den Heere, scheinbar nur für den inneren Sicherheitsdienst bestimmt, aber durch wiederholte Uebungen militärisch geschult und mit genügenden Waffen- vorräthen versehen sofort beim Ausbruch des Krieges als Reserve-Armee auftreten sollte. Viermal hat Scharnhorst während der Jahr 1807--10 diese Landwehrpläne wiederaufgenommen und mit dem Monarchen be- rathen. Seinen ersten Entwurf brachte er bereits am 31. Juli 1807 zu Stande, ganz selbständig, lange bevor die österreichische Landwehr bestand.
Die älteren Pläne verfolgten den Hauptzweck, die Söhne der wohlhaben- den Klassen, die sich selber bewaffnen und bekleiden konnten, für den Dienst im Kriege vorzubereiten; unter dem harmlosen Namen einer Bürgergarde oder Nationalwache sollten sie im Frieden eingeübt werden. Im Sommer 1809 gab der Rastlose seinen Entwürfen eine großartigere Gestalt, welche bereits die Grundzüge der Organisation von 1813 erkennen läßt. Er dachte hoch von der Heldenkraft eines zornigen Volkes, doch er sah auch nüchtern voraus, wie viele Zeit vergehen muß bevor aus einem bewaffneten Haufen eine kriegstüchtige Truppe wird. Sein Plan war: das stehende Heer beginnt den Angriff; unterdessen bildet sich die Reserve-Armee aus den ausgedienten und überzähligen Soldaten sowie aus allen jüngeren Cantonpflichtigen; die Wohlhabenden treten als freiwillige Jäger ein. Diese Landwehr übernimmt den Festungsdienst und die Belagerung der vom Feinde besetzten Plätze; sobald sie genügend ausgebildet ist, zieht sie dem Heere nach und an ihre Stelle rückt die inzwischen versammelte Miliz, ein Landsturm, der alle noch übrigen Wehrhaften umfaßt. Scharnhorst wußte, wie ungern Napoleon sich der Vendeeer Kämpfe erinnerte, wie sehr er den Volksaufstand fürchtete; er hoffte den Befreiungskampf mit einem kleinen Kriege zu eröffnen, der sich auf einige Festungen oder ver- schanzte Lager stützen sollte, und ließ das für solchen Zweck so ungünstige Terrain der norddeutschen Ebene sorgsam auskundschaften. Gneisenau dachte sogar aus dem kleinen Spandau ein Torres Vedras der Ebene zu machen, als er von Wellingtons portugiesischen Siegen erfuhr.
Aber alle diese Hoffnungen wurden zu Schanden. Sobald Napoleon von einem neuen preußischen Landwehrplane hörte, griff er stets sofort mit herrischer Drohung ein: nicht einen Schritt durfte ihm der verhaßte Gegner über die Pariser Versprechungen hinausgehen, nur er selber be- hielt sich vor sie mit Füßen zu treten. Man mußte endlich einsehen, daß die Bildung einer Landwehr schlechterdings unmöglich blieb so lange Preußen noch nicht in der Lage war an Frankreich den Krieg zu er- klären. Das Einzige was bis dahin geschehen konnte ohne das Miß- trauen des Imperators aufzustacheln, war die raschere Ausbildung der Mannschaften des stehenden Heeres. Die gesetzliche zwanzigjährige Dienst- zeit der Cantonspflichtigen blieb unverändert, doch man hob ihrer so viele aus als irgend möglich und beurlaubte dann diese leidlich ausexercirten Krümper nach einigen Monaten. Die vertragsmäßige Heeresziffer wurde
I. 3. Preußens Erhebung.
den Heere, ſcheinbar nur für den inneren Sicherheitsdienſt beſtimmt, aber durch wiederholte Uebungen militäriſch geſchult und mit genügenden Waffen- vorräthen verſehen ſofort beim Ausbruch des Krieges als Reſerve-Armee auftreten ſollte. Viermal hat Scharnhorſt während der Jahr 1807—10 dieſe Landwehrpläne wiederaufgenommen und mit dem Monarchen be- rathen. Seinen erſten Entwurf brachte er bereits am 31. Juli 1807 zu Stande, ganz ſelbſtändig, lange bevor die öſterreichiſche Landwehr beſtand.
Die älteren Pläne verfolgten den Hauptzweck, die Söhne der wohlhaben- den Klaſſen, die ſich ſelber bewaffnen und bekleiden konnten, für den Dienſt im Kriege vorzubereiten; unter dem harmloſen Namen einer Bürgergarde oder Nationalwache ſollten ſie im Frieden eingeübt werden. Im Sommer 1809 gab der Raſtloſe ſeinen Entwürfen eine großartigere Geſtalt, welche bereits die Grundzüge der Organiſation von 1813 erkennen läßt. Er dachte hoch von der Heldenkraft eines zornigen Volkes, doch er ſah auch nüchtern voraus, wie viele Zeit vergehen muß bevor aus einem bewaffneten Haufen eine kriegstüchtige Truppe wird. Sein Plan war: das ſtehende Heer beginnt den Angriff; unterdeſſen bildet ſich die Reſerve-Armee aus den ausgedienten und überzähligen Soldaten ſowie aus allen jüngeren Cantonpflichtigen; die Wohlhabenden treten als freiwillige Jäger ein. Dieſe Landwehr übernimmt den Feſtungsdienſt und die Belagerung der vom Feinde beſetzten Plätze; ſobald ſie genügend ausgebildet iſt, zieht ſie dem Heere nach und an ihre Stelle rückt die inzwiſchen verſammelte Miliz, ein Landſturm, der alle noch übrigen Wehrhaften umfaßt. Scharnhorſt wußte, wie ungern Napoleon ſich der Vendeeer Kämpfe erinnerte, wie ſehr er den Volksaufſtand fürchtete; er hoffte den Befreiungskampf mit einem kleinen Kriege zu eröffnen, der ſich auf einige Feſtungen oder ver- ſchanzte Lager ſtützen ſollte, und ließ das für ſolchen Zweck ſo ungünſtige Terrain der norddeutſchen Ebene ſorgſam auskundſchaften. Gneiſenau dachte ſogar aus dem kleinen Spandau ein Torres Vedras der Ebene zu machen, als er von Wellingtons portugieſiſchen Siegen erfuhr.
Aber alle dieſe Hoffnungen wurden zu Schanden. Sobald Napoleon von einem neuen preußiſchen Landwehrplane hörte, griff er ſtets ſofort mit herriſcher Drohung ein: nicht einen Schritt durfte ihm der verhaßte Gegner über die Pariſer Verſprechungen hinausgehen, nur er ſelber be- hielt ſich vor ſie mit Füßen zu treten. Man mußte endlich einſehen, daß die Bildung einer Landwehr ſchlechterdings unmöglich blieb ſo lange Preußen noch nicht in der Lage war an Frankreich den Krieg zu er- klären. Das Einzige was bis dahin geſchehen konnte ohne das Miß- trauen des Imperators aufzuſtacheln, war die raſchere Ausbildung der Mannſchaften des ſtehenden Heeres. Die geſetzliche zwanzigjährige Dienſt- zeit der Cantonspflichtigen blieb unverändert, doch man hob ihrer ſo viele aus als irgend möglich und beurlaubte dann dieſe leidlich ausexercirten Krümper nach einigen Monaten. Die vertragsmäßige Heeresziffer wurde
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den Heere, ſcheinbar nur für den inneren Sicherheitsdienſt beſtimmt, aber
durch wiederholte Uebungen militäriſch geſchult und mit genügenden Waffen-
vorräthen verſehen ſofort beim Ausbruch des Krieges als Reſerve-Armee
auftreten ſollte. Viermal hat Scharnhorſt während der Jahr 1807—10
dieſe Landwehrpläne wiederaufgenommen und mit dem Monarchen be-
rathen. Seinen erſten Entwurf brachte er bereits am 31. Juli 1807 zu
Stande, ganz ſelbſtändig, lange bevor die öſterreichiſche Landwehr beſtand.
Die älteren Pläne verfolgten den Hauptzweck, die Söhne der wohlhaben-
den Klaſſen, die ſich ſelber bewaffnen und bekleiden konnten, für den Dienſt
im Kriege vorzubereiten; unter dem harmloſen Namen einer Bürgergarde
oder Nationalwache ſollten ſie im Frieden eingeübt werden. Im Sommer
1809 gab der Raſtloſe ſeinen Entwürfen eine großartigere Geſtalt, welche
bereits die Grundzüge der Organiſation von 1813 erkennen läßt. Er
dachte hoch von der Heldenkraft eines zornigen Volkes, doch er ſah auch
nüchtern voraus, wie viele Zeit vergehen muß bevor aus einem bewaffneten
Haufen eine kriegstüchtige Truppe wird. Sein Plan war: das ſtehende
Heer beginnt den Angriff; unterdeſſen bildet ſich die Reſerve-Armee aus
den ausgedienten und überzähligen Soldaten ſowie aus allen jüngeren
Cantonpflichtigen; die Wohlhabenden treten als freiwillige Jäger ein.
Dieſe Landwehr übernimmt den Feſtungsdienſt und die Belagerung der
vom Feinde beſetzten Plätze; ſobald ſie genügend ausgebildet iſt, zieht ſie
dem Heere nach und an ihre Stelle rückt die inzwiſchen verſammelte Miliz,
ein Landſturm, der alle noch übrigen Wehrhaften umfaßt. Scharnhorſt
wußte, wie ungern Napoleon ſich der Vendeeer Kämpfe erinnerte, wie
ſehr er den Volksaufſtand fürchtete; er hoffte den Befreiungskampf mit
einem kleinen Kriege zu eröffnen, der ſich auf einige Feſtungen oder ver-
ſchanzte Lager ſtützen ſollte, und ließ das für ſolchen Zweck ſo ungünſtige
Terrain der norddeutſchen Ebene ſorgſam auskundſchaften. Gneiſenau
dachte ſogar aus dem kleinen Spandau ein Torres Vedras der Ebene zu
machen, als er von Wellingtons portugieſiſchen Siegen erfuhr.
Aber alle dieſe Hoffnungen wurden zu Schanden. Sobald Napoleon
von einem neuen preußiſchen Landwehrplane hörte, griff er ſtets ſofort
mit herriſcher Drohung ein: nicht einen Schritt durfte ihm der verhaßte
Gegner über die Pariſer Verſprechungen hinausgehen, nur er ſelber be-
hielt ſich vor ſie mit Füßen zu treten. Man mußte endlich einſehen, daß
die Bildung einer Landwehr ſchlechterdings unmöglich blieb ſo lange
Preußen noch nicht in der Lage war an Frankreich den Krieg zu er-
klären. Das Einzige was bis dahin geſchehen konnte ohne das Miß-
trauen des Imperators aufzuſtacheln, war die raſchere Ausbildung der
Mannſchaften des ſtehenden Heeres. Die geſetzliche zwanzigjährige Dienſt-
zeit der Cantonspflichtigen blieb unverändert, doch man hob ihrer ſo viele
aus als irgend möglich und beurlaubte dann dieſe leidlich ausexercirten
Krümper nach einigen Monaten. Die vertragsmäßige Heeresziffer wurde
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/312>, abgerufen am 09.11.2024.
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