züge eines dauerhaften Neubaues der Staatengesellschaft. Das unnatür- liche Uebergewicht Frankreichs -- so lautete sein Urtheil -- steht und fällt mit der Schwäche Deutschlands und Italiens; ein neues Gleichgewicht der Mächte kann nur erstehen, wenn jedes der beiden großen Völker Mitteleuropas zu einem kräftigen Staate vereinigt wird. Stein war der erste Staatsmann, der die treibende Kraft des neuen Jahrhunderts, den Drang nach nationaler Staatenbildung ahnend erkannte; erst zwei Men- schenalter später sollte der Gang der Geschichte die Weissagungen des Genius rechtfertigen. Noch war sein Traum vom einigen Deutschland mehr eine hochherzige Schwärmerei als ein klarer politischer Gedanke; er wußte noch nicht, wie fremd Oesterreich dem modernen Leben der Nation geworden war, wollte in den Kämpfen um Schlesien nichts sehen als einen beklagenswerthen Bürgerkrieg.
Immerhin hatte er schon in jungen Jahren die lebendige Macht des preußischen Staates erkannt und, weit abweichend von den Gewohnheiten des Reichsadels, sich in den Dienst der protestantischen Großmacht begeben. Wie ward ihm so wohl in der naturfrischen, den Körper stählenden Thätig- keit des Bergbaus, und nachher, da er als Kammerpräsident unter den freien Bauern und dem stolzen alteingesessenen Adel der westphälischen Lande eine zweite Heimath fand, bei Wind und Wetter immer selbst zur Stelle um nach dem Rechten zu sehen, herrisch durchgreifend, rastlos an- feuernd, aber auch gütig und treuherzig, durch und durch praktisch, nicht minder besorgt um die Kühe der kleinen Kötter wie um die Wasserwege für die reichen Kohlenwerke -- ein echter Edelmann, vornehm zugleich und leutselig, großartig in Allem, ein kleiner König in seiner Provinz. Den Osten der Monarchie kannte er wenig. Der Rheinfranke konnte das landschaftliche Vorurtheil gegen die dürftigen Colonistenlande jenseits der Elbe lange nicht überwinden; er meinte in den ernsthaften verwitterten Zügen der brandenburgischen Bauern, die freilich die Spuren langer Noth und Unfreiheit trugen, einen scheuen, bösen Wolfsblick zu erkennen, und mit dem naiven Stolze des Reichsritters sah er auf das arme an- spruchsvolle Junkerthum der Marken herunter, das doch für Deutschlands neue Geschichte unvergleichlich mehr geleistet hatte als der gesammte Reichs- adel. Sold zu nehmen und seinen steifen Nacken in das Joch des Dienstes zu schmiegen fiel dem Reichsfreiherrn von Haus aus schwer. Als er dann auf der rothen Erde die noch lebensfähigen Ueberreste altgermanischer Ge- meindefreiheit und altständischer Institutionen kennen lernte, als er die gemeinnützige Wirksamkeit der Landstände, der bäuerlichen Erbentage, der Stadträthe und der Kirchensynoden beobachtete und damit die formensteife Kleinmeisterei, die allfürsorgende Zudringlichkeit des königlichen Beamten- thums verglich, da überkam ihn eine tiefe Verachtung gegen das Nichtige des todten Buchstabens und der Papierthätigkeit. Mit harten und oftmals ungerechten Worten schalt er auf die besoldeten, buchgelehrten, interesse-
I. 3. Preußens Erhebung.
züge eines dauerhaften Neubaues der Staatengeſellſchaft. Das unnatür- liche Uebergewicht Frankreichs — ſo lautete ſein Urtheil — ſteht und fällt mit der Schwäche Deutſchlands und Italiens; ein neues Gleichgewicht der Mächte kann nur erſtehen, wenn jedes der beiden großen Völker Mitteleuropas zu einem kräftigen Staate vereinigt wird. Stein war der erſte Staatsmann, der die treibende Kraft des neuen Jahrhunderts, den Drang nach nationaler Staatenbildung ahnend erkannte; erſt zwei Men- ſchenalter ſpäter ſollte der Gang der Geſchichte die Weiſſagungen des Genius rechtfertigen. Noch war ſein Traum vom einigen Deutſchland mehr eine hochherzige Schwärmerei als ein klarer politiſcher Gedanke; er wußte noch nicht, wie fremd Oeſterreich dem modernen Leben der Nation geworden war, wollte in den Kämpfen um Schleſien nichts ſehen als einen beklagenswerthen Bürgerkrieg.
Immerhin hatte er ſchon in jungen Jahren die lebendige Macht des preußiſchen Staates erkannt und, weit abweichend von den Gewohnheiten des Reichsadels, ſich in den Dienſt der proteſtantiſchen Großmacht begeben. Wie ward ihm ſo wohl in der naturfriſchen, den Körper ſtählenden Thätig- keit des Bergbaus, und nachher, da er als Kammerpräſident unter den freien Bauern und dem ſtolzen alteingeſeſſenen Adel der weſtphäliſchen Lande eine zweite Heimath fand, bei Wind und Wetter immer ſelbſt zur Stelle um nach dem Rechten zu ſehen, herriſch durchgreifend, raſtlos an- feuernd, aber auch gütig und treuherzig, durch und durch praktiſch, nicht minder beſorgt um die Kühe der kleinen Kötter wie um die Waſſerwege für die reichen Kohlenwerke — ein echter Edelmann, vornehm zugleich und leutſelig, großartig in Allem, ein kleiner König in ſeiner Provinz. Den Oſten der Monarchie kannte er wenig. Der Rheinfranke konnte das landſchaftliche Vorurtheil gegen die dürftigen Coloniſtenlande jenſeits der Elbe lange nicht überwinden; er meinte in den ernſthaften verwitterten Zügen der brandenburgiſchen Bauern, die freilich die Spuren langer Noth und Unfreiheit trugen, einen ſcheuen, böſen Wolfsblick zu erkennen, und mit dem naiven Stolze des Reichsritters ſah er auf das arme an- ſpruchsvolle Junkerthum der Marken herunter, das doch für Deutſchlands neue Geſchichte unvergleichlich mehr geleiſtet hatte als der geſammte Reichs- adel. Sold zu nehmen und ſeinen ſteifen Nacken in das Joch des Dienſtes zu ſchmiegen fiel dem Reichsfreiherrn von Haus aus ſchwer. Als er dann auf der rothen Erde die noch lebensfähigen Ueberreſte altgermaniſcher Ge- meindefreiheit und altſtändiſcher Inſtitutionen kennen lernte, als er die gemeinnützige Wirkſamkeit der Landſtände, der bäuerlichen Erbentage, der Stadträthe und der Kirchenſynoden beobachtete und damit die formenſteife Kleinmeiſterei, die allfürſorgende Zudringlichkeit des königlichen Beamten- thums verglich, da überkam ihn eine tiefe Verachtung gegen das Nichtige des todten Buchſtabens und der Papierthätigkeit. Mit harten und oftmals ungerechten Worten ſchalt er auf die beſoldeten, buchgelehrten, intereſſe-
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I. 3. Preußens Erhebung.
züge eines dauerhaften Neubaues der Staatengeſellſchaft. Das unnatür-
liche Uebergewicht Frankreichs — ſo lautete ſein Urtheil — ſteht und fällt
mit der Schwäche Deutſchlands und Italiens; ein neues Gleichgewicht
der Mächte kann nur erſtehen, wenn jedes der beiden großen Völker
Mitteleuropas zu einem kräftigen Staate vereinigt wird. Stein war der
erſte Staatsmann, der die treibende Kraft des neuen Jahrhunderts, den
Drang nach nationaler Staatenbildung ahnend erkannte; erſt zwei Men-
ſchenalter ſpäter ſollte der Gang der Geſchichte die Weiſſagungen des
Genius rechtfertigen. Noch war ſein Traum vom einigen Deutſchland
mehr eine hochherzige Schwärmerei als ein klarer politiſcher Gedanke; er
wußte noch nicht, wie fremd Oeſterreich dem modernen Leben der Nation
geworden war, wollte in den Kämpfen um Schleſien nichts ſehen als
einen beklagenswerthen Bürgerkrieg.
Immerhin hatte er ſchon in jungen Jahren die lebendige Macht des
preußiſchen Staates erkannt und, weit abweichend von den Gewohnheiten
des Reichsadels, ſich in den Dienſt der proteſtantiſchen Großmacht begeben.
Wie ward ihm ſo wohl in der naturfriſchen, den Körper ſtählenden Thätig-
keit des Bergbaus, und nachher, da er als Kammerpräſident unter den
freien Bauern und dem ſtolzen alteingeſeſſenen Adel der weſtphäliſchen
Lande eine zweite Heimath fand, bei Wind und Wetter immer ſelbſt zur
Stelle um nach dem Rechten zu ſehen, herriſch durchgreifend, raſtlos an-
feuernd, aber auch gütig und treuherzig, durch und durch praktiſch, nicht
minder beſorgt um die Kühe der kleinen Kötter wie um die Waſſerwege
für die reichen Kohlenwerke — ein echter Edelmann, vornehm zugleich
und leutſelig, großartig in Allem, ein kleiner König in ſeiner Provinz.
Den Oſten der Monarchie kannte er wenig. Der Rheinfranke konnte das
landſchaftliche Vorurtheil gegen die dürftigen Coloniſtenlande jenſeits der
Elbe lange nicht überwinden; er meinte in den ernſthaften verwitterten
Zügen der brandenburgiſchen Bauern, die freilich die Spuren langer
Noth und Unfreiheit trugen, einen ſcheuen, böſen Wolfsblick zu erkennen,
und mit dem naiven Stolze des Reichsritters ſah er auf das arme an-
ſpruchsvolle Junkerthum der Marken herunter, das doch für Deutſchlands
neue Geſchichte unvergleichlich mehr geleiſtet hatte als der geſammte Reichs-
adel. Sold zu nehmen und ſeinen ſteifen Nacken in das Joch des Dienſtes
zu ſchmiegen fiel dem Reichsfreiherrn von Haus aus ſchwer. Als er dann
auf der rothen Erde die noch lebensfähigen Ueberreſte altgermaniſcher Ge-
meindefreiheit und altſtändiſcher Inſtitutionen kennen lernte, als er die
gemeinnützige Wirkſamkeit der Landſtände, der bäuerlichen Erbentage, der
Stadträthe und der Kirchenſynoden beobachtete und damit die formenſteife
Kleinmeiſterei, die allfürſorgende Zudringlichkeit des königlichen Beamten-
thums verglich, da überkam ihn eine tiefe Verachtung gegen das Nichtige
des todten Buchſtabens und der Papierthätigkeit. Mit harten und oftmals
ungerechten Worten ſchalt er auf die beſoldeten, buchgelehrten, intereſſe-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/288>, abgerufen am 09.11.2024.
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