losen, eigenthumslosen Buralisten, die, es regne oder es scheine die Sonne, ihren Gehalt aus der Staatskasse erheben und schreiben, schrei- ben, schreiben.
So in rüstigem Handeln, in lebendigem Verkehre mit allen Ständen des Volkes bildete er sich nach und nach eine selbständige Ansicht vom Wesen politischer Freiheit, die sich zu den demokratischen Doctrinen der Revolution verhielt wie die deutsche zur französischen Staatsgesinnung. Adam Smiths Lehre von der freien Bewegung der wirthschaftlichen Kräfte hatte schon dem Jüngling einen tiefen Eindruck hinterlassen; nur lag dem deutschen Freiherrn nichts ferner als jene Ueberschätzung der wirthschaft- lichen Güter, worein die blinden Anhänger des Schotten verfielen, viel- mehr bekannte er sich laut zu der fridericianischen Meinung, daß über- mäßiger Reichthum das Verderben der Völker sei. Justus Mösers lebenswahre Erzählungen von der Bauernfreiheit der germanischen Urzeit ergriffen ihn lebhaft, das Studium der deutschen und der englischen Ver- fassungsgeschichte kam seiner politischen Bildung zu statten, und sicher hat die romantische Weltanschauung des Zeitalters, die allgemeine Schwär- merei für die ungebrochene Kraft jugendlichen Volkslebens unbewußt auch auf ihn eingewirkt. Doch der eigentliche Quell seiner politischen Ueber- zeugung war ein starker sittlicher Idealismus, der, mehr als der Freiherr selbst gestehen wollte, durch die harte Schule des preußischen Beamten- dienstes gestählt worden war.
Die Verwaltungsordnung des ersten Friedrich Wilhelm hatte einst das dem öffentlichen Leben ganz entfremdete Volk in den Dienst des Staates hineingezwungen. Stein erkannte, daß die also Erzogenen nunmehr fähig waren unter der Aufsicht des Staates die Geschäfte von Kreis und Ge- meinde selbst zu besorgen. Er wollte an die Stelle der verlebten alten Geburtsstände die Rechtsgleichheit der modernen bürgerlichen Gesellschaft setzen, aber nicht die unterschiedslose Masse souveräner Einzelmenschen, sondern eine neue gerechtere Gliederung der Gesellschaft, die "den Eigen- thümern", den Wohlhabenden und vornehmlich den Grundbesitzern, die Last des communalen Ehrendienstes auferlegte und ihnen dadurch erhöhte Macht gäbe -- eine junge auf dem Gedanken der politischen Pflicht ruhende Aristokratie. Er dachte die Revolution mit ihren eigenen Waffen zu be- kämpfen, den Streit der Stände auszugleichen, die Idee des Einheits- staates in der Verwaltungsordnung vollständig zu verwirklichen; doch mit der Thatkraft des Neuerers verband er eine tiefe Pietät für das historisch Gewordene, vor Allem für die Macht der Krone. Eine Verfassung bilden, sagte er oft, heißt das Gegenwärtige aus dem Vergangenen entwickeln. Er strebte von jenen künstlichen Zuständen der Bevormundung und des Zwanges, die sich einst aus dem Elend des dreißigjährigen Krieges heraus- gebildet hatten, wieder zurück zu den einfachen und freien Anschauungen der deutschen Altvordern, denen der Waffendienst als das Ehrenrecht jedes
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 18
Steins Anſicht vom Staate.
loſen, eigenthumsloſen Buraliſten, die, es regne oder es ſcheine die Sonne, ihren Gehalt aus der Staatskaſſe erheben und ſchreiben, ſchrei- ben, ſchreiben.
So in rüſtigem Handeln, in lebendigem Verkehre mit allen Ständen des Volkes bildete er ſich nach und nach eine ſelbſtändige Anſicht vom Weſen politiſcher Freiheit, die ſich zu den demokratiſchen Doctrinen der Revolution verhielt wie die deutſche zur franzöſiſchen Staatsgeſinnung. Adam Smiths Lehre von der freien Bewegung der wirthſchaftlichen Kräfte hatte ſchon dem Jüngling einen tiefen Eindruck hinterlaſſen; nur lag dem deutſchen Freiherrn nichts ferner als jene Ueberſchätzung der wirthſchaft- lichen Güter, worein die blinden Anhänger des Schotten verfielen, viel- mehr bekannte er ſich laut zu der fridericianiſchen Meinung, daß über- mäßiger Reichthum das Verderben der Völker ſei. Juſtus Möſers lebenswahre Erzählungen von der Bauernfreiheit der germaniſchen Urzeit ergriffen ihn lebhaft, das Studium der deutſchen und der engliſchen Ver- faſſungsgeſchichte kam ſeiner politiſchen Bildung zu ſtatten, und ſicher hat die romantiſche Weltanſchauung des Zeitalters, die allgemeine Schwär- merei für die ungebrochene Kraft jugendlichen Volkslebens unbewußt auch auf ihn eingewirkt. Doch der eigentliche Quell ſeiner politiſchen Ueber- zeugung war ein ſtarker ſittlicher Idealismus, der, mehr als der Freiherr ſelbſt geſtehen wollte, durch die harte Schule des preußiſchen Beamten- dienſtes geſtählt worden war.
Die Verwaltungsordnung des erſten Friedrich Wilhelm hatte einſt das dem öffentlichen Leben ganz entfremdete Volk in den Dienſt des Staates hineingezwungen. Stein erkannte, daß die alſo Erzogenen nunmehr fähig waren unter der Aufſicht des Staates die Geſchäfte von Kreis und Ge- meinde ſelbſt zu beſorgen. Er wollte an die Stelle der verlebten alten Geburtsſtände die Rechtsgleichheit der modernen bürgerlichen Geſellſchaft ſetzen, aber nicht die unterſchiedsloſe Maſſe ſouveräner Einzelmenſchen, ſondern eine neue gerechtere Gliederung der Geſellſchaft, die „den Eigen- thümern“, den Wohlhabenden und vornehmlich den Grundbeſitzern, die Laſt des communalen Ehrendienſtes auferlegte und ihnen dadurch erhöhte Macht gäbe — eine junge auf dem Gedanken der politiſchen Pflicht ruhende Ariſtokratie. Er dachte die Revolution mit ihren eigenen Waffen zu be- kämpfen, den Streit der Stände auszugleichen, die Idee des Einheits- ſtaates in der Verwaltungsordnung vollſtändig zu verwirklichen; doch mit der Thatkraft des Neuerers verband er eine tiefe Pietät für das hiſtoriſch Gewordene, vor Allem für die Macht der Krone. Eine Verfaſſung bilden, ſagte er oft, heißt das Gegenwärtige aus dem Vergangenen entwickeln. Er ſtrebte von jenen künſtlichen Zuſtänden der Bevormundung und des Zwanges, die ſich einſt aus dem Elend des dreißigjährigen Krieges heraus- gebildet hatten, wieder zurück zu den einfachen und freien Anſchauungen der deutſchen Altvordern, denen der Waffendienſt als das Ehrenrecht jedes
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 18
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Steins Anſicht vom Staate.
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Sonne, ihren Gehalt aus der Staatskaſſe erheben und ſchreiben, ſchrei-
ben, ſchreiben.
So in rüſtigem Handeln, in lebendigem Verkehre mit allen Ständen
des Volkes bildete er ſich nach und nach eine ſelbſtändige Anſicht vom
Weſen politiſcher Freiheit, die ſich zu den demokratiſchen Doctrinen der
Revolution verhielt wie die deutſche zur franzöſiſchen Staatsgeſinnung.
Adam Smiths Lehre von der freien Bewegung der wirthſchaftlichen Kräfte
hatte ſchon dem Jüngling einen tiefen Eindruck hinterlaſſen; nur lag dem
deutſchen Freiherrn nichts ferner als jene Ueberſchätzung der wirthſchaft-
lichen Güter, worein die blinden Anhänger des Schotten verfielen, viel-
mehr bekannte er ſich laut zu der fridericianiſchen Meinung, daß über-
mäßiger Reichthum das Verderben der Völker ſei. Juſtus Möſers
lebenswahre Erzählungen von der Bauernfreiheit der germaniſchen Urzeit
ergriffen ihn lebhaft, das Studium der deutſchen und der engliſchen Ver-
faſſungsgeſchichte kam ſeiner politiſchen Bildung zu ſtatten, und ſicher hat
die romantiſche Weltanſchauung des Zeitalters, die allgemeine Schwär-
merei für die ungebrochene Kraft jugendlichen Volkslebens unbewußt auch
auf ihn eingewirkt. Doch der eigentliche Quell ſeiner politiſchen Ueber-
zeugung war ein ſtarker ſittlicher Idealismus, der, mehr als der Freiherr
ſelbſt geſtehen wollte, durch die harte Schule des preußiſchen Beamten-
dienſtes geſtählt worden war.
Die Verwaltungsordnung des erſten Friedrich Wilhelm hatte einſt das
dem öffentlichen Leben ganz entfremdete Volk in den Dienſt des Staates
hineingezwungen. Stein erkannte, daß die alſo Erzogenen nunmehr fähig
waren unter der Aufſicht des Staates die Geſchäfte von Kreis und Ge-
meinde ſelbſt zu beſorgen. Er wollte an die Stelle der verlebten alten
Geburtsſtände die Rechtsgleichheit der modernen bürgerlichen Geſellſchaft
ſetzen, aber nicht die unterſchiedsloſe Maſſe ſouveräner Einzelmenſchen,
ſondern eine neue gerechtere Gliederung der Geſellſchaft, die „den Eigen-
thümern“, den Wohlhabenden und vornehmlich den Grundbeſitzern, die
Laſt des communalen Ehrendienſtes auferlegte und ihnen dadurch erhöhte
Macht gäbe — eine junge auf dem Gedanken der politiſchen Pflicht ruhende
Ariſtokratie. Er dachte die Revolution mit ihren eigenen Waffen zu be-
kämpfen, den Streit der Stände auszugleichen, die Idee des Einheits-
ſtaates in der Verwaltungsordnung vollſtändig zu verwirklichen; doch mit
der Thatkraft des Neuerers verband er eine tiefe Pietät für das hiſtoriſch
Gewordene, vor Allem für die Macht der Krone. Eine Verfaſſung bilden,
ſagte er oft, heißt das Gegenwärtige aus dem Vergangenen entwickeln.
Er ſtrebte von jenen künſtlichen Zuſtänden der Bevormundung und des
Zwanges, die ſich einſt aus dem Elend des dreißigjährigen Krieges heraus-
gebildet hatten, wieder zurück zu den einfachen und freien Anſchauungen
der deutſchen Altvordern, denen der Waffendienſt als das Ehrenrecht jedes
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 18
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/289>, abgerufen am 09.11.2024.
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