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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Das Volk in Waffen.
Bemittelte sich von der Dienstpflicht loskaufen, ein Unterthan für den
anderen seine Haut zu Markte tragen solle, war ganz und gar unpreußisch,
widersprach allen Traditionen der Armee. Das französische System der
Stellvertretung wurde wohl von einigen Civilbeamten, aber von keinem
einzigen namhaften Offizier empfohlen. Man dachte demokratischer als
die Erben der Revolution, verlangte kurz und gut die Wehrpflicht für
Alle -- und nicht blos als ein Kriegsmittel für den Befreiungskampf,
sondern als eine dauernde Institution zur Erziehung des Volkes. Ein
Verächter aller müssigen militärischen Künstelei blieb Scharnhorst doch ein
streng geschulter Fachmann; er wußte, wie wenig die Begeisterung allein
die Ausdauer, die Kunstfertigkeit, die Mannszucht des geübten Soldaten
ersetzen kann. Aus seiner reichen Geschichtskenntniß hatte er die Ueber-
zeugung gewonnen: je weicher die Sitten würden, um so nöthiger sei den
Nationen die militärische Erziehung, damit die männlichen Tugenden ein-
facher Zeiten der Culturwelt erhalten blieben, die rüstige Kraft des Leibes
und des Willens den fein Gebildeten nicht verloren gehe. Mit hellem
Jubel ging Gneisenau auf diese mannhafte Anschauung des historischen
Lebens ein; er wollte die militärischen Uebungen schon in der Volksschule
beginnen lassen, dann sei der Heldenruhm der Spartaner für die moderne
Menschheit nicht mehr unerreichbar. Allen Freunden Scharnhorsts aus
der Seele schrieb Boyen die Verse: wehrhaft sei im ganzen Lande jeder
Mann mit seinem Schwert, denn es ziemet jedem Stande zu vertheidigen
Thron und Heerd!

Ueber den Grundsatz also bestand kein Zweifel. Doch wie die un-
überwindlichen Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung entgegenstellten,
besiegen? Die Söhne der gebildeten Klassen in Friedenszeiten ohne Weiteres
in das stehende Heer einzureihen erschien dieser Zeit, die soeben erst der
Barbarei der alten Kriegszucht entwuchs, als eine unerträgliche Härte;
und zudem erzwang Napoleon im September 1808 den Pariser Vertrag,
kraft dessen der mißhandelte Staat sich verpflichten mußte, nicht mehr als
42,000 Mann Truppen zu halten.

So blieb nur übrig, den Eroberer zu überlisten, die Verträge zu
umgehen und neben dem stehenden Heere eine Reserve-Armee, eine
Landwehr für Kriegsfälle zu schaffen. Aber auch zu diesem Ziele war
der gerade Weg versperrt. Scharnhorst erkannte sofort, das Einfachste
sei die Landwehr durch die Schule des stehenden Heeres gehen zu lassen,
die Reserve-Armee aus ausgedienten Soldaten zu bilden. Und doch
war dies für jetzt unmöglich. Die Einstellung einer so großen Anzahl
von Rekruten hätte alsbald den Argwohn Napoleons erregt, und über-
dies konnte eine so gebildete Landwehr offenbar erst nach Jahren eine
erhebliche Stärke erreichen, während man in jedem neuen Monat den
Wiederausbruch des Krieges erwartete. Darum mußte man sich mit einer
Miliz begnügen, welche ohne sichtbaren Zusammenhang mit dem stehen-

Das Volk in Waffen.
Bemittelte ſich von der Dienſtpflicht loskaufen, ein Unterthan für den
anderen ſeine Haut zu Markte tragen ſolle, war ganz und gar unpreußiſch,
widerſprach allen Traditionen der Armee. Das franzöſiſche Syſtem der
Stellvertretung wurde wohl von einigen Civilbeamten, aber von keinem
einzigen namhaften Offizier empfohlen. Man dachte demokratiſcher als
die Erben der Revolution, verlangte kurz und gut die Wehrpflicht für
Alle — und nicht blos als ein Kriegsmittel für den Befreiungskampf,
ſondern als eine dauernde Inſtitution zur Erziehung des Volkes. Ein
Verächter aller müſſigen militäriſchen Künſtelei blieb Scharnhorſt doch ein
ſtreng geſchulter Fachmann; er wußte, wie wenig die Begeiſterung allein
die Ausdauer, die Kunſtfertigkeit, die Mannszucht des geübten Soldaten
erſetzen kann. Aus ſeiner reichen Geſchichtskenntniß hatte er die Ueber-
zeugung gewonnen: je weicher die Sitten würden, um ſo nöthiger ſei den
Nationen die militäriſche Erziehung, damit die männlichen Tugenden ein-
facher Zeiten der Culturwelt erhalten blieben, die rüſtige Kraft des Leibes
und des Willens den fein Gebildeten nicht verloren gehe. Mit hellem
Jubel ging Gneiſenau auf dieſe mannhafte Anſchauung des hiſtoriſchen
Lebens ein; er wollte die militäriſchen Uebungen ſchon in der Volksſchule
beginnen laſſen, dann ſei der Heldenruhm der Spartaner für die moderne
Menſchheit nicht mehr unerreichbar. Allen Freunden Scharnhorſts aus
der Seele ſchrieb Boyen die Verſe: wehrhaft ſei im ganzen Lande jeder
Mann mit ſeinem Schwert, denn es ziemet jedem Stande zu vertheidigen
Thron und Heerd!

Ueber den Grundſatz alſo beſtand kein Zweifel. Doch wie die un-
überwindlichen Schwierigkeiten, welche ſich der Ausführung entgegenſtellten,
beſiegen? Die Söhne der gebildeten Klaſſen in Friedenszeiten ohne Weiteres
in das ſtehende Heer einzureihen erſchien dieſer Zeit, die ſoeben erſt der
Barbarei der alten Kriegszucht entwuchs, als eine unerträgliche Härte;
und zudem erzwang Napoleon im September 1808 den Pariſer Vertrag,
kraft deſſen der mißhandelte Staat ſich verpflichten mußte, nicht mehr als
42,000 Mann Truppen zu halten.

So blieb nur übrig, den Eroberer zu überliſten, die Verträge zu
umgehen und neben dem ſtehenden Heere eine Reſerve-Armee, eine
Landwehr für Kriegsfälle zu ſchaffen. Aber auch zu dieſem Ziele war
der gerade Weg verſperrt. Scharnhorſt erkannte ſofort, das Einfachſte
ſei die Landwehr durch die Schule des ſtehenden Heeres gehen zu laſſen,
die Reſerve-Armee aus ausgedienten Soldaten zu bilden. Und doch
war dies für jetzt unmöglich. Die Einſtellung einer ſo großen Anzahl
von Rekruten hätte alsbald den Argwohn Napoleons erregt, und über-
dies konnte eine ſo gebildete Landwehr offenbar erſt nach Jahren eine
erhebliche Stärke erreichen, während man in jedem neuen Monat den
Wiederausbruch des Krieges erwartete. Darum mußte man ſich mit einer
Miliz begnügen, welche ohne ſichtbaren Zuſammenhang mit dem ſtehen-

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[295/0311] Das Volk in Waffen. Bemittelte ſich von der Dienſtpflicht loskaufen, ein Unterthan für den anderen ſeine Haut zu Markte tragen ſolle, war ganz und gar unpreußiſch, widerſprach allen Traditionen der Armee. Das franzöſiſche Syſtem der Stellvertretung wurde wohl von einigen Civilbeamten, aber von keinem einzigen namhaften Offizier empfohlen. Man dachte demokratiſcher als die Erben der Revolution, verlangte kurz und gut die Wehrpflicht für Alle — und nicht blos als ein Kriegsmittel für den Befreiungskampf, ſondern als eine dauernde Inſtitution zur Erziehung des Volkes. Ein Verächter aller müſſigen militäriſchen Künſtelei blieb Scharnhorſt doch ein ſtreng geſchulter Fachmann; er wußte, wie wenig die Begeiſterung allein die Ausdauer, die Kunſtfertigkeit, die Mannszucht des geübten Soldaten erſetzen kann. Aus ſeiner reichen Geſchichtskenntniß hatte er die Ueber- zeugung gewonnen: je weicher die Sitten würden, um ſo nöthiger ſei den Nationen die militäriſche Erziehung, damit die männlichen Tugenden ein- facher Zeiten der Culturwelt erhalten blieben, die rüſtige Kraft des Leibes und des Willens den fein Gebildeten nicht verloren gehe. Mit hellem Jubel ging Gneiſenau auf dieſe mannhafte Anſchauung des hiſtoriſchen Lebens ein; er wollte die militäriſchen Uebungen ſchon in der Volksſchule beginnen laſſen, dann ſei der Heldenruhm der Spartaner für die moderne Menſchheit nicht mehr unerreichbar. Allen Freunden Scharnhorſts aus der Seele ſchrieb Boyen die Verſe: wehrhaft ſei im ganzen Lande jeder Mann mit ſeinem Schwert, denn es ziemet jedem Stande zu vertheidigen Thron und Heerd! Ueber den Grundſatz alſo beſtand kein Zweifel. Doch wie die un- überwindlichen Schwierigkeiten, welche ſich der Ausführung entgegenſtellten, beſiegen? Die Söhne der gebildeten Klaſſen in Friedenszeiten ohne Weiteres in das ſtehende Heer einzureihen erſchien dieſer Zeit, die ſoeben erſt der Barbarei der alten Kriegszucht entwuchs, als eine unerträgliche Härte; und zudem erzwang Napoleon im September 1808 den Pariſer Vertrag, kraft deſſen der mißhandelte Staat ſich verpflichten mußte, nicht mehr als 42,000 Mann Truppen zu halten. So blieb nur übrig, den Eroberer zu überliſten, die Verträge zu umgehen und neben dem ſtehenden Heere eine Reſerve-Armee, eine Landwehr für Kriegsfälle zu ſchaffen. Aber auch zu dieſem Ziele war der gerade Weg verſperrt. Scharnhorſt erkannte ſofort, das Einfachſte ſei die Landwehr durch die Schule des ſtehenden Heeres gehen zu laſſen, die Reſerve-Armee aus ausgedienten Soldaten zu bilden. Und doch war dies für jetzt unmöglich. Die Einſtellung einer ſo großen Anzahl von Rekruten hätte alsbald den Argwohn Napoleons erregt, und über- dies konnte eine ſo gebildete Landwehr offenbar erſt nach Jahren eine erhebliche Stärke erreichen, während man in jedem neuen Monat den Wiederausbruch des Krieges erwartete. Darum mußte man ſich mit einer Miliz begnügen, welche ohne ſichtbaren Zuſammenhang mit dem ſtehen-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/311>, abgerufen am 09.11.2024.