegene Verſuch der neuen deutſchen Staatenbildung ausgegangen; auf
ihnen lag jetzt wieder Deutſchlands ganze Zukunft. Sie allein unter
allen rein-deutſchen Landen blieben dem Rheinbunde fern. Vor der letzten
Schmach der freiwilligen Knechtſchaft hatte Friedrich Wilhelms ehrenhafter
Sinn ſeine Preußen bewahrt. Die ſchwere Schuld der letzten Jahre war
nicht nur gebüßt, ſie war auch erkannt; noch in Tilſit entſchloß ſich der
König, auf Hardenbergs Rath, den Freiherrn vom Stein mit der Neu-
bildung der Verwaltung zu beauftragen. Was nur ein ſtarkes Volk zu
verzweifelten Entſchlüſſen entflammen kann, Stolz und Haß, Schmerz
und Reue gährte in tauſend tapferen Gemüthern; jede neue Unbill der
fremden Peiniger ſteigerte die Erbitterung, bis endlich Alles was preu-
ßiſch war ſich vereinigte in dem leidenſchaftlichen Verlangen nach Ver-
geltung. Wenn es gelang, die ſchwere Kraft dieſes zornigen Volkes zu
ſammeln und zu ordnen, ſeinen Staat zu verjüngen durch den Idealis-
mus der neuen Bildung, ſo war Deutſchlands Rettung noch möglich.
Schon während des Krieges ſchrieb ein geiſtvoller Franzoſe, der in der
deutſchen Wiſſenſchaft eine neue Heimath gefunden hatte, Karl v. Villers,
ahnungsvoll: „Die franzöſiſchen Heere haben die deutſchen geſchlagen,
weil ſie ſtärker ſind; aus demſelben Grunde wird der deutſche Geiſt
ſchließlich den franzöſiſchen Geiſt beſiegen. Ich glaube ſchon einige An-
zeichen dieſes Ausganges zu ſehen. Die Vorſehung hat ihre eigenen
Wege.“ —
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/284>, abgerufen am 22.11.2024.
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