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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
napoleonischen Spione. Alle französischen und rheinbündischen Diplo-
maten mußten Bericht erstatten über die Stimmung im Volke. Bignon
in Stuttgart und der westphälische Gesandte Linden in Berlin trieben das
unsaubere Gewerbe mit besonderem Eifer; Napoleons Gesandter in Cassel,
der geistreiche Schwabe Reinhard, ein Freund Goethes, benutzte seine Ver-
bindungen mit der deutschen literarischen Welt um den Imperator über
jede Regung deutscher Gedanken zu unterrichten. Darum mußten die
Patrioten, ganz wider die Neigung und Begabung der deutschen Natur, zu
geheimen Vereinen zusammentreten. Hardenberg selbst sagte in jener Rigaer
Denkschrift dem Könige, in solcher Zeit seien Geheimbünde unentbehrlich,
und empfahl namentlich die Logen zur Verbreitung guter politischer Grund-
sätze, da auch Napoleon den noch immer einflußreichen Freimaurerorden
für seine Zwecke zu benutzen suchte und seinen Schwager Murat zum Groß-
meister ernennen ließ.

Nur Wenige unter den deutschgesinnten Preußen sind, so lange die
Feinde das Land besetzt hielten, diesem unterirdischen Treiben ganz fern
geblieben. Auch Stein traf, wie Schoen erzählt, in Königsberg zu-
weilen in tiefem Geheimniß mit Gneisenau, Süvern und anderen Freun-
den zusammen um die Lage des Vaterlandes, die Möglichkeit der Wieder-
erhebung zu besprechen. Selbst die hellen Köpfe -- so gewaltig war die
Aufregung -- wollten nicht ganz lassen von der bodenlosen Hoffnung,
daß vielleicht ein glücklicher Handstreich, eine plötzliche Erhebung des Volks
den französischen Spuk verscheuchen könnte. In den Gesellschaften des
Berliner Adels thaten sich Einige, zumal unter den Damen, durch die
urwüchsige Kraft ihres Franzosenhasses, durch lautes Schelten gegen die
Halben und Schwächlinge hervor; man nannte sie unter den Uneinge-
weihten den Tugendbund, und alle Welt wußte, wann sie sich insgeheim
versammelten, da die deutsche Ehrlichkeit sich auf die dunklen Künste der
Verschwörer schlecht verstand. Ernsthaftere Pläne verfolgte eine Reihe
anderer formloser patriotischer Vereine, denen Lützow und Chasot, Reimer,
Eichhorn, Schleiermacher, wackere Männer des Heeres, des Bürgerthums
und der Wissenschaft angehörten. Hier kaufte man Waffen auf, so weit
die ärmlichen Mittel reichten, suchte die Gesinnungsgenossen ringsum in
Deutschland zu sammeln, zu ermahnen, zu ermuthigen; wie oft ist Leut-
nant Hüser von Berlin nach Baruth hinübergeritten um Briefe an den
Mitverschworenen Heinrich Kleist auf die sächsische Post zu geben. Später
stiftete Jahn mit einigen seiner Turnfreunde einen Deutschen Bund; wie
die Eidgenossen auf dem Rütli traten die Verschworenen Nachts im Walde
bei Berlin zusammen und weihten sich zum Kampfe für das Vaterland.
Als der Ausbruch des Krieges sich weiter und weiter hinausschob, ging
unter den Heißspornen zuweilen die Rede: wenn dieser Zauderer Fried-
rich Wilhelm durchaus nicht wolle, so müsse sein Bruder, der ritterliche
Prinz Wilhelm den Thron besteigen.

I. 3. Preußens Erhebung.
napoleoniſchen Spione. Alle franzöſiſchen und rheinbündiſchen Diplo-
maten mußten Bericht erſtatten über die Stimmung im Volke. Bignon
in Stuttgart und der weſtphäliſche Geſandte Linden in Berlin trieben das
unſaubere Gewerbe mit beſonderem Eifer; Napoleons Geſandter in Caſſel,
der geiſtreiche Schwabe Reinhard, ein Freund Goethes, benutzte ſeine Ver-
bindungen mit der deutſchen literariſchen Welt um den Imperator über
jede Regung deutſcher Gedanken zu unterrichten. Darum mußten die
Patrioten, ganz wider die Neigung und Begabung der deutſchen Natur, zu
geheimen Vereinen zuſammentreten. Hardenberg ſelbſt ſagte in jener Rigaer
Denkſchrift dem Könige, in ſolcher Zeit ſeien Geheimbünde unentbehrlich,
und empfahl namentlich die Logen zur Verbreitung guter politiſcher Grund-
ſätze, da auch Napoleon den noch immer einflußreichen Freimaurerorden
für ſeine Zwecke zu benutzen ſuchte und ſeinen Schwager Murat zum Groß-
meiſter ernennen ließ.

Nur Wenige unter den deutſchgeſinnten Preußen ſind, ſo lange die
Feinde das Land beſetzt hielten, dieſem unterirdiſchen Treiben ganz fern
geblieben. Auch Stein traf, wie Schoen erzählt, in Königsberg zu-
weilen in tiefem Geheimniß mit Gneiſenau, Süvern und anderen Freun-
den zuſammen um die Lage des Vaterlandes, die Möglichkeit der Wieder-
erhebung zu beſprechen. Selbſt die hellen Köpfe — ſo gewaltig war die
Aufregung — wollten nicht ganz laſſen von der bodenloſen Hoffnung,
daß vielleicht ein glücklicher Handſtreich, eine plötzliche Erhebung des Volks
den franzöſiſchen Spuk verſcheuchen könnte. In den Geſellſchaften des
Berliner Adels thaten ſich Einige, zumal unter den Damen, durch die
urwüchſige Kraft ihres Franzoſenhaſſes, durch lautes Schelten gegen die
Halben und Schwächlinge hervor; man nannte ſie unter den Uneinge-
weihten den Tugendbund, und alle Welt wußte, wann ſie ſich insgeheim
verſammelten, da die deutſche Ehrlichkeit ſich auf die dunklen Künſte der
Verſchwörer ſchlecht verſtand. Ernſthaftere Pläne verfolgte eine Reihe
anderer formloſer patriotiſcher Vereine, denen Lützow und Chaſot, Reimer,
Eichhorn, Schleiermacher, wackere Männer des Heeres, des Bürgerthums
und der Wiſſenſchaft angehörten. Hier kaufte man Waffen auf, ſo weit
die ärmlichen Mittel reichten, ſuchte die Geſinnungsgenoſſen ringsum in
Deutſchland zu ſammeln, zu ermahnen, zu ermuthigen; wie oft iſt Leut-
nant Hüſer von Berlin nach Baruth hinübergeritten um Briefe an den
Mitverſchworenen Heinrich Kleiſt auf die ſächſiſche Poſt zu geben. Später
ſtiftete Jahn mit einigen ſeiner Turnfreunde einen Deutſchen Bund; wie
die Eidgenoſſen auf dem Rütli traten die Verſchworenen Nachts im Walde
bei Berlin zuſammen und weihten ſich zum Kampfe für das Vaterland.
Als der Ausbruch des Krieges ſich weiter und weiter hinausſchob, ging
unter den Heißſpornen zuweilen die Rede: wenn dieſer Zauderer Fried-
rich Wilhelm durchaus nicht wolle, ſo müſſe ſein Bruder, der ritterliche
Prinz Wilhelm den Thron beſteigen.

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[302/0318] I. 3. Preußens Erhebung. napoleoniſchen Spione. Alle franzöſiſchen und rheinbündiſchen Diplo- maten mußten Bericht erſtatten über die Stimmung im Volke. Bignon in Stuttgart und der weſtphäliſche Geſandte Linden in Berlin trieben das unſaubere Gewerbe mit beſonderem Eifer; Napoleons Geſandter in Caſſel, der geiſtreiche Schwabe Reinhard, ein Freund Goethes, benutzte ſeine Ver- bindungen mit der deutſchen literariſchen Welt um den Imperator über jede Regung deutſcher Gedanken zu unterrichten. Darum mußten die Patrioten, ganz wider die Neigung und Begabung der deutſchen Natur, zu geheimen Vereinen zuſammentreten. Hardenberg ſelbſt ſagte in jener Rigaer Denkſchrift dem Könige, in ſolcher Zeit ſeien Geheimbünde unentbehrlich, und empfahl namentlich die Logen zur Verbreitung guter politiſcher Grund- ſätze, da auch Napoleon den noch immer einflußreichen Freimaurerorden für ſeine Zwecke zu benutzen ſuchte und ſeinen Schwager Murat zum Groß- meiſter ernennen ließ. Nur Wenige unter den deutſchgeſinnten Preußen ſind, ſo lange die Feinde das Land beſetzt hielten, dieſem unterirdiſchen Treiben ganz fern geblieben. Auch Stein traf, wie Schoen erzählt, in Königsberg zu- weilen in tiefem Geheimniß mit Gneiſenau, Süvern und anderen Freun- den zuſammen um die Lage des Vaterlandes, die Möglichkeit der Wieder- erhebung zu beſprechen. Selbſt die hellen Köpfe — ſo gewaltig war die Aufregung — wollten nicht ganz laſſen von der bodenloſen Hoffnung, daß vielleicht ein glücklicher Handſtreich, eine plötzliche Erhebung des Volks den franzöſiſchen Spuk verſcheuchen könnte. In den Geſellſchaften des Berliner Adels thaten ſich Einige, zumal unter den Damen, durch die urwüchſige Kraft ihres Franzoſenhaſſes, durch lautes Schelten gegen die Halben und Schwächlinge hervor; man nannte ſie unter den Uneinge- weihten den Tugendbund, und alle Welt wußte, wann ſie ſich insgeheim verſammelten, da die deutſche Ehrlichkeit ſich auf die dunklen Künſte der Verſchwörer ſchlecht verſtand. Ernſthaftere Pläne verfolgte eine Reihe anderer formloſer patriotiſcher Vereine, denen Lützow und Chaſot, Reimer, Eichhorn, Schleiermacher, wackere Männer des Heeres, des Bürgerthums und der Wiſſenſchaft angehörten. Hier kaufte man Waffen auf, ſo weit die ärmlichen Mittel reichten, ſuchte die Geſinnungsgenoſſen ringsum in Deutſchland zu ſammeln, zu ermahnen, zu ermuthigen; wie oft iſt Leut- nant Hüſer von Berlin nach Baruth hinübergeritten um Briefe an den Mitverſchworenen Heinrich Kleiſt auf die ſächſiſche Poſt zu geben. Später ſtiftete Jahn mit einigen ſeiner Turnfreunde einen Deutſchen Bund; wie die Eidgenoſſen auf dem Rütli traten die Verſchworenen Nachts im Walde bei Berlin zuſammen und weihten ſich zum Kampfe für das Vaterland. Als der Ausbruch des Krieges ſich weiter und weiter hinausſchob, ging unter den Heißſpornen zuweilen die Rede: wenn dieſer Zauderer Fried- rich Wilhelm durchaus nicht wolle, ſo müſſe ſein Bruder, der ritterliche Prinz Wilhelm den Thron beſteigen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/318>, abgerufen am 22.11.2024.